Tabuthema Nr. 1 in der Naturheilkunde und daher fast unbekannt: Im “Dritten Reich” wurde die Naturheilkunde stark gefördert. Vollwerternährung und Vegetarismus wurden staatlich stark propagiert. Führende Nationalsozialisten wie Hess, Himmler und Streicher standen der Homöopathie oder Anthroposophie nahe und förderten entsprechende Projekte. Im KZ Dachau erstellten und bewirtschafteten Häftlinge unter brutalen Bedingungen riesige Heilpflanzen-Plantagen. In den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald wurden schlimme Menschenversuche mit Naturheilmitteln durchgeführt.
Keine Frage: Die damalige Medizin hat sich viele Ungeheuerlichkeiten zuschulden kommen lassen und es hat lange gedauert, bis sie sich mit diesen Verstrickungen auseinandergesetzt hat. Inzwischen hat eine solche Aufarbeitung aber immerhin stattgefunden.
Die Naturheilkunde dagegen blendet ihre eigene unheilsame Verwicklung mit dem nationalsozialistischen Regime weitestgehend aus. Als Reaktion auf die unerfreulichen Fakten kommt allenfalls noch die Aussage, dass hier halt eine gute Sache, die Naturheilkunde, von einem bösen Regime missbraucht wurde.
Damit macht man es sich aber viel zu einfach. Stark zu denken geben müsste nämlich vor allem der Umstand, dass die Ideologien, die Weltbilder von Naturheilkunde und Nationalsozialismus an vielen Punkten absolut kompatibel waren.
Naturheilkunde & Nationalsozialismus – ein tabuisiertes Thema
Daher wäre es meines Erachtens sehr wichtig, dass sich die heutige Naturheilkunde mit diesem tabuisierten Thema auseinandersetzen würde. Wir können viel daraus lernen für die Gegenwart, wo im Grenzbereich von Naturheilkunde und Esoterik fast unbemerkt und kaum hinterfragt antidemokratisches, menschenverachtendes oder gar “braun” angehauchtes Gedankengut wieder aufkommt. Verpackt in wohlklingende Worte und hinter menschenfreundlichen Fassaden sind solche unerfreulichen Aspekte oft schwer zu erkennen.
Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist für die Naturheilkunde meines Erachtens aber auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Mir ist in meiner inzwischen über 25jährigen Tätigkeit im Bereich der Naturheilkunde immer wieder aufgefallen, wie stark viele Naturheilkundige von einem Gut-Böse-Schema ausgehen: Hier die gute, lebens- und menschenfreundliche Naturheilkunde, dort die böse, lebens- und menschenfeindliche Medizin. Im Rahmen dieses “Lagerdenkens” ist immer fraglos klar, dass man moralisch auf der guten Seite steht. Das Thema “Naturheilkunde und Nationalsozialismus” bedroht diese eindeutige moralische Trennung in Gut und Böse. Das dürfte mit ein Grund für die Abwehr sein, auf welche dieses Thema stösst.
Wer sich ernsthaft mit der Rolle der Naturheilkunde im “Dritten Reich” auseinandergesetzt hat, wird dieses simple Schwarz-Weiss-Denken nicht mehr so einfach praktizieren können. Das wäre ein heilsamer Aspekt für die Naturheilkunde. denn die Aufweichung solcher Gut-Böse-Schemata scheint mir zentral, wenn sie sich konstruktiv weiter entwickeln soll.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Seminar für Integrative Phytotherapie / Forum Naturheilkunde und Philosophie
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www.phytotherapie-seminare.ch
Kurshinweis, falls Sie sich fundierter über dieses Thema informieren möchten:
Naturheilkunde und Nationalsozialismus – eine fast unbekannte, unheilsame Verbindung
…und was wir heute daraus lernen können
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