Ein großer Teil der Bevölkerung ist ziemlich verunsichert, wenn es um selbst gesammelte Pilze, Beeren oder Heilkräuter geht. Schliesslich hört man immer wieder vom Fuchsbandwurm, der zu schweren Erkrankungen führen kann. Fuchskot kann Eier des Fuchsbandwurms enthalten und dadurch als Infektionsquelle dienen.
Doch eigentlich, erklärt Katharina Alpers vom Robert-Koch-Institut (RKI), stehen die Befürchtungen in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Risiko.
Seit 2001 gibt es in Deutschland eine Meldepflicht beim RKI für die vom Kleinen Fuchsbandwurm verursachte Alveoläre Echinokokkose: Zwischen 2001 und 2008 sind in Deutschland 149 neue Krankheitsfälle aufgetreten, im Schnitt 18,6 Fälle pro Jahr. Beate Grüner, die in der Echinokokkose-Spezialambulanz der Uniklinik Ulm Patienten aus ganz Deutschland behandelt, geht zwar von einer Dunkelziffer aus und rechnet mit etwa 70 Fällen jährlich. Doch selbst mit dieser Annahme bleibe die Alveoläre Echinokokkose eine seltene Krankheit, hält sie fest.
Einen Grund für die tief sitzenden Ängste sieht Alpers im schweren Verlauf der Krankheit. Eine weitere Erklärung, die sie als Parasitologin immer wieder erlebt hat: „Irgendwie scheinen Würmer den Menschen größere Angst zu machen als andere Erreger.“
Entwicklungskreislauf
Im Entwicklungskreislauf des Kleinen Fuchsbandwurms (Echinococcus multilocularis) sind wir Menschen ein Fehlzwischenwirt. Der Mensch nimmt die Bandwurmeier über den Mund auf. Via Magen und Darm gelangt die Larve in den Blutkreislauf und die Leber. „Zu mehr als 99 Prozent setzen sich die Larven dort fest, es entwickelt sich ein tumorähnliches Gebilde“, sagt Grüner. Auch umliegendes Gewebe sowie Lunge oder Gehirn können im Verlauf der Krankheit befallen werden.
Weil Frühsymptome häufig fehlen, kann eine einmal ausgebrochene Erkrankung über viele Jahre unbemerkt bleiben. „Oft wird sie per Zufall entdeckt, wenn die Leute einen Check-up machen lassen.“ Früher endeten 90 Prozent der Erkrankungsfälle tödlich, „heute können wir 90 Prozent der Patienten gut helfen, aber die Behandlung gehört unbedingt in eine erfahrene Hand“, betont Grüner. Medikamente halten das Tumorwachstum auf, ganz abtöten können sie den Erreger aber nicht. Sie müssen deshalb lebenslang eingenommen werden.
Die lange Inkubationszeit von fünf bis fünfzehn Jahren macht es ausgesprochen schwierig, den Übertragungsweg nachzuweisen. Versucht wurde dies 1995 in einer Untersuchung in Römerstein auf der Schwäbischen Alb. Die Gemeinde liegt in einer Region, in der von einem dauerhaften Befall der Füchse auszugehen ist – gemäss Robert-Koch-Institut: Schwäbische Alb, Alb-Donau-Region, Oberschwaben und Allgäu. Bis zu 75 Prozent der Füchse sind dort infiziert. Diese Rate ist nicht überall gleich hoch. In Hessen sind es vergleichsweise laut Umweltministerium etwa 30 Prozent.
Studie
In Römerstein wurden 2560 Personen für die Studie untersucht. In einem Fall wurde eine Alveoläre Echinokokkose festgestellt. 49 Personen zeigten Antikörper im Blut, ohne dass ein Befall gefunden wurde. Ähnliche Resultate ergab eine Studie sieben Jahre später in Leutkirch. Professor Peter Kern hat die Römerstein-Studie koordiniert. Er koordiniert auch das Europäische Echinokokkose-Register Ulm, wo alle bekannt gewordenen Infektionen mit dem Fuchsbandwurm erfasst und dokumentiert werden. „Ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Waldfrüchten und einer Infektion mit dem Fuchsbandwurm lässt sich nicht herleiten“, erklärt er. Nicht einmal Jäger oder Forstarbeiter gehörten zu den speziell gefährdeten Personen.
Das größte Risiko sieht Professor Kern ohnehin nicht im Fuchs sondern im Hund – vorausgesetzt er bekommt gelegentlich eine Maus zu fassen. Denn kleine Nagetiere sind der perfekte Zwischenwirt für den Kleinen Fuchsbandwurm. Frisst der Hund eine infizierte Maus, wird er zum Endwirt, wodurch sich der Entwicklungskreislauf schließt.
Fuchsbandwurmeier, die der Hund mit dem Kot ausscheidet und die im Fell haften, können über die streichelnde Hand, die unbedacht zum Mund geführt wird, durch den Menschen aufgenommen werden. Ein einmaliger Kontakt genüge jedoch nicht, so Kern. Entscheidend für die Infektion sei das „lange bestehende, enge Zusammenleben“ von Mensch und Hund. Auch Katzen können Endwirt sein, wenn auch kein idealer: „Der Fuchsbandwurm geht im Katzendarm schlecht an.“
Landwirte
Der oft vertretenen These, dass Landwirte zur gefährdeten Gruppe zählen, weil sie bei der Feldarbeit mit dem aufgewirbelten Staub auch Fuchsbandwurmeier einatmeten, steht Kern skeptisch gegenüber. „Zu einem Bauernhof gehört in der Regel auch ein Hund“, erläutert er – und damit schließt sich für ihn der Kreis. Er empfiehlt daher, Hunde „alle drei Monate zu entwurmen“. Nach dem Kontakt mit dem Tier, hauptsächlich vor dem Essen, seien die Hände waschen.
Noch gibt es zahlreiche Unklarheiten, sowohl zum Übertragungsweg als auch zur für den Menschen riskanten Dosis. Auch begünstigende genetische Faktoren werden diskutiert. Gewiss scheint: Die Betroffenen müssen über einen längeren Zeitraum immer wieder mit den Eiern des Fuchsbandwurms in Kontakt kommen, damit die Krankheit auch ausbricht. Und die Abwehrkräfte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. „Es ist wie bei fast jeder Infektionskrankheit“, erklärt Grüner, „meist schafft es das Immunsystem, den Erreger zu eliminieren.“
Besorgte Waldkindergärtnerinnen, die sich in der Echinokokkose-Sprechstunde erkundigen, ob sie ihre Schützlinge noch in den Wald lassen können, bekommen darum von ihr die Antwort: „Sie können, wenn sie bodennahe Früchte und Kräuter und auch die Hände vor dem Essen waschen.“
Steffen G. Fleischhauer, Diplom-Ingenieur für Landschaftsplanung und Lehrbeauftragter für „Essbare Wildpflanzen“, gibt zu bedenken, dass er Füchse viel häufiger auf Feldern sieht als im Wald. „Wer ganz sicher gehen will, müsste dann eigentlich auch Erdbeeren abkochen.”
Vorsichtsmaßnahmen gegen Fuchsbandwurm
Füchse bewegen sich gerne entlang natürlicher Grenzen wie Bachläufen oder Trampelpfaden, erklärt Manfred Eckhardt, Jagdsachbearbeiter bei Hessen-Forst. Kot setzen sie gerne an markanten Stellen ab: auf Baumstümpfen, großen Steinen oder Wegkreuzungen. Wer ganz sichergehen will, sollte entlang solcher Linien Früchte erst ab Kniehöhe sammeln.
Die Beeren sollten gründlich gewaschen werden, um allfällige Fuchsbandwurmeier möglichst zu entfernen. Wer ganz sicher sein will, muss sie jedoch kochen: erst ab etwa 70 Grad sterben die Eier. Einfrieren hilft nicht.
Quelle: http://www.fr-online.de/wissenschaft/seltene-krankheit-diffuse-angst-vor-dem-fuchsbandwurm,1472788,3241892.html
Kommentar: Waldbeeren & Fuchsbandwurm – diffuse Ängste
Im Umgang mit dem Thema Fuchsbandwurm spiegelt sich wohl auch die starke Naturentfremdung unserer Kultur. Ein angemessenes Verhalten in der Auseinandersetzung mit Risiken der Natur scheint dabei zunehmend verloren zu gehen. Dabei lassen sich zwei gegensätzliche Extreme beobachten.
Einerseits gibt es eine naive Idealisierung der Natur, die ausschliesslich als wohlwollend und heilend interpretiert wird. Die Haltung zeigt sich zum Beispiel, wenn Leute begeistert Wildsalate und Wildgemüse sammeln und essen, ohne dass sie sich vorgängig die Kenntnisse aneignen, mit denen sich die Pflanzen sicher erkennen und unterscheiden lassen. Heilpflanzen gelten auf dem Boden dieser Einstellung einseitig als vollkommene und wunderbare Helfer. Dass sie auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können und deshalb nur mit Sorgfalt und Fachwissen eingesetzt werden sollten, fällt dabei ausser Betracht.
Andererseits gibt es aber auch die Dramatisierung von Naturrisiken, wie sie zeitweise beim Thema Fuchsbandwurm zu beobachten ist. Dabei gehen dann oft völlig die Proportionen verloren. Der oben zusammengefasste Artikel der “Frankfurter Rundschau” rückt hier einiges zurecht.
Es scheint mir eine Herausforderung für uns heutige Menschen, die Risiken im Umgang mit der Natur weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Am besten gelingt dies meines Erachtens, wenn wir mit der Natur wieder vertrauter werden. Heilpflanzenkunde und Heilkräuter-Exkursionen sind ein möglicher Weg in diese Richtung.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch