Extrakte aus der polynesischen Heilpflanze Kava-Kava (Piper methysticum) wurden in der Phytotherapie bei Angst- und Spannungszuständen eingesetzt. Im Jahr 2002 widerrief das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstmals die Zulassungen von Kava-Kava und Kavain-haltigen Arzneimitteln. Ausgenommen wurden dabei homöopathische Zubereitungen mit einer Endkonzentration ab D5 und Arzneimittel, die nach der spagyrischen Verfahrenstechnik nach Zimpel hergestellt werden. Sie dürfen weiterhin verkauft werden.
In der Schweiz wurde die Zulassung im Jahr 2003 durch die zuständige Arzneimittelbehörde aufgehoben. Auch die Arzneimittelbehörden Frankreichs (AFSSAPS), der Niederlande (CBG)und die britische MHRA schlossen sich dem Widerruf an (während beispielsweise in den USA wie auch in den meisten Teilen Australiens Kava-Präparate frei erhältlich sind).
Grund dieser Massnahmen war der Verdacht, dass diese Arzneimittel schwere Leberschäden auslösen können.
Zwischen den Herstellern und dem BfArM entwickelte sich eine jahrelange Auseinandersetzung über Nutzen und Risiko der Kava-Kava-Präparate. Nun nimmt der Fall eine überraschende und für die Phytotherapie wichtige Wende: Das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass der Widerruf der Zulassung rechtswidrig war. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Im Jahr 2001 hatte das BfArM aufgrund von Berichten über Leberschädigungen bei acetonischen Kava-Auszügen ein Stufenplanverfahren eingeleitet. Darauf folgte der Widerruf der Zulassungen für die Phytopharmaka mit dem Kava-Kava-Wurzelstock-Trockenextrakt. Dagegen legten die betroffenen Hersteller Widerspruch ein, worauf das BfArM sodann das Ruhen der Zulassungen anordnete. In dieser Zeit sollten die Firmen weitere Studien vorlegen können, die für ihr Arzneimittel sprachen. Doch nachdem zwischen den Unternehmen, ihren Verbänden – hauptsächlich dem Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) – und dem BfArM über die Art des vorzulegenden wissenschaftlichen Erkenntnismaterials keine Einigung erzielt werden konnte, widerrief das BfArM die Zulassungen im Dezember 2007 erneut. Erst im Februar 2012 wies die Behörde die Widersprüche der pharmazeutischen Unternehmer zurück. Dagegen klagten mehrerer Hersteller. Nun fällte das Verwaltungsgericht Köln die erstinstanzlichen Urteile.
Verwaltungsgericht hält die Klagen für begründet
Das Gericht hält die Klagen der Hersteller für begründet und führt aus, dass eine arzneimittelrechtliche Zulassung zu widerrufen sei, wenn sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Präparates nachträglich als ungünstig erweise.
Bloße Zweifel an der Wirksamkeit reichten jedoch nicht aus. Die Bewertung des Risikos verlange den begründeten Verdacht auf Nebenwirkungen. Hypothesen und nicht verifizierbare Vermutungen seien dazu nicht geeignet. Nutzen und Risiko müssten schlussendlich in einem dritten Schritt gegeneinander abgewogen werden.
Die Bewertung, ob dieses Verhältnis ungünstig sei, unterliegt der vollständigen gerichtlichen Überprüfung, stellt das Gericht fest und sieht für die Behörde – also das BfArM – keinen eigenen Beurteilungsspielraum. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis Kava-Kava-haltiger Arzneimittel erweise sich nicht als ungünstig. Das BfArM habe eine „gewisse“ Wirksamkeit der Kava-Kava-Präparate in höherer Dosierung konstatiert, sodass nicht davon auszugehen sei, das Präparat wäre unwirksam.
Ausführlich belegt das Gericht unter Bezugnahme auf die vorgelegten Monographien, Studien und Fallberichte (insbesondere der WHO), dass die Voraussetzungen für den Widerruf der Kava-Kava-Zulassungen nicht vorgelegen hätten.
Darüber hinaus prüfte das Verwaltungsgericht, ob risikoärmere Alternativen zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln existieren. Es nimmt dazu einen Vergleich mit Benzodiazepin-haltigen Medikamenten vor, die sich im Anwendungsbereich mit Kava-Kava-Präparaten überschneiden. Das Gericht weisst auf die hohe Missbrauchsrate bei Benzodiazepinen hin, die offensichtlich nicht einmal durch die Verschreibungspflicht auszuräumen sei.
Von den Benzodiazepinen gehen aus Sicht der Richter „erhebliche Gefahren“ aus: Sie haben ein hohes Abhängigkeitspotenzial und gelten als Medikamente mit der höchsten Missbrauchsrate. Seit dem Jahr 2002 habe es knapp 4500 Meldungen zu Nebenwirkungen gegeben.
Deshalb könne von einer risikoärmeren Alternative nicht ausgegangen werden.
Das Gericht stellt zudem fest, dass bislang die Anhaltspunkte für ein leberschädigendes Risiko der Kava-Kava-Produkte nicht mit der genügenden Sicherheit verifiziert werden konnte.
Die Zahl der Meldungen zu Nebenwirkungen ist aus Sicht der Richter nicht ungewöhnlich hoch: Allein in Deutschland seien in den zehn Jahren vor dem Verbot 250 Millionen Tagesdosen Kava-Kava-Präparate abgegeben worden – weltweit habe es 110 und in Deutschland 48 Meldungen gegeben. Das vorliegende Fallmaterial hält das Gericht inhaltlich für „ebensowenig konsistent“. Von den 48 Meldungen aus Deutschland würden nur 26 Fälle als ausreichend gut dokumentiert angesehen.
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller begrüsst den Entscheid
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) begrüßt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und erklärt gegenüber der DAZ.online: „Der BAH hat den Widerruf beziehungsweise das Ruhen der Zulassung von Anfang an für nicht sachgerecht gehalten“. Aus Sicht des BAH hätte es geeignete Alternativen gegeben – etwa die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht.
Noch sind die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts nicht rechtskräftig. Das BfArM geht in Berufung.
Die Phytopharmaka-Hersteller, die damals Kava-Kava-Präparate im Sortiment hatten, reagieren auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts zurückhaltend. Einige Hersteller haben sich von Kava-Kava verabschiedet. Die Firmen Müller Göppingen und Bionorica prüfen eine Neuauflage. Die Firma Wilmar Schwabe, mit „Laitan“ damals ein wichtiger Kava-Kava-Hersteller, setzt inzwischen auf Lasea (Lavendelöl-Kapseln).
Quellen:
http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/recht/news/2014/06/20/kava-kava-widerruf-der-zulassung-war-rechtswidrig/13143.html
http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/phytopharmaka-verwaltungsgericht-koeln-widerruf-der-zulassung-fuer-kava-kava-rechtswidrig/?L=0%3Ft%3Ft%3D1%3Ft%3D1%3Ftx_ttnews%5Bttnews%5D%3D15353%3Ft%3D1%3Ft%3D1%3Ft%3D1&cHash=85444e436bb016e0891564214e25b1e0
http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/phytopharmaka-hersteller-pruefen-kava-kava/?L=0%3Ft%3Ft%3D1%3Ft%3D1%3Ftx_ttnews%5Bttnews%5D%3D15353%3Ft%3D1%3Ft%3D1%3Ft%3D1&tx_ttnews%5BsViewPointer%5D=1&cHash=d537242908a95baa9462275467fca040
Urteile des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Mai 2014:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2014/7_K_2128_12_Urteil_20140520.html
Kommentar und Ergänzung:
Keine Frage: Auch bei Heilpflanzen ist das Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen zu beachten. Dass beim Widerruf der Zulassung von Kava-Kava-Präparaten die Abwägung von Nutzen und Risiken fragwürdig vonstatten gegangen ist, zeigt das Verwaltungsgericht eindrücklich auf. Für mich war es schon immer stossend, dass Benzodiazepine (Valium, Temesta, Seresta, Lexotanil…) mit ihrem hohen Missbrauchs-, Nebenwirkungs- und Abhängigkeitspotenzial massenhaft verschrieben und konsumiert werden können, während Kava-Kava-Präparate aufgrund von verhältnismässig wenigen Meldungen von Leberschädigungen, bei denen der ursächliche Zusammenhang mit der Kava-Kava-Einnahme in den meisten Fällen nicht ausreichend belegt ist, vom Markt verschwinden mussten. Kava-Kava-Präparate waren bei leichten Angst- und Spannungszuständen durchaus eine risikoarme Alternative zu Benzodiazepinen (nicht aber bei schweren Fällen).
Unnötige Verschwörungstheorien
Im Zuge der Auseinandersetzungen rund um den Widerruf der Zulassung von Kava-Kava-Präparaten war immer wieder die Rede von der „Pharmaindustrie“, die hinter diesem Verbot stecke und die Pflanzenheilkunde fertig machen wolle. Ich habe diese Ansichten aus mehreren Gründen immer als Teil einer unreflektierten Verschwörungstheorie gehalten.
Erstens hat der BAH als Verband der Pharmaindustrie den Widerruf schon damals sofort kritisiert und die Hersteller gegen das BfArM unterstützt.
Zweitens würden Pharmafirmen im Fall, dass ihnen Kava-Präparate ernsthaft Konkurrenz machen würden, ein eigenes Kava-Präparat auf den Markt werfen oder eine Firma aufkaufen, die ein Kava-Präparat im Sortiment hat. Den Pharmafirmen ist relativ egal, womit sie ihr Geld verdienen. Sie haben keine Berührungsängste zur Phytotherapie. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Bayer mit der Übernahme von Steigerwald. Siehe hier:
Bayer übernimmt Phytopharmaka-Hersteller Steigerwald
Auch wenn es meiner Ansicht nach keine plausiblen Gründe gibt für eine „Pharma-Verschwörung“ gegen Kava-Kava zeigt das Urteil des Verwaltungsgerichts detailliert auf, dass die Abwägung von Nutzen und Risiko auf sehr fragwürdige Art von statten ging. Hier zeigen sich wohl schon unterschiedliche Machtverhältnisse, gerade im Hinblick auf den Vergleich mit den viel risikoreicheren Benzodiazepinen.
Fragwürdige Bevorteilung von Homöopathie und Spagyrik
Nicht unkommentiert lassen möchte ich den Aspekt, dass die Arzneimittelbehörden homöopathische Zubereitungen aus Kava-Kava ab D5 (1:100 000 verdünnt) und spagyrische Zubereitungen nicht vom Markt genommen haben. Das ist folgerichtig. In der homöopathischen Zubereitung ab D5 hat es nur noch marginalste Spuren von Kava-Kava drin, so dass ein Risiko ausgeschlossen werden kann. Und in der Spagyrik werden alle relevanten Inhaltsstoffe durch grosse Hitze verglüht. Auch hier ist eine Gefahr undenkbar.
Wo kein Kava-Kava mehr drin ist, kann von Kava-Kava auch kein Risiko ausgehen. Bei den phytotherapeutischen Kava-Kava-Extrakten basiert die Wirksamkeit nach gegenwärtigem Kenntnisstand aber auf dem Gehalt an Kavapyronen.
Meiner Ansicht nach ist es sehr unwahrscheinlich, dass man das toxikologische Risiko durch hochgradiges Verdünnen oder durch Zerstörung der Inhaltsstoffe eliminieren, die Wirksamkeit dabei aber erhalten kann.
Nichtsdestotrotz füllen spagyrische und homöopathische Präparate (z. B. von Similasan) bis heute die Lücke, die durch den Widerruf der phytotherapeutischen Kava-Präparate entstanden ist. Sie profitieren davon, das homöopathische und spagyrische Präparate durch die Arzneimittelbehörden vom Wirksamkeitsnachweis befreit und damit privilegiert sind. Eine Firma wie Similasan beispielsweise kann ihr Kava-Kava-Präparat (D12 / D15 / D30), das durch eine Verdünnung von mindestens 1 : 1 000 000 000 000 (= D12) praktisch frei von Kava-Kava ist, ohne Forschungsaufwand und ohne Wirksamkeitsnachweis auf den Markt bringen, während die phytotherapeutischen Kava-Kava-Hersteller sich mit aufwendigen Studien um den Wirksamkeitsnachweis für ihre Präparate bemühten, um eine Zulassung zu bekommen.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Präparate aus Homöopathie und Spagyrik durch die Arzneimittelbehörden mittels Befreiung vom Wirksamkeitsnachweis gegenüber Phytopharmaka und synthetischen Medikamenten krass bevorteilt werden.
Siehe auch:
Studie stellt Beurteilung der Lebertoxizität von Pflanzenextrakten in Frage
Phytotherapie: Kava-Extrakt hilft gegen Angststörungen
Neue Kava-Studie zeigt Wirksamkeit wässriger Extrakte
Passionsblume und Kava-Kava lindern Angstzustände
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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