Die Begriffe Schulmedizin, Komplementärmedizin und Alternativmedizin sind zugegebenermassen schwierig und fragwürdig. Was sich aber die österreichische Boulevardzeitung „Kurier“ in diesem Bereich an Begriffssalat leistet, ist bemerkenswert.
Da erklärt der „Kurier“ also in einem Artikel mit dem Titel „Der Boom der sanften Medizin“ die Unterschiede zwischen Schulmedizin, Komplementärmedizin und Alternativmedizin so:
„Info: Verschiedene Medizinsysteme
Schulmedizin Auch: Evidenzbasierte Medizin. Sie ist durch Wirkungsnachweise wissenschaftlich anerkannt. Krankheiten werden nach ihren Symptomen behandelt.
Komplementärmedizin Der Begriff setzt sich im deutschsprachigen Raum für ergänzende Methoden zur naturwissenschaftlichen Medizin durch. Sie sollen die Selbstheilungskräfte anregen. Dazu zählen u. a. Akupunktur, TCM, Homöopathie.
Alternativmedizin Lehnt Schulmedizin ab, Wirkungsnachweise fehlen häufig. Oft mit pseudomedizinischen Methoden.“
Quelle:
http://kurier.at/nachrichten/gesundheit/4309119.php
Kommentar & Ergänzung:
Diese Darstellung ist irreführend und tendenziös. Genau nachfragen bringt mehr Klarheit.
Zum Abschnitt „Schulmedizin“:
Schon der Begriff „Schulmedizin“ ist fragwürdig. Was genau ist gemeint mit „Schul“-Medizin? Was meint „Schul“? „Schulmedizin“ ist ein Kampfbegriff aus den Anfängen der Homöopathie gegen die damalige dogmatisierte Medizin (Humoralpathologie).
Siehe dazu:
Schulmedizin – ein fragwürdiger Ausdruck
„Schulmedizin“ ist nicht gleich „evidenzbasierte Medizin“. Evidenzbasierte Medizin ist eine jüngere Entwicklungsrichtung in der Medizin.
Es sind nicht alle Vorgehendweisen in der Medizin wissenschaftlich anerkannt, aber man könnte sagen, dass die Medizin danach strebt, ihre Interventionen wissenschaftlich zu überprüfen und wo nötig zu revidieren.
Merkwürdig ist der Satz: „Krankheiten werden nach ihren Symptomen behandelt.“ Was soll damit genau gesagt werden?
Die Medizin kennt eindeutig symptomatische Therapien, zum Beispiel im Bereich der Schmerztherapie. Es gibt aber auch ursächlich ansetzende Therapien, wie die Antibiotika-Therapie bei Infektionen. Natürlich kann man sagen, die Infektion ist nicht die eigentliche Ursache, dahinter steckt erst die eigentliche Ursache, die zur Infektion führt. So kommt man aber nie an ein Ende, weil jede Ursache wieder eine oder mehrere Ursachen hat.
Wahrscheinlich steckt hinter dem Satz „Krankheiten werden nach ihren Symptomen behandelt“ die oft gehörte Aussage, die Schulmedizin behandle Symptome, die Komplementärmedizin aber die Ursachen. Die Ursachenbehandlung für sich exklusiv zu beanspruchen, ist allerdings eine ziemliche Anmassung der Komplementärmedizin. De facto wird nämlich dabei meist eine Ursache zuerst dogmatische festgelegt (Übersäuerung! Verschlackung etc.) und dann die entsprechende Therapie verabreicht. So kann man sich darüber hinweg täuschen, dass die Ursachenlage vieler Erkrankungen ausgesprochen komplex und schwer durchschaubar ist.
Der „Kurier“ nagelt also die „Schulmedizin“ einseitig auf Symptombehandlung fest, erwähnt aber eigenartigerweise nicht, dass beispielsweise die Homöopathie als Verfahren der „Komplementärmedizin“ sich nur nach Symptomen ausrichtet und sich um Ursachen von Krankheiten nicht kümmert.
Warum diese verzerrte Darstellung im „Kurier“?
Zum Abschnitt Komplementärmedizin:
Mit dem Begriff „naturwissenschaftliche Medizin“ wird die Medizin einseitig verengt dargestellt. Medizin basiert zwar in vielen Bereichen auf naturwissenschaftlichen Grundlagen, aber das ist bei weitem nicht alles. Und wenn der „Kurier“ schreibt, die Komplementärmedizin wolle die Selbstheilungskräfte anregen, dann müsste auch gesagt werden, dass beispielsweise die chinesische Medizin (TCM, Akupunktur) Selbstheilungskräfte nicht kennt.
Dazu der Sinologe und Medizinhistoriker Paul U. Unschuld in „Was ist Medizin – Westliche und östliche Wege der Heilkunst“:
„China kennt kein Vertrauen in das selbst regulierende Potential eines Organismus – weder des gesellschaftlichen noch des körperlichen….Die Selbstheilungskräfte waren kein Thema.“
(S. 121)
„Die Selbstheilungskräfte waren ihnen unbekannt….Wer an die Selbstheilungskräfte glaubt, der könnte zu lange warten. Das haben die Mediziner nicht gerne. Die chinesischen haben sich unter dem Einfluss konfuzianischer Früheingreifmaximen nie darauf eingelassen.“ (S. 250)
Weshalb diese einseitige, idealisierte Darstellung im „Kurier“?
Zum Abschnitt „Alternativmedizin“:
„Wirkungsnachweise fehlen häufig“ – Aha. Das gilt aber meistens für die Komplementärmedizin genauso. Sonst wären nämlich die Methoden der Komplementärmedizin in der Medizin.
Warum also wird der fehlende Wirkungsnachweis in’s Terrain der „Alternativmedizin“ abgeschoben?
Und im Bereich der „Alternativmedizin“ findet man also oft pseudomedizinische Methoden? Aha. Also Schein-Medizin.
Im Bereich der Komplementärmedizin gibt es die nicht?
Das ist eigenartig. Schliesslich ist nicht einmal klar, was denn zur Komplementärmedizin zählen soll. In Frage kommen da mehrere hundert Methoden, die zum Teil sehr skurril erscheinen.
Offenbar geht es hier darum, für alles Unseriöse eine Schublade „Alternativmedizin“ bereitzustellen, damit der Bereich „Komplementärmedizin“ umso besser, sauberer und seriöser dasteht.
Der „Kurier“ hat sich offenbar für diesen Artikel einseitig und ausschliesslich von Lobbyisten der Komplementärmedizin füttern lassen. Unabhängige und seriöse Berichterstattung sieht anders aus.
Wenn eine Zeitung nicht einfach nur Lautsprecher für Lobbyisten-Vereinigungen sein will, muss sie bei jedem Thema an gewissen Punkten kritisch nachhaken. Auch in den Bereichen Komplementärmedizin bzw. Alternativmedizin. Druckt eine Zeitung (wie der Kurier in diesem Artikel) nur wirre, irreführende, unkritische Lobhudeleien ab, ist sie ihren Preis nicht wert.
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Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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