Die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ (GPSP) veröffentlichte eine Liste mit Anzeichen für Quacksalberei. Sie soll dabei helfen, falsche Versprechungen besser zu erkennen.
Wir werden überschwemmt mit Propaganda für Produkte, die uns gesund machen oder gesund erhalten sollen, und mit Heilungsversprechungen aller Art. Auch im Bereich Komplementärmedizin / Naturheilkunde.
Lange nicht alles, was in Werbung, im Internet, aber auch in Zeitschriften und Gesundheitssendungen propagiert wird, ist wirklich wirksam. Vieles ist von fragwürdigem Nutzen oder manches sogar riskant, überzeugende wissenschaftliche Nachweise fehlen häufig. Menschen, die mit Heilwissen prahlen, das sie gar nicht haben, werden seit jeher Quacksalber genannt. Dementsprechend fallen zahlreiche angebliche „Medikamente“ unter den Begriff „Quacksalberei“. Häufig handelt es sich dabei in Wirklichkeit gar nicht um Arzneimittel, sondern um sogenannte Nahrungsergänzungsmittel, deren Wirkungen nicht routinemäßig geprüft werden.
GPSP schreibt:
„Vitamine gegen Schwerhörigkeit? Weiter essen wie bisher und dennoch abnehmen? Manchmal klingt Werbung zu gut, um wahr zu sein. Schenken Sie Werbebotschaften keinen Glauben, seien Sie skeptisch.“
Hier neun Punkte von dieser Liste und dazwischen ein paar Zeilen mit ergänzenden Bemerkungen von mir (kursiv):
„Keine Nebenwirkungen
Die Jahrhunderte alte Erfahrung der Medizin lehrt, dass es in der Medizin keine Wirksamkeit gibt ohne das Risiko von Nebenwirkungen. Ein Mittel, das mit dem Hinweis ‚ohne Risiken’ beworben wird, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keine Wirkung.“
Ja, der Hinweis ‚nebenwirkungsfrei’ müsste tatsächlich ein Grund sein, besonders genau nachzufragen, ob eine Wirkung vorhanden ist. Es gibt auch Heilpflanzen-Präparate mit unerwünschten Nebenwirkungen.
„Erfolgsgarantie
Versprochen wird vieles – wird es auch eingehalten? Bei Medikamenten kann es keine Erfolgsgarantie geben. Das gilt erst recht für oft dürftig belegte Alternativmethoden. Häufig werden angeblich ’sanfte Erfolgsmittel‘ mit der Behauptung angepriesen, sie würden besser wirken als ’normale‘ Arzneimittel. Das kann dazu führen, dass eine bewährte Therapie zu Gunsten von Quacksalber-Methoden abgesetzt wird.“
Erfolgsgarantien sind in der Heilkunde immer ein Grund, um besonders kritisch nachzufragen. Insbesondere wenn sich die Garantien auf schwer behandelbare Krankheiten beziehen wie beispielsweise Krebs, Polyarthritis, Neurodermitis, Multiple Sklerose.
„Vielseitig wirksam
Besondere Vorsicht ist ratsam, wenn ein Mittel gegen viele verschiedene Leiden mit völlig unterschiedlichen Ursachen helfen soll, beispielsweise gegen Bluthochdruck, AIDS und Krebs. Eine solche Allround-Pille ist leider ein Wunschtraum.“
Die Medizingeschichte ist voll mit solchen Panazeen, Heilmitteln also, die gegen (fast) alle Krankheiten helfen sollen. Ein solches Wundermittel entspricht wohl einfach den Bedürfnissen vieler Menschen zu allen Zeiten.
Wird ein Heilmittel gegen sehr viele unterschiedliche Krankheiten propagiert, so spricht man auch von „Indikationslyrik“.
Ein Beispiel für Indikationslyrik ist der Schwedenbitter (= Schwedenkräuter), welcher von der Österreicherin Maria Treben als Universalheilmittel propagiert wurde.
„Exotische Herkunft
Algen aus Hawaii oder Kristallsalz aus dem Himalaja? Ein Produkt wird nicht durch die Herkunft geadelt. Die Anbieter versuchen, ihre Präparate aufzuwerten und den Glanz ferner Naturparadiese für ihr Angebot zu nutzen. In der Regel gibt es keinen Beleg für einen besonderen Nutzen dieser exotischen Heilmittel und die hohen Preise sind durch nichts zu rechtfertigen.“
Auch dafür gibt es in der Medizingeschichte unzählige Beispiele. Als die Kartoffel nach Europa kam, galt sie zuerst als wertvolle Arznei. Auch heute noch gibt es den „Exoten-Bonus“.
Hoch geschätzt wird beispielsweise Teebaumöl aus Australien, welches angeblich schon seit Urzeiten von den Aborigines verwendet wurde. Die Aborigines nutzen jedoch die Blätter von Melaleuca alternifolia als Tee, nicht das isolierte ätherische Teebaumöl. Und dass auch viele weniger exotische ätherische Öle ähnliche Wirkungen wie Teebaumöl zeigen, geht leicht vergessen.
„Besser als die Schulmedizin
Die Anbieter mancher Mittel versprechen Heilung selbst dann, wenn alle Möglichkeiten der Schulmedizin ausgeschöpft sind. Derartige Heilversprechen werden in der Regel leider nicht von einer neutralen, verlässlichen Stelle überprüft. Quacksalber geben dennoch solch ein Versprechen, um in ausweglosen Situationen, z.B. bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen, zweifelhafte Produkte zu verkaufen. Für diese als „letzter Strohhalm“ feilgebotenen Präparate muss meist viel Geld bezahlt werden.“
Die ‚Komplementärmedizin’ verspricht oft Heilung in Situationen, in denen die ‚Schulmedizin’ an Grenzen kommt. Dabei wird oft verwischt, dass es auch tatsächliche Grenzen der Heilbarkeit geben kann. So unangenehm oder unakzeptabel uns das auch manchmal erscheinen mag. Das Risiko von Krankheiten gehört zum Leben und der Anspruch auf totale Gesundheit ist wohl einfach nicht einlösbar.
Sie dazu auch:
Tagesseminar: Chronische Krankheiten besser verstehen und damit umgehen
Tagesseminar: Komplementärmedizin – Basiswissen zur Orientierung im überquellenden Angebot
„Erfahrungsberichte als ‚Wirksamkeitsbelege’
Gerade wenn nachvollziehbare Daten aus wissenschaftlichen Studien fehlen, verweisen die Hersteller gerne auf umfangreiche Erfahrungen mit den Mitteln. Seien Sie auf der Hut bei Behauptungen, die mit begeisterten Erfolgsberichten angeblicher Patienten begründet werden. Diese sagen ebenso wenig über den tatsächlichen Nutzen und die Risiken eines Arzneimittels oder einer Nahrungsergänzung aus wie Behauptungen, die auf Weltanschauungen basieren.“
Positive „Erfahrungen“ im Stil von Akekdoten reichen tatsächlich nicht als Begründung.
Siehe:
Naturheilkunde braucht sorgfältigeren Umgang mit Erfahrung
Naturheilkunde – Erfahrung genügt nicht als Begründung
Pflanzenheilkunde: Erfahrung allein genügt nicht zur Begründung
„Personenkult um den Behandler
Wenn das Funktionieren einer Behandlung an eine bestimmte Person oder eine Einrichtung gebunden wird, ist größte Vorsicht angebracht. Warum kann sie nicht auch von anderen eingesetzt werden? Oder geht es hier vor allem um Geld? Personengebundene Methoden, die den Nimbus eines bestimmten Menschen nutzen, werden in der Regel nicht durch Dritte überprüft. Eine unabhängige Kontrolle von Nutzen und Risiken fehlt.“
Guru-fixierte Heilmethoden gibt es im Bereich der Komplementärmedizin leider zuhauf.
Siehe:
Esoterikfreie Pflanzenheilkunde warum?
„Seit Jahrzehnten bewährt
Statt ‚seit Jahrzehnten bewährt’ müsste es eher heißen ‚seit Jahrzehnten beworben und verkauft’. Aber nicht alles, was häufig verkauft wird, ist auch wirksam und unbedenklich.“
Naturheilkunde und Pflanzenheilkunde haben eine lange und faszinierende Tradition, von der wir auch heute noch lernen können. Das heisst aber nicht, dass Tradition immer Recht hat. Tradition allein reicht daher nicht als Begründung.
Siehe:
Komplementärmedizin – hat Tradition recht?
„Wirksam – und doch nicht als Arzneimittel zugelassen
Wenn ein Mittel belegbar gut wirksam und verträglich ist, warum wird dann nicht die Zulassung als Arzneimittel beantragt? Das hätte doch den Vorteil, dass das Produkt von Ärzten verordnet werden könnte und von Krankenkassen bezahlt würde. Aber so mancher Anbieter scheut das Urteil neutraler Fachleute, die durchschauen könnten, dass die Wirksamkeitsbelege mangelhaft sind oder sogar fehlen.“
Auch das ist ein wichtiger Kritikpunkt. Viele Heilpflanzen-Präparate werden nur als Nahrungsergänzung auf den Markt gebracht und müssen daher keinerlei Wirksamkeit belegen. Ich würde pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel nicht grundsätzlich und pauschal schlecht machen, doch ist es für Konsumentinnen und Konsumenten meist nicht klar, ob ein Heilpflanzen-Präparat seine Wirksamkeit belegt hat oder nicht.
Noch intransparenter wird die Situation dadurch, dass es auch zugelassene Arzneimittel gibt, die vom Nachweis der Wirksamkeit befreit sind (Präparate der Homöopathie und der Anthroposophischen Medizin, aufgrund von „Tradition“ zugelassene Heilpflanzen-Präparate, sogenannte Hausspezialitäten von Apotheken und Drogerien).
„Betonung auf ‚Ausgleich von Mängeln in der Ernährung’
Angeblich sollen unserem Essen wichtige Stoffe fehlen. Diese Mängel sollen sich nicht durch die tägliche Nahrungsaufnahme ausgleichen lassen. Dabei war die Versorgung mit Nahrungsmitteln in unseren Breiten noch nie so vielfältig und lückenlos wie heutzutage. Bestehen diätbedingte Versorgungsmängel, muss die Ernährung entsprechend angepasst werden. Für Gesunde sind Vitamin- und Mineralstoffpräparate in der Regel überflüssig und manchmal sogar schädlich. Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts hat gezeigt, dass die Menschen in Deutschland grundsätzlich ausreichend Vitamine und Mineralien zu sich nehmen. Mangelzustände sind selten und werden meist durch Erkrankungen verursacht. Diese müssen ärztlich behandelt werden.“
Ja, uns wird ständig eingeredet, dass man sich heute nicht mehr ausreichend mit Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und was weiss ich nicht noch allem ernähren kann. Und dann werden entsprechende Produkte als Ergänzungsmittel propagiert. Man muss den Leuten einen Mangel einreden, damit sie ausgleichende Produkte kaufen. Das ist ein ausgesprochen lukratives Geschäft und sehr ähnlich einem Ablasshandel. Zuerst müssen die Menschen von ihrer Sündhaftigkeit überzeugt werden, damit sie Erlösung kaufen. Nicht umsonst wohl spricht man sogar von Ernährungssünden.
Quelle:
http://gutepillen-schlechtepillen.de/pages/archiv/jahrgang-2006/nr.-6-dez.-2006/indizien-fuer-quacksalberei.php
Kommentar & Ergänzung:
Zum Thema Qualitätssicherung in der Komplementärmedizin:
Komplementärmedizin – woran erkennen Sie fragwürdige Aussagen?
Und zu Kriterien der Qualitätssicherung in der Phytotherapie-Ausbildung:
Phytotherapie-Ausbildung: Gedanken zur Qualitätssicherung
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch