Der Tages-Anzeiger hat am 6. August 2018 einen netten Text veröffentlicht über die Anwendung von Heilpflanzen. Darüber könnte ich mich ja freuen, wenn der Text nicht so fehlerhaft wäre.
Quelle:
https://www.tagesanzeiger.ch/wissen/natur/die-passionsblume-wirkt-besser-gegen-aengste-als-benzos/story/17703360#mostPopularComment
Nur schon der Titel und der Lead haben es in sich:
„Diese Pflanze wirkt besser als Antidepressiva
Ihre Wirkung ist wissenschaftlich erwiesen, trotzdem tut sich die Medizin mit Heilpflanzen schwer. Welche Pflanzen bei Übelkeit, Erkältungen oder innerer Unruhe helfen.“
Und was für eine Heilpflanze ist darunter abgebildet?
Eine Passionsblumenblüte.
Für die Passionsblume gibt es aber keine fundierten Hinweise auf eine Wirksamkeit gegen Depressionen. Passionsblume wirkt leicht beruhigend bei Einschlafstörungen und Nervosität, ausserdem leicht angstlösend.
Dann steht da noch:
„Die Zulassung von Heilpflanzen als Arzneimittel bürgt für den Nachweis einer Wirkung.“
Das stimmt so nicht und ist einfach Unsinn.
Zwar ist es wichtig, zwischen pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln und pflanzlichen Arzneimitteln zu unterscheiden.
Nahrungsergänzungsmittel müssen nie eine Wirksamkeit belegen, dürfen aber dafür auch keine Indikationen auf die Packung schreiben.
Bei pflanzlichen Arzneimitteln gibt es verschiedene Kategorien. Als traditionell eingestufte pflanzliche Arzneimittel sind vom Wirkungsnachweis befreit. Als Traditionell gilt dabei ein Mittel, das seit mindestens 30 Jahren auf dem Markt ist. Eine kurze Spanne, würde ich sagen. Unter „traditionell“ verstehe ich eher ein paar 100 Jahre.
Nun spricht schon viel dafür, dass es wirksame traditionelle Arzneimittel gibt. Aber ein Nachweis für Wirksamkeit ist eine traditionelle Anwendung keineswegs.
Sieh dazu:
Komplementärmedizin – hat Tradition recht?
Die Zulassung als Arzneimittel allein ist daher kein Nachweis für Wirksamkeit.
Kommt ein pflanzliches Arzneimittel (Phytopharmaka) mit einem neuen Anwendungsbereich (Indikation) auf den Markt, muss die Wirksamkeit vorher mit Studien belegt werden. Soll ein Phytopharmaka von der Grundversicherung bezahlt werden, steht ebenfalls eine Prüfung der Wirksamkeit an.
Es gibt also eine ganze Reihe von Phytopharmaka mit belegter Wirkung – der Artikel im Tages-Anzeiger führt als Beispiele Ginkgo, Baldrian, Trau¬bensilberkerze, Mönchs¬pfeffer und Johanniskraut an. Dabei ist die Wirksamkeit allerdings jeweil nur für bestimmte Extrakte belegt.
Auf alle pflanzlichen Arzneimittel lassen sich diese Belege aber nicht übertragen.
Homöopathika und Anthroposophika sind im Übrigen grundsätzlich vom Wirkungsnachweis befreit.
Schlussendlich wird in dem Artikel noch auf die Wirkung von Teufelskralle bei Rheuma hingewiesen – allerdings illustriert mit einem falschen Foto. Abgebildet ist eine eiheimische Teufelskralle (= Rapunzel, Phyteuma), siehe Foto auf Wikipedia.
In der Phytotherapie wird aber die Afrikanische Teufelskralle verwendet (Harpagophytum procumbens), eine Wüstenpflanze, insbesondere bei Arthrose.
Foto auf Wikipedia hier.
Der Pflanzenname „Teufelskralle“ wurde also mindestens zweimal vergeben, aber dem Tages-Anzeiger scheint es egal zu sein, welches Bild stimmt (ich habe den Fehler schon zweimal gemeldet). Die Idee, die mit diesem falschen Foto suggeriert wird, dass unsere einheimische Teufelskralle gegen Rheuma hilft, ist irreführend.
Der Artikel ist ein Beispiel dafür, dass man auch bei etablierten Medien nicht fraglos alles glauben sollte……
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterwanderungen in den Bergen / Kräuterkurse
https://phytotherapie-seminare.ch/
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege
Schmerzen? Chronische Erkrankungen?