Im Phyto-Forum der „Ärztezeitung“ nahm vor kurzem Professor Karin Kraft (Lehrstuhl für Naturheilkunde, Universität Rostock) Stellung zur Frage nach pflanzlichen Optionen für Patienten mit Hyperhydrose:
„Als pflanzliche Option werden bei Hyperhidrose vor allem Zubereitungen aus dem dalmatinischen Salbei (Salvia officinalis L.) verwendet. Das antihidrotische Wirkprinzip ist nicht genau bekannt, möglicherweise sind die enthaltenen Gerbstoffe daran beteiligt.“
Bei generalisiertem Schwitzen seien Teeaufgüsse mit Salbeiblättern hilfreich, schreibt Kraft:
„Einen Teelöffel geschnittene Blätter (2g) bzw. einen Filterbeutel mit 150 ml kochendem Wasser übergießen, 10 Minuten ziehen lassen, abseihen, dreimal täglich über zwei bis vier Wochen eine Tasse des abgekühlten Tees trinken.“
Prof. Kraft geht in ihrem Beitrag auch auf die Studienlage ein:
„Die erhältlichen klinischen Studien sind stets offen, die meisten davon wurden schon in den 1930er Jahren bei Patienten mit zum Beispiel Tb oder auch bei gesunden Freiwilligen durchgeführt.“
Sie schreibt zudem, dass alle Studien die langjährige Annahme unterstützen, dass wässrige Salbeiblätterextrakte die Schweißsekretion bei Hyperhidrose hemmen.
Als Beispiel erwähnt Kraft eine offene, unkontrollierte Studie, in der 40 Patienten mit idiopathischer Hyperhidrose einen wässrigen Trockenextrakt (440mg, entsprechend 2,6g Salbeiblättern) erhielten und weitere 40 Patienten Salbeitee (4,5g Blätter / Tag). Die Schweißsekretion sank bei beiden Gruppen auf weniger als 50 Prozent ab.
Ein Therapieversuch mit Salbeiblätterextrakt sei somit bei Patienten mit generalisierter Hyperhidrose durchaus gerechtfertigt.
Quelle:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/article/866623/phyto-forum-salbei-hyperhidrose.html
Kommentar & Ergänzung:
Salbei ist unbestritten das Mittel gegen übermässiges Schwitzen in der Phytotherapie. Aber es ist so wie bei sehr vielen Themen: Bohrt man etwas in die Tiefe, zeigen sich eine ganze Reihe von offenen Fragen.
Auch der Hersteller eines Salbeipräparates (Salvysat) schreibt im Beipackzettel:
„Die hydrophile Salbeifraktion mit ihrem Wirkungsträger Rosmarinsäure als wichtigsten Lamiaceengerbstoff beinhaltet die antihidrotische Wirksamkeit.“
Ich bin nicht überzeugt, dass Gerbstoffe hier relevant sind. Lamiaceengerbstoffe bzw. Rosmarinsäure gibt es auch in Melissenblättern, Thymiankraut, Rosmarinblättern und anderen Lippenblättlern ( = Lamiaceen). Dann müssten diese Heilpflanzen auch antihydrotisch wirken. Davon ist aber nichts bekannt (Was sind Lamiaceengerbstoffe? Was ist Rosmarinsäure?).
Und wird Rosmarinsäure ausreichend aus dem Verdauungstrakt aufgenommen? – Gerbstoffe werden normalerweise kaum resorbiert (wobei Lamiaceengerbstoffe allerdings eine spezielle Variante sind).
Rosmarinsäure ist jedoch wesentlich an der antientzündlichen Wirkung von Salbei beteiligt – zum Beispiel bei Zahnfleischentzündungen und Mundschleimhautentzündungen.
Offene Fragen gibt es auch bezüglich: Wie schnell kommt die Wirkung und wie lange hält sie an?
Im Phytokodex steht dazu:
„Salbeiinfus hemmt die dermale Wasserausscheidung bei gesunden Testpersonen bis zu 52 %. Die Wirkung setzt zwischen dem ersten und vierten Behandlungstag ein und läßt nach neun Tagen wieder nach. Auch eine durch Pilocarpin induzierte Schweißbildung wird rasch antagonisiert.“
Quelle: http://www.kup.at/db/phytokodex/datenblatt/Salbeiblatt.html
Reinhard Länger – der auch für den „Phytokodex“ mitverantwortlich ist – wird im „Standard“ (2001) so zitiert:
„’Eine Studie aus dem Jahr 1998 belegte z.B., dass Patientinnen, die unter Hitzewallungen in der Menopause litten, auf die Behandlung mittels Salbei ansprachen‘, erklärte Univ.-Prof. Dr. Reinhard Länger vom Institut für Pharmakognosie an der Universität Wien. ‚Ein Trockenextrakt des Salbeis würde innerhalb von zwei bis drei Stunden wirken. Zu empfehlen sind 120 Milligramm drei Mal täglich‘, meinte Länger.“
Quelle: http://derstandard.at/927178
Das ist also ein viel rascherer Wirkungseintritt und deckt sich mit Gessner / Orzechowski, „Gift- und Arzneipflanzen von Mitteleuropa“ (1974): „Die antihydrotische Wirkung tritt rasch ein, erreicht ihr Maximum nach 2 – 2 ½ Std. und kann sogar mehrere Tage anhalten.“ Quelle für diese Angabe ist allerdings eine Dissertation aus dem Jahr 1896 (M. Krahn, Greifswald).
Wirkt Salbei jetzt also nach 2 Stunden oder erst nach ein paar Tagen? Und ist eine Anwendung über vier Wochen sinnvoll, wenn die Wirkung nach neun Tagen nachlässt?
Schade ist natürlich, dass es offenbar keine placebokontrollierten Studien gibt zu diesem Thema. Überraschend ist das allerdings nicht. Salbei lässt sich nicht patentieren. Und was sich nicht patentieren lässt, ist kaum attraktiv für intensivere Investitionen in die Forschung, weil alle Ergebnisse frei von allen anderen Anbietern genutzt werden könnten.
Interessant ist ein Hinweis im Buch „Biogene Arzneimittel“ von Eberhard Teuscher, Matthias F. Melzig und Ulrike Lindequist (Stuttgart 2012):
„Die antihydrotische, d.h. die Schweisssekretion hemmende Wirkung, ist bei Präparaten aus Frischpflanzen besonders ausgeprägt. Die für diese Wirkung verantwortlichen Stoffe sind nicht bekannt.“
Leider fehlen genauere Angeben dazu, aufgrund welcher Erkenntnisse die Autoren zur Aussage kommen, dass Frischpflanzenpräparate für diesen Anwendungsbereich besonders gut wirksam sind. Das ist nämlich nicht selbstverständlich. Frischpflanzenpräparate sind nicht grundsätzlich wirksamer.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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