Das Raucherentwöhnungs-Medikament Champix (Vareniclin) von Pfizer erhöht bei Patienten möglicherweise das Risiko von Depressionen, Selbstverletzungen und Suiziden. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls US-Wissenschaftler, die die von 1998 bis 2010 bei der Arzneimittelbehörde FDA gemeldeten Nebenwirkungen analysiert haben. Für Vareniclin, das erst seit 2007 zugelassen ist, fanden die Forscher über 9500 Meldungen, von denen fast jede dritte auf Depressionen, Selbstverletzung oder Suizid entfiel.
Für das Präparat Zyban (Bupropion) von GlaxoSmithKline wurden 1750 Nebenwirkungen gemeldet, davon zählten 13 Prozent zu der genannten Gruppe. Bei Nikotinersatzpräparaten wurden 1900 unerwünschte Wirkungen gemeldet, in 95 Fällen (5 Prozent) traten Depressionen und Selbstverletzung auf.
Die Resultate der Untersuchung zeigen den Wissenschaftlern zufolge das erheblich erhöhte Risiko bei der Vareniclin-Therapie. Unter Berücksichtigung der schon bekannten Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Angstzustände oder Erbrechen raten die Forscher, Vareniclin nicht mehr als Mittel erster Wahl zur Raucherentwöhnung zu verwenden.
Quelle:
http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/wissenschaft/suizidgefahr-bei-champix
Moore TJ et al: Suicidal Behavior and Depression in Smoking Cessation Treatments. PLOS one 6 (11): e27016. doi: 10.1371/journal.pone.0027016
Kommentar & Ergänzung:
Die Deutsche Apotheker-Zeitung (DAZ) hat dazu eine Stellungnahme von Pfizer veröffentlicht:
„Pfizer erklärte auf Anfrage, dass man die Interpretation der Daten durch die Autoren nicht teile. Die veröffentlichte Analyse der Post-Marketing-Berichte von Moore et al. biete keine belastbaren medizinischen Informationen. Die Schlussfolgerung der Autoren würden aktuellen wissenschaftlichen Analysen sowohl der FDA als auch der EMA sowie den vorliegenden Daten aus klinischen Studien. widersprechen. Beide Behören hätten auf Basis aller aktuell vorliegenden Sicherheits- und Studiendaten von Champix wiederholt ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für Champix bescheinigt. Die FDA habe noch am 24. Oktober 2011, die Ansicht vertreten, dass auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Daten der Nutzen des Präparats die Risiken überwiegt und dass die Warnhinweise in aktuellen informierenden Texten zu Champix angemessen seien. Im Juli 2011 hatte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA ebenfalls eine positive Nutzen-Risiko-Bewertung für Vareniclin abgegeben.“
Die DAZ weißt aber auch darauf hin, dass die FDA schon im Juli 2009 entsprechende Meldungen zum Anlass für einen verschärften Warnhinweis (Boxed Warning) genommen hatte.
Quelle:
http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/news/2011/11/07/selbstmordgefahr-unter-vareniclin-champixR-besonders-hoch.html
Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, welche Argumente hier stichhaltiger sind.
Das pauschale Feindbild „Pharmaindustrie“ und die damit zusammenhängenden Verschwörungstheorien, wie sie in weiten Bereichen der Komplementärmedizin verbreitet sind, halte ich für sehr fragwürdig (und ich will diese Schwarz-Weiss-Feindbilder auch nicht „füttern“ mit diesem Beitrag).
Kritische Haltung versus Feindbilder
Das schliesst aber natürlich nicht aus, konkrete problematische oder gar riskante Aspekte im Bereich „Pharma“ sehr kritisch in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Eine „Feindbildhaltung“ und eine „kritische Haltung“ sind zwei fundamental unterschiedliche Dinge. Feindbilder sind pauschal, sie funktionieren reflexartig und frei von Nachdenken. Eine kritische Haltung basiert dagegen auf Argumenten, wägt diese ab und ist immer so konkret wie möglich.
Leider ist es ein immer wiederkehrendes Phänomen, dass Pharmakonzerne sichtbar werdende Risiken ihrer Produkte erst einmal gründlich Kleinreden.
Und die Marketingabteilung einer Pharmafirma wie zum Beispiel Pfizer hat sehr viel mehr Ressourcen als irgendeine unabhängige(re) Wissenschaftlergruppe, um ihre Position durchzusetzen.
Um diese eklatante Dysbalance auszugleichen ist es angemessen, der kritischen Forschergruppe sehr gut zuzuhören und deren Argumente sehr ernst zu nehmen.
Das zeigen jedenfalls die Erfahrungen mit den verschiedensten Arzneimittelskandalen (z. B. Contergan, Phen-Fen, Lipobay, Vioxx, Mediator).
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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