In Deutschland werden jährlich 230 Millionen Tagesdosen an Benzodiazepinen von den gesetzlichen Krankenversicherungen abgerechnet und etwa die gleiche Menge wird zusätzlich über Privatrezepte verordnet.
Benzodiazepine sind wichtig Wirkstoffe, die in der Notfallmedizin, in der Anästhesie oder bei psychiatrischen Notfällen oft von grossem Wert sind. Verbreiteter ist jedoch ihre Anwendung als Schlaf- und Beruhigungsmittel, wie zum Beispiel in Form des klassischen Valiums. Jede zweite Person, die eines dieser Medikamente einnimmt, schluckt es zur Linderung von Schlafstörungen und jede Vierte gegen innere Unruhe, Nervosität, Erregungs- oder Spannungszustände.
Benzodiazepine zeigen zwar eine gute Wirksamkeit, haben jedoch auch bekanntermaßen ein hohes Missbrauchs- und Abhängigkeitsrisiko. Die Arzneimittelrichtlinie legt in der Regel einen Einnahmezeitraum von bis zu vier Wochen fest. Die tatsächlich verkauften Tabletten deuten jedoch darauf hin, dass häufig ein Langzeitverbrauch stattfindet.
Die genaue Zahl der Benzodiazepin-Abhängigen ist bisher nicht bekannt, liegt jedoch etwa zwischen 128.000 bis 1,6 Millionen Menschen in Deutschland.
Die Problematik des Missbrauch und der Abhängigkeit von Benzodiazepinen sind seit über 40 Jahren bekannt und vieldiskutiert.
Die Bedeutung des Abhängigkeitsrisikos wurde von der Pharmaindustrie über lange Zeit verharmlost.
Seit rund 40 Jahren sind Missbrauch und Abhängigkeit von Benzodiazepinen aber bekannte Probleme.
Pharmazeutische Unternehmen und die deutsche Zulassungsbehörde haben deshalb seit den 1980er Jahren die Anwendungsdauer auf in der Regel zwei bis vier Wochen beschränkt.
Katrin Janhsen et al. haben nun in einer aktuellen Übersichtsarbeit im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 1-7) gezeigt, wie die hohe Verschreibungszahl der Benzodiazepinen zu Stande kommt und worauf bei der Entgiftung zu achten ist.
Muss ein Benzodiazepinen-Abhängiger entwöhnt werden, braucht es dazu einen langwierigen Entzug. Starke Medikamentenabhängigkeit setzt für den Entzug sogar eine stationäre Behandlung voraus, wie die Autoren anhand eines Ablaufschemas darstellen. Sie unterstreichen, dass Ärzte unsachgemäße Langzeitverordnung vermeiden sollen und über die Vorbeugung und Behandlung von Arzneimittelabhängigkeit intensiver fortgebildet werden müssten.
Quelle:
Die Übersichtsstudie:
Kommentar & Ergänzung:
Der Langzeitkonsum von Benzodiazepinen bei Beschwerden, für die sie wegen des Risikopotenzials nicht geeignet sind, ist tatsächlich schon seit vielen Jahren ein Thema.
Da Appelle an Ärzte und Patienten offenbar nur sehr beschränkt wirksam sind, wären schärfere gesetzliche Regelungen meines Erachtens überfällig.
Zu erwähnen wäre gleichzeitig aber auch, dass es eine Reihe von pflanzlichen Schlafhilfen gibt, die keine Abhängigkeit, kein Hang-over und keine erhöhte Sturzgefahr bewirken.
Pflanzliche Schlafhilfen wie Baldrian, Melisse, Passionsblume, Hopfen oder Lavendel / Lavendelöl helfen zwar nicht in jedem Fall. Sie sind aber eine Option, die in vielen Situationen sinnvollerweise in Betracht zu ziehen ist. Manchmal, aber nicht immer, lassen sich Benzodiazepine durch pflanzliche Schlafhilfen vermeiden oder ersetzen. Wobei aber das Absetzen von Benzodiazepinen nach längerem Gebrauch ärztlicher Unterstützung bedarf. Benzodiazepine schlagartig absetzen und durch pflanzliche Schlafmittel zu ersetzen – das würde mit grösster Wahrscheinlichkeit schief laufen.
Besser ist es, bei harmloseren Beschwerden gar nicht erst in eine Benzodiazepin-Abhängigkeit hinein zu schlittern.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterwanderungen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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