Im Moment scheint gerade eine PR-Aktion für Homöopathie im Stall zu laufen. Jedenfalls sind kurz hintereinander im „Blick“ und in der „Berner Zeitung“ zwei Reportagen über Bauern erschienen, die Globuli bei ihren Kühen und Schweinen einsetzen.
Das bringt den Bauern einige Vorteile, wie sie sagen: Antibiotika könne eingespart und die Tierarztkosten gesenkt werden. Zudem gebe es keine Wartefristen für den Verkauf von Milch und Fleisch nach der Behandlung der Tiere.
Das sind offenkundige Vorteile.
Dass der Verbrauch an Antibiotika in der Landwirtschaft zu hoch ist, steht ausser Frage.
Ob Homöopathie bei der Senkung des Antibiotika-Verbrauchs allerdings eine sinnvolle Rolle spielen kann, ist damit noch überhaupt nicht klar.
Entweder ist eine Antibiotika-Behandlung zum Wohle des Tieres notwendig, dann muss sie erfolgen, oder sie ist unnötig, dann muss sie unterbleiben. Homöopathika sollten da nur ins Spiel kommen, wenn ihre Wirksamkeit geklärt ist. Schliesslich haben Tiere ein Anrecht auf eine wirksame Behandlung.
Von der Wirksamkeit ihrer Homöopathie-Gaben sind die interviewten Landwirte natürlich überzeugt. Dabei gibt es allerdings schon noch ein paar offene Fragen.
1. Interessenkonflikte
Die anwendenden Bauern haben ein starkes Interesse daran, ihre Behandlung als wirksam zu interpretieren. Das nennt sich Interessenkonflikt. Sie sind zuwenig unabhängig für eine Beurteilung.
2. Einzelbeobachtungen sind nicht aussagekräftig
Einzelbeobachtungen – auch wenn es dutzende oder hunderte sind – sagen nur sehr wenig aus. Ein Bauer, aber auch ein Tierarzt, kann nicht beurteilen, ob eine beobachtete Besserung durch ein Globuli (oder eine andere therapeutische Massnahme) bewirkt wurde, oder ob der natürliche Verlauf der Krankheit dafür verantwortlich ist.
Wer automatisch davon ausgeht, dass eine Besserung durch die eigene therapeutische Massnahme zustande gekommen ist, blendet wichtige Faktoren aus und begeht möglicherweise einen Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss. Das tönt komplizierter als es ist. Diesen verbreiteten Trugschluss zu verstehen lohnt sich sehr.
Hier habe ich versucht, den Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschuss verständlich zu erklären:
Komplementärmedizin: Der Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss als häufige Irrtumsquelle
Erfahrung allein genügt nicht zur Begründung:
Naturheilkunde: Erfahrung genügt nicht als Begründung
Dazu kommt noch: Auch bei Tieren gibt es placeboähnliche Effekte (z. B. Konditionierungen). Der Placeboeffekt bei Tieren ist gut belegt.
Siehe: Alles für die Katz (Artikel aus „Die Zeit“ zum Thema „Homöopathie für Tiere)
Der grösste Teil des Placebo-Effektes in der Tiermedizin entsteht aber direkt beim Tierhalter bzw. Behandler. Tiere äussern sich in der Regel nicht selbst über ihr Befinden, oder jedenfalls nicht eindeutig. Zeichen müssen interpretiert werden. Diese Interpretation durch die Halterin bzw. die Behandlerin ist nicht nur von deren Interessenlagen abhängig, sondern auch von deren Überzeugungen. Hier setzt der Placebo-Effekt an – als Erwartungshaltung, welche die Interpretation beeinflusst.
Die Zuordnung von Besserungen als Folge bestimmter therapeutischer Massnahmen ist sehr viel komplexer, als es den meisten Menschen bewusst ist.
Sehr eindrücklich beschrieben hat dies der Psychiater Asmus Finzen in seinem Buch „Warum werden unsere Kranken eigentlich wieder gesund?“.
Zusammenfassungen dazu finden Sie hier:
Naturheilkunde: Warum werden unsere Kranken eigentlich wieder gesund?
Artikel zum Thema von mir in der Zeitschrift „Natürlich“:
Warum wir gesund werden
Wer glaubt, aus Beobachtungen an sich selbst oder an Tieren schliessen zu können, ob eine therapeutische Massnahme wirksam ist oder nicht, überschätzt fundamental die eigene Urteilskraft.
Das grosse Selbsttäuschungpotential bei Eigenbeobachtungen ist der Grund dafür, dass zur unabhängigen Beurteilung therapeutischer Wirksamkeit klinische Studien mit einer Placebogruppe nötig sind – und möglichst interessenfreie BeurteilerInnen. Gut gemachte Doppelblind-Studien haben die Medizin entscheidend weitergebracht.
Schaut man sich die klinischen Studien zur Homöopathie in der Humanmedizin an, spricht sehr viel dafür, dass Homöopathie als Behandlungssystem in manchen Fällen eine positive Wirkung hat, dass dafür aber nicht die Globuli verantwortlich sind.
Beispiele hier:
Studienlage zur Homöopathie bei Tieren
Wirkt Homöopathie und wenn ja – wie?
FDA: Kritik an Qualitätsmängeln beim Homöopathika-Hersteller Nelson
Arzneimittelprüfung: Belladonna C30 / Belladonna D60
Diese Beispiele stellen die Wirksamkeit von Globuli im Stall doch ziemlich in Frage.
Homöopathika-Hersteller verdienen sehr viel Geld mit ihren Präparaten.
Es wäre ihnen durchaus zuzumuten, dass sie einen Teil ihres Gewinns in klinische Studien investieren, um die Wirksamkeit der Globuli im Stall zu belegen. Solange sie sich darum drücken bzw. das nicht gelingt, muss meines Erachtens das Recht von Tieren auf eine wirksame Behandlung absoluten Vorrang haben.
Die Artikel im „Blick“ und in der „Berner Zeitung“ über Homöopathie im Stall sind Beispiele für die überwiegend naive Berichterstattung in den Medien zum Thema Komplementärmedizin. Nachhaken und In-Frage-stellen findet kaum statt.
Offenbar schreiben die Journalistinnen und Journalisten einfach, wovon sie annehmen, dass die Leute es so lesen wollen. Bar jeder Reflexion.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch