Zu diesem Schluss kommt eine Analyse aller Spontanmeldungen von Leberschäden, die nun publiziert wurde (Regulatory Toxicology and Pharmacology 2012; 63 (1): 1).
Vor einem halben Jahr schreckte die Meldung über mögliche Leberschäden nach Anwendung des Phytotherapeutikums Umckaloabo® Verbraucher, Ärzte und Apotheker auf.
Umckaloabo (Pelargonium sidoides) ist eine Heilpflanze, die als schleimlösendes Mittel bei Husten und weiteren Erkältungskrankheiten eingesetzt wird.
Die Analyse aller Spontanmeldungen von Leberschäden zeigte nun, dass in keinem Fall ein Kausalzusammenhang zwischen Einnahme von Umckaloabo® und Leberschäden wahrscheinlich ist.
Für die Studie untersuchten Wissenschaftler der Universität Frankfurt am Main total 15 Verdachtsfälle, die der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und dem BfArM gemeldet worden waren wegen einer möglichen Leberschädigung duch Pelargonium sidoides. Ein Pelargonium-sidoides-Extrakt wird zur Herstellung des Phytotherapeutikums Umckaloabo® verwendet.
Die Forscher beurteilten den Kausalzusammenhang mit einer Leberschädigung anhand der leberspezifischen Skala des Councils for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS).
Darüber hinaus werteten sie den Zeitpunkt der Einnahme des Phytotherapeutikums und den Zeitpunkt des Auftretens der Beschwerden aus, sowie die Werte von Alaninaminotransferase und alkalischer Phosphatase als eindeutige Kriterien für eine Leberschädigung.
Die Datenlage sei in fast allen berichteten Fällen schlecht gewesen, stellen die Wissenschaftler fest.
Nur bei einer Minderheit der untersuchten Fälle sei es möglich gewesen, auf andere Lebererkrankungen Bezug zu nehmen. Beispielsweise hätten nur für drei Patienten Daten zu bildgebenden Untersuchungen des Gallentraktes vorgelegen.
Daten zum Ausschluss von Virusinfektionen (Hepatitis A-C) seien nur in vier Fällen, zum Ausschluss von Cytomegalie- und Eppstein-Barr-Viren sogar nur in einem Fall zur Verfügung gestanden, so die Wissenschaftler.
Sie kommen zum Schluss, dass ein überzeugender Beweis fehle, dass Pelargonium sidoides bei den analysierten Fällen ein potenzielles Hepatotoxin (Lebergift) gewesen sei.
In fast allen Fällen (mit Ausnahme einer Dauermedikation über 13,5 Monate) sei Umckaloabo nur wenige Tage angewandt worden – meist als Tropfen. Hinweise auf eine tägliche Überdosierung seien nicht vorhanden.
Quelle:
https://www.aerztezeitung.de/medizin/article/809584/datenanalyse-umckaloabo-kein-hepatotoxin.html
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0273230012000359
Kommentar & Ergänzung:
Die Vorgänge rund um diese Warnungen vor Leberschäden durch Umckaloabo® werfen einige Fragen auf.
Ausser Frage steht, dass auch bei pflanzlichen Heilmitteln mit unerwünschten Nebenwirkungen und Risiken gerechnet werden muss. Was Wirkungen hat, kann auch Nebenwirkungen haben.
Und Heilmethoden, die niemals unerwünschte Nebenwirkungen haben sollen, stehen im Verdacht, auch keine Hauptwirkung zu haben.
Aber nun konkret zu dieser „Umckaloabo-Geschichte“:
Wenn sagen wir einmal 500 000 Menschen ein bestimmtes Medikament X nehmen, dann wird immer eine gewisse Anzahl Menschen zeitgleich oder zeitnah eine Lebererkrankung bekommen. Einfach schon deshalb, weil jedes Jahr eine bestimmte Anzahl Menschen aus unterschiedlichen Gründen an der Leber erkrankt.
Wenn man dann unreflektiert und ungeprüft als Ursache für diese Lebererkrankungen Medikament X „beschuldigt“, macht man möglicherweise einen Post-hoc-ergo-propter-Fehlschluss.
Siehe dazu:
Komplementärmedizin: Der Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss als häufige Irrtumsquelle
Das ist genauso kurzschlüssig, wie wenn ich annehme:
Ich bin krank – ich nehme Medikament Y. – Ich werde gesund – Folglich: Medikament Y. hat mich geheilt. (Wer heilt hat Recht – lautet dann der voreilige Schnellschluss)
Es gibt viele andere Faktoren, die für die Heilung (mit)verantwortlich sein könnten.
Es kann aber auch nicht gelten:
Ich bin krank – ich nehme Medikament X. – ich erkranke an der Leber – Medikament X. schädigt meine Leber.
Auch hier sind alle anderen möglichen Auslösefaktoren zu prüfen.
Solche Datenanalysen – wie sie nun die Forschergruppe der Universität Frankfurt vorlegt, sollten gemacht werden, bevor eine Warnung wie „Umckaloabo macht Leberschäden“ gross via Medien verbreitet wird.
Und wenn eine solche Warnung erfolgt, dann sollte die Datenlage schon einigermassen wasserdicht sein.
Sonst grenzt eine solche Meldung an Rufmord.
Dumm ist in solchen Fällen nämlich, dass die Warnung in der Regel intensiv verbreitet wird, die Entwarnung aber in irgendeiner Fachzeitschrift vor sich her gammelt und nur von wenigen Leuten überhaupt gelesen wird. So bleibt immer etwas hängen.
Oder hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die BfArM ihre Warnung nun zurückgenommen oder relativiert? Jedenfalls nicht dass ich wüsste.
Solche medialen „Schnellschüsse“ sind eigentlich nur akzeptabel in Situationen, in denen eine sehr akute Gefahr abgewendet werden muss.
Allerdings ist zugunsten der Arzneimittelbehörden zu sagen, dass potenzielle Risiken oft auch nicht einfach, eindeutig und schnell eingeschätzt werden können. Und dass die Öffentlichkeit eine Behörde „aufhängt“, wenn sie eine Warnung unterlässt, und dadurch jemand Schaden erleidet. Ich selber möchte nicht in dieser Verantwortung stehen.
Zu Umckaloabo siehe auch:
Übersichts-Studie zu Umckaloabo zieht positives Fazit
Phytotherapie: Umckaloabo-Studien
Phytotherapie: Umckaloabo (Pelargonium sidoides) bei Erkältungen
Leberschaden durch Umckaloabo?
Umckaloabo wegen möglicher Leberschäden unter Kritik
Kein Grund auf Umckaloabo zu verzichten
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
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