Hamburger Wissenschaftler entdeckten, dass ein Wirkstoff aus Grüntee die Infektiosität von HIV-1 im Laborexperiment drastisch reduziert. Ilona Hauber und ihre Kollegen vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg sind der Ansicht, dass dieser Hemmstoff, wenn er in konzentrierter Form in mikrobiziden Vaginalcremes enthalten ist, vor der sexuellen Übertragung von HIV schützen könnte. Die Resultate ihrer Untersuchung publizierten die Virologen jetzt im Fachjournal PNAS (online Early Edition 18. Mai 2009).
Ulmer Forscher hatten vor 2 Jahren entdeckt, dass in menschlichen Spermien feinste Fäden, so genannte amyloide Fibrillen, enthalten sind, die mit HIV und der Zelloberfläche wechselwirken. Dies passiert, in dem sich HIV in das Proteinnetz der Fibrillen einlagert, dadurch nah an die Zelloberflächen kommt und so eine effektive Infektion von Zellen ermöglicht wird. Die Fibrillen heißen abgekürzt SEVI (Semen-derived Enhancer of Viral Infection) und sind Abbauprodukte eines Eiweisses, das in hohen Mengen in Spermien enthalten ist. Mit Hilfe von SEVI steigt die Infektiosität von HIV drastisch. Ein Hemmstoff, der SEVI in den Spermien abbaut und unschädlich macht, könnte somit auch die Ansteckung mit HIV bei der sexuellen Übertragung reduzieren, so war die Idee der Hamburger Wissenschaftler.
Wirkstoff im Grüntee
Ilona Hauber wurde hellhörig, als sie Untersuchungen über einen Wirkstoff im Grüntee las, der Eiweissablagerungen und feinste Fibrillen in Blutgefäßen abbauen kann. „Wir testeten diesen Wirkstoff in hochreiner und konzentrierter Form an Zellen in Anwesenheit von SEVI und stellten fest, dass die Infektion von Zellen mit HIV-1 dramatisch sank“, schildert Hauber. Das Catechin EGCG (Epigallocatechingallat), so heißt einer der Hauptwirkstoffe im Grüntee, verhindert die Bildung der Fibrillen und baut diese auch innerhalb mehrerer Stunden ab. Mit dem Elektronenmikroskop konnten die Hamburger Kollegen am Heinrich-Pette-Institut diese dynamischen Vorgänge verfolgen.
Ilona Hauber warnt aber vor falschen Vorstellungen: „Es nutzt nichts, große Mengen an Grünem Tee zu trinken und dann zu glauben, damit sei man vor HIV geschützt! Der Wirkstoff EGCG muss in höherer Konzentration mit Spermien in Berührung kommen, und das ist als Wirkstoff in Vaginalcremes vermutlich am besten zu erreichen. Wir hoffen, dass sich so vielleicht verbesserte Cremes entwickeln lassen, die auch für den afrikanischen Markt als kostengünstige Prophylaxe geeignet wären!“
Quellen:
http://www.journalmed.de/newsview.php?id=25848
Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Universität Hamburg (HPI)
Kommentar & Ergänzung: Grüntee-Wirkstoff EGCG senkt HIV-& Übertragung im Labor
Es gibt eine Unmenge von Laboruntersuchungen mit EGCG, in denen positive Wirkungen gefunden wurden. Weil diese Ergebnisse oft vorschnell und verkürzt in die Medien gelangen, entsteht zunehmend der Eindruck vom Grüntee als umfassendem Naturheilmittel für fast alle relevanten Krankheiten.
Dabei ist bei Resultaten aus dem Labor immer die Frage, wie weit sie auf den Menschen übertragen werden können.
Darum ist es sorgfältig, wenn Ilona Hauber vor unrealistischen Vorstellungen warnt.
Trotz dieser Warnung meldet die Zeitschrift „Focus“ die Studie unter der Schlagzeile: „Grüner Tee schützt Frauen vor Aids“. Das ist ein total unseriöser, reisserischer Titel. Im Moment geht es um Laborexperimente. Falls diese Erkenntisse überhaupt einmal zur Anwendung kommen sollten, wird es noch Jahre dauern. Und dann wurde ja ein isolierter Wirkstoff EGCG untersucht, so dass auch „Grüner Tee schützt…“ falsch ist.
Grüntee gehört für die Phytotherapie zweifellos zu den interessanten Heilpflanzen, doch muss man die vielen Versprechungen genau unter die Lupe nehmen und differenziert betrachten.
Epidemiologische Untersuchungen geben Hinweise auf vorbeugende Effekte gegen gewisse Tumore und gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, doch liegen diesen Resultaten durchwegs relativ hohe Grüntee-Mengen pro Tag zugrunde und sie lassen sich zum Teil auch durch andere Ursachen erkären.
Das grosse Interesse der Forschung an EGCG zeigt aber auf jeden Fall wieder einmal, dass Heilpflanzen als Quelle von Medikamenten immer noch sehr relevant sind. Soll mir also niemand pauschal erzählen, Heilpflanzen seien ohne Wirkung. Es geht vielmehr darum, sorgfältig Wirksames von Unwirksamem zu trennen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch