In den letzten Jahren gab es immer wieder Diskussionen über mögliche Lebertoxizität von Heilpflanzen. Beispielsweise bezüglich Kava-Kava oder Umckaloabo.
Siehe dazu:
Leberschäden durch Umckaloabo?
Umckaloabo wegen möglicher Leberschäden unter Kritik
Umckaloabo®: Leberschäden unwahrscheinlich
Das Thema potenzieller Lebertoxizität ist nicht einfach.
Einerseits gehört es zum sorgfältigen Umgang mit Heilpflanzen, dass man sich auch mit allfälligen Risiken auseinandersetzt.
Andererseits sollten aber Risiken auch nicht unnötigerweise aufgebauscht werden. Was meinem Eindruck nach nicht selten vorkommt.
Eine interessante Studie aus Frankfurt hat nun überprüft, wie zuverlässig die bisherigeBeurteilung der Lebertoxizität von Pflanzenextrakten ist.
Die Studie unter Beteiligung des Frankfurter Universitätsklinikums belegt, dass die gängigen Algorithmen, mit denen leberschädigende pflanzliche Substanzen identifiziert werden, nicht zuverlässig sind. Publiziert wurde die Studie im März im Fachmagazin „Expert Opinion on Drug Safety“.
Die Leber wird oft durch Nahrungsbestandteile, Arzneimittel, Gifte oder Infektionen beeinträchtigt. Die Identifizierung solcher Stoffe ist jedoch nicht immer zuverlässig.
Um die Qualität der Einschätzungen zu prüfen, haben sich die Wissenschaftler publizierte Fälle angeschaut, in denen ein bestimmter Pflanzenextrakt als Auslöser für Leberschäden angegeben wurde. Die Wissenschaftler kamen dabei zum Schluss, dass viele Beurteilungen fehlerhaft sind. So wurden zum Teil falsche Substanzen als problematisch bewertet, während wirklich schädliche möglicherweise unentdeckt geblieben sind.
Ursachenzusammenhänge sind schwierig einzuschätzen
Die ersten charakteristischen Anzeichen einer Leberschädigung – das Ansteigen der Serumkonzentrationen von Leberenzymen – sind sehr unspezifisch. Sie kommen so oft vor, dass sie nur als Indikatoren nützlich sind. Die Bandbreite der Auslöser für einen solchen Anstieg reicht von Infektionen über Entzündungen, Stoffwechselstörungen, Ernährungsbesonderheiten, Gallensteinen und Giften bis zur Medikamenteneinnahme. Um zu belegen, dass ein Arzneimittel oder ein Pflanzeninhaltsstoff für einen Leberschaden verantwortlich ist, genügt ein einfacher zeitlicher Zusammenhang nicht. Eine gute Bewertung verlangt zusätzlich den Ausschluss von anderen Ursachen. Diese Prüfungen nennt man Kausalitätsbewertungen.
Eine gute Grundlage, um ein Pflanzenpräparat vom Markt zu nehmen oder ergänzende Gebrauchseinschränkungen in der Packungsbeilage zu machen besteht dann, wenn gut belegte Fälle eines gesicherten oder sehr wahrscheinlichen Zusammenhangs zwischen dem spezifischen Produkt und einer Leberschädigung bekannt sind. Wenige, aber gut belegte Fälle seien dabei aussagekräftiger als eine große Anzahl von unzuverlässig bewerteten Fällen, erläutert Prof. Johannes Schulze vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt und einer der Autoren der Studie. Fehleinschätzungen wiederum können ernsthafte Konsequenzen haben. Im schlimmsten Fall werde dabei eine lebertoxische Substanz übersehen, in der falschen Annahme, die ursächliche Substanz gefunden zu haben. Die nicht erkannte Gefährdung bestehe dann weiter, warnt Prof. Schulze.
Studie stellt gegenwärtigen Prüfverfahren schlechtes Zeugnis aus
Die jetzt publizierte Studie kommt zu dem Resultat, dass bei den untersuchten Fällen zahlreiche Fehleinstufungen vorlagen, häufig wegen ungenauer Beschreibungen oder einer unvollständigen Präsentation der Datenlage. Alternative Auslöser wie Hepatitis oder Alkoholmissbrauch wurden nur unvollständig oder gar nicht ausgeschlossen. Die publizierten Schlussfolgerungen zur Kausalität waren in zahlreichen Fällen nicht nachvollziehbar. In Einzelfällen liess sich der angeblich erkannte Zusammenhang sogar ausschliessen.
Empfehlung für zuverlässigere Tests
Die Autoren zeigen in der Studie auch, wie sich die Beurteilungen verbessern lassen. Die Beurteilung von leberschädigenden Substanzen soll durch ein nachvollziehbares Verfahren geschehen. Sie empfehlen dazu einen als CIOMS-Skala bezeichneten Algorithmus, der von jedem Arzt auch selbstständig angewendet werden kann. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, eine Kausalitätsbewertung durch das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt vornehmen zu lassen.
Die Studie:
Rolf Teschke, Alexander Schwarzenboeck, Axel Eickhoff et al.
Clinical and causality assessment in herbal hepatotoxicity. Expert Opinion on Drug Safety, posted online on March 5th 2013, doi:10.1517/14740338.2013.774371
Quelle:
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a. M.
http://www.journalmed.de/newsview.php?id=40258
Kommentar & Ergänzung:
Interessant ist die Kausalitätsbewertung. Hier geschieht oft eine Verwechslung von Korrelation mit Kausalität
Wenn 100 000 Menschen ein synthetisches oder pflanzliches Medikament X nehmen, dann wird ein gewisser Prozentsatz dieser Menschen innert eines Jahres eine Lebererkrankung bekommen, einfach deshalb, weil von 100 000 Menschen innert eines Jahres dieser Prozentsatz eine Lebererkrankung bekommt. Es besteht nun aber ein durchaus reales Risiko, dass ungerechtfertigterweise das Medikament für die Lebererkrankung verantwortlich gemacht wird. Das Zusammentreffen (die Korrelation) der Medikamenteneinnahme und der Lebererkrankung ist in diesem Fall zufällig, nicht kausal in dem Sinne, dass das Medikament die Ursache der Lebererkrankung ist.
Wird Korrelation irrtümlich als Kausalität eingestuft, haben wir es mit einem Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss zu tun, und den zu verstehen und zu vermeiden kann ziemlich wichtig sein Leben.
Siehe dazu:
Komplementärmedizin: Der Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss
Ein Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss liegt aber nicht nur vor, wenn einem Medikament wie oben geschildert ungerechtfertigterweise eine unerwünschte Nebenwirkung zugeschrieben wird, sondern auch, wenn einem Medikament ungerechtfertigterweise eine erwünschte Wirkung zugeschrieben wird.
Beispiel: Ich bin krank, ich nehme ein Heilmittel XY, ich werde gesund. Schlussfolgerung: Heilmittel XY hat mich gesund gemacht. Das kann stimmen. Dann liegt Kausalität vor. Oder es kann nicht stimmen, weil andere Faktoren wie beispielsweise meine Selbstheilungskräfte mich gesund gemacht haben – das dürfte bei vielen einfacheren Beschwerden die Regel sein. Wer automatisch einen Kausalitätsschluss zieht, negiert daher andere mögliche Faktoren wie eben beispielsweise die Selbstheilungskräfte.
Aus diesem Grund ist auch der oft benutzte „Kampfspruch“ „Wer heilt hat Recht“ in der Regel eine fragwürdige Simplifizierung. Wer heilt hat nur Recht, wenn alle anderen Faktoren ausser der therapeutischen Intervention als Ursache der Besserung ausgeschlossen wurden.
Siehe dazu:
Komplementärmedizin: Wer heilt hat Recht?
Komplementärmedizin: Wer heilt hat Recht? (2)
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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