Die Arzneimittelinformationsplattform „Gute Pillen, Schlechte Pillen“ (GPSP) hat die Studienlage zum Thema „Abnehmen mit Bockshornklee“ unter die Lupe genommen und die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ berichtete darüber:
„Die aktuelle Forschungslage wurde geprüft. Bislang haben sich nur zwei wissenschaftliche Studien mit diesem Thema beschäftigt. Und auch die boten aufgrund ihrer geringen Zahl an Probanden keine vernünftige Bewertungsgrundlage.“
„Der Standard“ weißt zudem auf den Widerspruch hin, dass Bockshornklee auch gegen Appetitlosigkeit empfohlen wird:
„Auch Appetitlosigkeit ließe sich damit heilen. Wie paradox klingt es dann, dass Firmen damit werben, man könne mit ihren Produkten, die Bockshornklee enthalten, abnehmen.“
Quelle:
https://derstandard.at/2000053654073/Schmaeh-Abnehmen-mit-Bockshornklee
Kommentar & Ergänzung:
Bockshornkleesamen werden für alles Mögliche empfohlen – von Haarausfall bis Impotenz – und wie im „Standard“ erwähnt gegen Appetitlosigkeit und als Schlankheitsmittel. Solche „Indikationslyrik“ ist immer mehr oder weniger fragwürdig und ein Grund, genauer hinzuschauen.
Komplementärmedizin: Indikationslupe unter die Lupe nehmen!
Ich möchte hier allerdings zeigen, dass die Sachlage nicht so einfach und eindeutig ist, wie GPSP und der „Standard“ sie darstellen.
Die Einschätzung von GPSP trifft zu: Es gibt keine guten Studien, die eine Wirkung von Bockshornkleesamen zur Gewichtsreduktion beweisen.
Vor allem der „Standard“ lässt sich aber zu Aussagen hinreissen, die genauso fragwürdig sind:
„Schmäh: Abnehmen mit Bockshornklee.
Die unabhängige Plattform ‚Gute Pillen – schlechte Pillen’ entlarvt Bockshornklee als untauglich zur Gewichtsreduktion, es fehlt jeder Beweis. Es ist der alte Traum von Übergewichtigen: Wer sich zu dick fühlt, nimmt ein einen Wirkstoff aus der Natur und verliert Gewicht, weil auch der Hunger weg ist. Diese Illusionen werden mitunter auch ausgenutzt. So gibt es Produkte mit Bockshornkleesamen, die genau das versprechen.“
„Schmäh“, „entlarvt“ und „Illusionen werden ausgenutzt“ – das sind ziemlich unwissenschaftliche moralische Urteile. Gibt es dafür eine Basis? Meines Erachtens nein.
Die Tatsache, dass es keine guten, grossen Studien gibt, die eine Wirksamkeit von Bockshornklee zur Gewichtsabnahme belegen, bedeutet genau das und nur das: Es gibt für diese Wirkung keine Belege.
Das schliesst nicht aus, dass es trotzdem eine Wirkung geben könnte.
„Der Standard“ fordert:
„Weil Bockshornklee seit Jahrzehnten als heilsames Multitalent vermarktet wird, müssten endlich hochwertige Studien den Erfolg nachweisen – und somit für Verbraucherinnen und Verbraucher auch den Sinn der Geldausgabe rechtfertigen.“
Genau hier liegt aber ein Hund begraben und es wäre fair, wenn der „Standard“ das auch aufzeigen würde: Die Forderung nach hochwertigen Studien ist ziemlich naiv und kann wohl nur von jemandem stammen, der keine Ahnung hat von Forschung mit Heilpflanzen.
Hochwertige Studien sind sehr teuer. Bockshornkleesamen sind billig und nicht patentierbar. Kein Verkäufer von Bockhornkleesamen wird es sich leisten können, eine Million Franken in die Forschung zu stecken, damit ein paar grosse, hochwertige Studien durchgeführt werden können, die eine Grundlage bieten für eine gute Metastudie. Jeder Konkurrent, der ebenfalls Bockshornklee verkauft, könnte von dieser Forschung profitieren und seine Produkte ohne Forschungsaufwand viel billiger vermarkten. Die Chance, dass es zu Bockshornkleesamen jemals hochwertige Studien gibt, die den Ansprüchen der Evidence Based Medicine genügen, ist nahezu Null.
Gleichzeitig kritisiert GPSP aber natürlich zu Recht, wenn Bockshornkleesamen-Verkäufer grossartige Versprechungen betreffend Gewichtsreduktion machen, die durch keinerlei Belege plausibel gemacht werden können.
Die unabhängige Plattform „Medizin Transparent“ hat die Studienlage zur Wirksamkeit von Bockshornklee als Mittel zur Gewichtsreduktion ebenfalls untersucht und schreibt:
„Wir fanden nur eine einzige Untersuchung, in der die Teilnehmenden nach sechs Wochen kein Gewicht verloren hatten. Der Untersuchungszeitraum der Studie ist jedoch sehr kurz, die Teilnehmeranzahl gering und die Qualität mittelmäßig. Es bleibt daher unklar, ob Bockshornklee-Samen längerfristig helfen können, Gewicht zu verlieren.“
Quelle: https://www.medizin-transparent.at/bockshornklee-samen-abnehmen
Bockshornkleesamen als Mittel gegen Appetitlosigkeit?
Interessant ist der Hinweis von GPSP und „Standard“, dass Bockshornkleesamen eigenartigerweise auch gegen Appetitlosigkeit empfohlen werden.
Tatsächlich taucht die Indikation „Appetitlosigkeit“ auch in den Monografien der Qualitätssicherungsgremien „Kommission E“ und „ESCOP“ auf . Als wissenschaftlicher Beleg liegt dafür allerdings nur ein Tierversuch vor: Ein fett- und eiweissfreier Bockshornkleesamenextrakt führte bei Ratten zu einer signifikanten Steigerung der Fresslust und der Nahrungsaufnahme. Es gibt aber auch Erfahrungen aus der Tiermedizin mit der Anwendung von Bockshornkleepulver als Mittel zur Steigerung der Fresslust. Und in Nordafrika nehmen Frauen Bockshornkleesamen zu sich, wenn sie sich als zu mager empfinden und Gewicht zulegen möchten.
Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17333802
Die Empfehlung von Bockshornkleesamen gegen Appetitlosigkeit ist zwar auch nicht zweifelsfrei belegt. Insgesamt sprechen aber mehr Argumente für die Anwendung bei Appetitlosigkeit als für die Anwendung zur Gewichtsreduktion.
GPSP und der „Standard“ finden es „paradox“, dass Bockshornkleesamen sowohl gegen Appetitlosigkeit als auch zur Gewichtsreduktion empfohlen wird – und das ist es wahrscheinlich auch.
Aber auch hier muss man etwas tiefer in die Heilpflanzenkunde einsteigen:
Eine solche gegensätzliche Wirkung ist bei Heilpflanzen-Anwendungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Heilpflanzen enthalten verschiedene Wirkstoffe. Je nach Art der Zubereitung und Dosierung können daraus auch unterschiedliche Wirkungen folgen. Beim Bockshornklee könnten beispielsweise Schleimstoffe ein Sättigungsgefühl auslösen und dadurch zur Gewichtsreduktion beitragen, während Bitterstoffe in moderater Dosis den Appetit anregen. Aber das ist jetzt wirklich reine Spekulation und nur als illustrierendes Beispiel gedacht, um zu zeigen, dass die Fragen manchmal komplizierter sind, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterwanderungen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege
Schmerzen? Chronische Erkrankungen?