In der Auseinandersetzung darüber, ob das als Arzneimittel bewährte Ginkgo biloba auch einem Lebensmittel zugesetzt, und entsprechend beworben werden darf, hat der Bundesgerichtshof in Deutschland jetzt ein klares Urteil gefällt:

In letzter Instanz wurde dem Produzenten eines ginkgo-haltigen Erfrischungsgetränks mit sofortiger Wirkung der Vertrieb dieses Produkts verboten.

Im Lebensmittelhandel wächst seit längerer Zeit das Angebot an Produkten stetig an, die dem Verbraucher allerlei gesundheitliche Vorteile versprechen. Dank dem Zusatz bekannter arzneilicher Stoffe glaubt der Konsument beim Kauf solcher Lebensmittel nicht nur Genuss, sondern darüber hinaus auch Gesundheit zu erwerben.

Was zunächst einleuchtend tönt, birgt jedoch häufig ernst zu nehmende Risiken in sich. Hauptsächlich, weil so die Grenze zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln bedenklich verschwimmt. „Wir sehen die Verwendung arzneilich wirksamer Bestandteile in Lebensmitteln kritisch. Eine derartige Unschärfe zwischen Arznei- und Lebensmitteln kann nicht im Sinne des Verbraucherschutzes sein“, stellt Professor Michael Habs, Geschäftsführer der Firma Schwabe in Karlsruhe, dazu fest. Er führt

Gründe an für seine Bedenken:

– Arzneimittel müsen sehr strenge gesetzliche Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfüllen, Lebensmittel nicht.

– Ein Arzneimittel muss in einer bestimmten, wissenschaftlich belegten Dosierung regelmäßig eingenommen werden, damit es eine Wirkung entfaltet. Bei Lebensmitteln kann eine vergleichbar hohe Dosierung Probleme verursachen.

– Zur Herstellung von modernen pflanzlichen Arzneimitteln (Phytopharmaka) braucht es hoch entwickelter Technologie, denn beispielsweise in Ginkgo biloba sind neben den heilsamen auch potentiell schädliche Substanzen enthalten. Die müssen fachgerecht eliminiert werden.

Quelle:

Komitee Forschung Naturmedizin e. V. (KFN), www.phytotherapie-komitee.de

Kommentar & Ergänzung: Bundesgerichtshof verbietet Ginkgo-Zusatz in einem Lebensmittel

Die Pressemitteilung des KFN spricht tatsächlich eine problematische Entwicklung an.

Hersteller von Lebensmitteln versuchen zunehmend, ihre Produkte mit Heilungsversprechungen verknüpft zu vermarkten. Dabei spielen neben Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen oft auch Heilpflanzen eine zentrale Rolle. Ein bisschen Ginkgo ins Getränk und schwups – schon glauben viele Leute, sie täten damit ihrem Gehirn etwas Gutes. Ein bisschen Rotes Weinlaub für die Venen?

Ein bisschen Preiselbeere gegen Blasenentzündung kann auch nicht schaden… Grüntee-Extrakt ist sowieso immer gesund, sogar im Haarshampoo oder in der Fusscrème. Oder gar Aloe vera für alles, gegen alles und in allem, auch in den Strumpfhosen und im Waschpulver……

Das ist oft wirklich blanke Konsumenten-Verarschung – wobei allerdings fast noch schlimmer ist, wie leicht sich viele Konsumentinnen und Konsumenten ohne einen Funken kritischen Nachdenkens verarschen lassen, wenn es um Gesundheit geht. Besonders leichtgläubig sind nach meiner Erfahrung oft esoterisch angehauchte Personen mit starker Affinität zu den Bereichen Komplementärmedizin / Alternativmedizin. Die lassen sich häufig auch den eklatantesten Unsinn andrehen. Je absurder desto mehr steht ihnen vor Staunen der Mund offen, während das Gehirn offenbar im „sleep-modus“ verharrt.

Aber sorry – ich will ja nicht „gifteln“ und bin etwas abgeschweift….

Es macht mir aber wirklich Sorgen, wohin das eigentlich führt, wenn diese „sanfte Verblödung“ (Hans A. Pestalozzi) weiter um sich greift – auch politisch.

Zurück zur Pressemeldung:

Wenn darin Professor Michael Habs als Geschäftsführer der Firma Schwabe in Karlsruhe zu Wort kommt, dann ist klar: Die Firma Wilmar Schwabe hat ein grosses Interesse daran, dass Ginkgo seinen Heilmittelstatus behält und nicht zum Lebensmittelzusatz verkommt. Schliesslich ist Schwabe der führende Hersteller von Phytotherapeutika auf der Basis von Ginkgo-Extrakt (Tebonin, Tebofortin, Tebokan).

Dieser Interessens-Hintergrund kommt in der Pressemitteilung nicht zur Sprache.

Die Argumentation von Habs kann ich aber voll und ganz nachvollziehen. Vor der Anwendung einer Arznei steht idealerweise eine Diagnose. Das gilt selbst bei banalen Alltagsbeschwerden, bei denen dann eine Diagnose wie „Schnupfen“ oft von der betroffenen Person selber gestellt wird. Und es gilt auch für die Anwendung von Heilpflanzen. Habs betont auch sehr zu Recht, dass beim Einsatz von Arzneimitteln eine konstante Dosierung über eine gewisse Zeit nötig ist.

Diese Bedingungen sind in keiner Weise erfüllt, wenn Heilpflanzen willkürlich irgendwelchen Lebensmitteln beigemischt werden.

Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, den Habs nicht erwähnt hat:

Die Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln (Phytopharmaka) wie Schwabe wenden viel Geld auf, um die Wirksamkeit und Sicherheit ihrer Heilpflanzen-Extrakte auch wissenschaftlich abzusichern. Wenn Schwabe die Wirksamkeit seines Ginkgo-Extraktes wissenschftlich belegt, dann sind diese Erkenntnisse nicht auf andere Zubereitungen aus Ginkgo (wie Ginkgo-Tee, Ginkgo-Tinktur oder anders hergestellte Ginkgo-Extrakte) übertragbar. Trotzdem profitieren dann auch Lebensmittelfirmen mit Produkten, die durch Ginkgo „aufgemotzt“ werden vom Ruf, den die Heilpflanze durch die Forschungen der Phytopharmaka-Hersteller erworben hat.

So profitieren Lebensmittel-Hersteller mit Ginkgo-Zusätzen von den Forschungen der Phytopharmaka-Hersteller ohne dass sie Eigenleistungen erbringen und sind damit klassische Trittbrettfahrer.

Wer sinnvoll findet, dass die Wirkung von Heilpflanzen wissenschaftlich erforscht und belegt wird, der sollte daher auch die Präparate von Herstellern vorziehen, die solche Forschung durchführen.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
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www.phytotherapie-seminare.ch

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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

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