Die Zeitschrift für Phytotherapie (Nr. 3 / 2006) hat dieser Frage einen ausführlichen Beitrag gewidmet.
„Jeder meint, die entwässernde Wirkung einer Spargelmahlzeit zu kennen und kann sich vorstellen, dass dies phytotherapeutisch anwendbar ist. So werben Hersteller von phytotherapeutischen Spargelextrakten mit den Indikationen »zur Entwässerung« und »zur Behandlung bei Nierenleiden«. Aber besteht für die Anwendung von Spargelextrakten in der rationalen Phytotherapie eine ausreichende Datenlage, wie sie heute gefordert wird? In naturheilkundlichen Empfehlungen zur medizinischen Anwendung von Spargel werden Formulierungen wie »zur Durchspülungstherapie« oder »zur Blutreinigung«, »zur Entgiftung«, »bei Entzündungen der Nieren- und Harnwege« benutzt, die nicht mehr dem heutigen Erkenntnisstand zur Pathophysiologie der Niere entsprechen. Zweifellos hatte der Spargel vor seiner Zeit als Delikatesse in Mitteleuropa zunächst eine Karriere als Heilpflanze, und der Gesundheitsaspekt spielt auch heute noch eine gewisse Rolle.“
Erstaunlich ist, dass es für die harntreibende Wirkung der Spargel, die beim Spargelgenuss leicht feststellbar ist, kaum wissenschaftliche Belege gibt:
„Die diuretische Wirkung von Spargel wird den meisten wohl als sicher gelten. Kurz nach einer Spargelmahlzeit wird der Urin meist hell (durch fehlende Konzentration), nimmt bei vielen Menschen einen charakteristischen Geruch an und wird in großer Menge produziert. Doch wird wirklich mehr als die mit der Spargelmahlzeit zugeführte Wassermenge ausgeschieden? Der Spargel besteht zu 95 % aus Wasser. Tatsächlich ist die diuretische Wirkung des Spargels wissenschaftlich unzureichend belegt, und auch zum Wirkprinzip gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. In den wenigen publizierten experimentellen Untersuchungen konnte die diuretische Wirkung nicht nachgewiesen werden. Kurioserweise hat sich die Wissenschaft viel intensiver mit dem »Spargelgeruch« des Urins befasst, der ja offenbar nur ein Epiphänomen ist……… Die zentrale Frage lautet, ob mit Spargel oder Spargelextrakten tatsächlich eine Ausschwemmung von Ödemen (z.B. bei Herzinsuffizienz) möglich ist. Zur Beantwortung dieser Frage sind Untersuchungen zur Flüssigkeits- und Elektrolytbilanz nach Spargelgenuss unerlässlich. Diese liegen nach meiner Kenntnis nicht vor. Es erstaunt, dass der Nachweis eines diuretischen Potenzials von Spargel nicht entschlossener versucht wurde.“
Kritisch wird im Beitrag der Zeitschrift für Phytotherapie die Vorstellung kommentiert, dass Spargel zur Blutreinigung und Entschlackung beitragen soll:
„Dem Asparagin wird außerdem in der Literatur eine Fähigkeit zur Entfernung von körperfremden Stoffen zugesprochen. Publizierte Daten hierzu fehlen. Das Konzept der Blutreinigung mit Spargel sollte daher ebenfalls fallengelassen werden, so attraktiv eine »Entschlackung« auf der Basis von Delikatessen auch erscheint.“
Zur Problematik von „Blutreinigung“ und „Entschlackung“ siehe auch:
Entschlackung – unnötig und ungesund
Schlackenstoffe – ein Phantom macht Karriere
Entgiften und Entschlacken – höchst fragwürdige Versprechungen
Entschlackung – illusionäre Hoffnung auf Gewichtsreduktion
Interessant ist ein Hinweis auf Spargelersatz-Pflanzen:
„Da Spargel nicht überall gedeiht und der Erntezeitraum begrenzt ist – er endet traditionell am 24. Juni, dem Johannistag -, wurde vielfach nach Spargelersatz gesucht. Junge Sprosse von Schwarzwurzel, Bocksbart, Brombeeren, Lauch, Mangold, Gutem Heinrich sowie Hopfen wurden wie Spargel genossen.“
Was bleibt von der Spargel als Heilpflanze?
Es ist erstaunlich, dass die Frage nach dem Entstehungsmechanismus des Spargelgeruchs im Urin offenbar intensiver untersucht wurde als die möglichen Heilwirkungen.
Die harntreibende Wirkung ist durch die Erfahrungen von „Spargelessern“ so gut bekannt, dass sie kaum zu bezweifeln ist. Ob dafür Saponine, Asparaginsäure oder der hohe Kalium-Gehalt verantwortlich sind, ist bisher ungeklärt.
Asparaginsäure wird übrigens in erheblichen Mengen eingesetzt zur Synthese des Süssstoffs Aspartam.
Gemüse-Spargel ist wohl in erster Linie eine Delikatesse. Ob Spargel über längere Zeit – also nicht einfach nur einmal bei einer Mahlzeit – als „Entwässerungsmittel“ eingesetzt werden kann und in welchen Fällen das sinnvoll sein könnte, ist bisher nicht geklärt.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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