In der Zeitschrift für Phytotherapie (2/2016) befasst sich Prof. Karin Kraft mit dem Thema „Phytotherapie in der Wundbehandlung“. Dabei geht es in einem Kapitel um Aloe-Gel als Wundheilmittel. Die Autorin Karin Kraft ist Professorin am Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Rostock und eine ausgezeichnete Kennerin der Phytotherapie.
Nachfolgend eine Zusammenfassung dieses Abschnitts:
Aloe-Gel wird aus den Parenchymzellen der frischen oder lyophilisierten Blätter von Aloe barbadensis (Aloe vera, Aloe vulgaris) nach dem Entfernen der grünen Anteile gewonnen. Seine Hauptinhaltsstoffe sind Mucopolysaccharide, Enzyme, Anthranoide, Lignin, Saponine, Salizylsäure und Mineralstoffe.
Aloe-Gel beziehungsweise seine Inhaltsstoffe wirken in verschiedenen Untersuchungsmodellen bakterienhemmend, antioxidativ, schmerzstillend und entzündungshemmend. Das Gel stimuliert auch das Wachstum von basalen Keratinozyten im Reagenzglas. Hinweise auf eine lokale oder systemische Toxizität wurden bisher nicht gefunden
In Tierversuchen mit Mäusen zeigte eine Aloe-Behandlung wundheilende Effekte. Solche Experimente lassen sich aber nicht einfach so auf menschliche Wunden übertragen.
Der Wirksamkeitsnachweis von Aloezubereitungen durch Studien an Wunden bei Menschen ist noch nicht befriedigend gelungen.
Die Cochrane Collaboration fasste im Jahr 2012 in einem Review die Ergebnisse von 7 randomisierten und kontrollierten Therapiestudien mit Aloe-vera-Zubereitungen bei akuten und chronischen Wunden zusammen. Die Studien hatten eine sehr geringe Qualität. Eine randomisierte Studie bei Brustkrebspatientinnen mit Hautschäden nach Bestrahlung kam zum Schluss, dass nur neutraler Puder, nicht jedoch Aloe-Creme oder Basis-Creme wirksam waren.
Patienten mit Druckulcera, diabetischen oder venösen Ulcera wurden in einer randomisierten, doppelblinden Studie während 30 Tagen entweder mit einer Aloe vera/Olivenöl- oder mit einer Phenytoin-haltigen Creme behandelt. Dabei wirkte die Aloe vera/Olivenöl-Creme signifikant besser wundheilungsfördernd und analgetisch.
Die Autorin Prof. Karin Kraft zieht den Schluss: „Aloe-Spezies haben damit zwar ein Potenzial bei der Indikation ‚Unterstützung der Wundheilung’, weitere klinische Studien mit exakt definierten Zubereitungen sind jedoch erforderlich.“
Quelle: Zeitschrift für Phytotherapie Nr. 2 / 2016
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0042-105039#R10-1055-s-0042-105039-31 (Zugang nur für Abonnenten)
Kommentar & Ergänzung:
Mit Aloe vera gibt es einen völlig absurden Hype. Irgendwelche Beschwerden zu finden, gegen die Aloe vera nicht helfen soll, dürfte schwer fallen. Das ist typische Indikationslyrik.
Inzwischen gibt zudem schon Putz- und Waschmittel mit Aloe vera – oder Stumpfhosen für schöne Beine….
Das ist reines Marketing. Ein Produkt, auf dem steht: „Mit Aloe vera“, verkauft sich einfach besser. Ob Aloe vera darin überhaupt eine Wirksamkeit entfalten kann und in der nötigen Konzentration vorhanden ist, spielt keine Rolle.
Im Bereich der Wundheilung scheint Aloe vera jedoch tatsächlich eine günstige Wirkung zu haben, auch wenn die Belege aus Studien dazu noch mager sind.
Bei kleinen Verbrennungen und bei Sonnenbrand wird Aloe vera frisch aufgelegt oder als Gel eingesetzt – und viele Anwender machen damit gute Erfahrungen. Eine kühlende und entzündungswidrige Wirkung ist jedenfalls plausibel.
Bei schlecht heilenden Wunden wie beim Ulcus venosum (venöses Unterschenkelgeschwür) könnte auch der Gel aus den Blättern über eine Feuchthaltung der Wunde günstig wirken und die Granulation fördern.
Bei den Aloe-Gelen aus dem Handel gibt es grosse Qualitätsunterschiede. Sie sind nicht als Arzneimittel, sondern als Kosmetika im Markt. Dadurch müssen die Hersteller keine Wirksamkeit belegen, was die Motivation der Hersteller für die Finanzierung grosser Studien sehr reduziert.
Ursprünglich wurde Aloe vera in der Heilkunde vor allem als starkes Abführmittel eingesetzt. Dazu verwendet man den Zellsaft, der nach dem Abschneiden der Blätter austritt. Durch Eindampfen an der Sonne oder im Vakuum entsteht eine braune bis schwärzliche Substanz, die als Hauptwirkstoff das Anthranoid Aloin enthält. Die therapeutische Bedeutung von Aloe vera als Abführmittel ist stark zurückgegangen, da es deutlich verträglichere Wirkstoffe gibt.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz