Das Magazin „Focus“ publiziert einen Artikel unter dem Titel:
„Statt Ibuprofen und Diclofenac
Alternative zu Schmerzmitteln: Wie Sie Entzündungen wegessen können
In der Einleitung schreibt die Autorin:
„Knie entzündet, Schulter schmerzt? Mediziner sehen darin noch nicht zwangsläufig einen Grund, zu Schmerzmitteln wie Ibuprofen oder Diclofenac zu greifen – viel zu stark seien die Nebenwirkungen. Viele plädieren stattdessen auf eine entzündungshemmende Ernährung – FOCUS Online zeigt, wie die aussehen könnte.“
Was ist davon zu halten? Schauen wir uns den Text genauer an.
Die Autorin weist darauf hin, dass viele Patienten bei Entzündungen schnell zu Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Diclofenac greifen und zitiert dann den Spormediziner Klaus Pöttgen, der davon abrät: „Die Nebenwirkungen dieser Medikamente sind viel zu stark“. Stattdessen empfiehlt Pöttgen eine „regenerative Sporternährung“ – also Lebensmittel, die Entzündungen hemmen sollen.
Fünf dieser Lebensmittel empfiehlt Focus online:
Sauerkirschen, Zitronen, Ananas, Kurkuma, Omega-3-Fettsäuren aus Ölen.
Grundsätzlicher Kommentar:
- Dass Entzündungen sich über die Ernährung hemmen lassen, ist vorstellbar und es gibt einige Hinweise für eine solche Wirkung.
- Entzündungshemmer aus der Gruppe der NSAR wie Ibuprofen und Diclofenac können tatsächlich ernsthafte Nebenwirkungen und Risiken haben, insbesondere bei höherer Dosierung und bei längerdauernder Einnahme.
Heikel an diesem Artikel ist die Absolutheit der Aussage.
Bei hoch entzündeten Gelenken – zum Beispiel in einem Polyarthritis-Schub – reicht die entzündungshemmende Wirkung über die Ernährung in der Regel nicht aus. In solchen Fällen kann es wichtig sein, die Entzündung mit stark wirkenden Medikamenten wie Ibuprofen oder Diclofenac herunterzuholen, weil dadurch das Gelenk vor knorpelzerstörenden Enzymen geschützt werden kann. Ersetzt man auch in solchen Phasen Entzündungshemmer durch eine entzündungshemmende Ernährung, können Schäden am Gelenk die Folge sein. Eine unterstützende Wirkung der entzündungshemmenden Ernährung ist aber auch in hoch akuten Phasen möglich.
Ist die akute Entzündung abgeklungen, kann die entzündungshemmende Ernährung dazu beitragen, die Dosierung der NSAR herunterzufahren und in Phasen zwischen den Schüben möglichst ganz darauf zu verzichten.
Der Focus-Artikel vermittelt irreführenderweise den Eindruck, dass die entzündungshemmende Ernährung NSAR wie Ibuprophen oder Diclofenac immer ersetzen kann.
Es geht aber nicht um ein entweder-oder, sondern darum, in jeder Phase das passende einzusetzen.
Auch die Empfehlungen im Einzelnen werfen ein paar Fragen auf.
Zu den Sauerkirschen schreibt „Focus“:
„Die kleinen roten Früchte sind wahre Energiebomben: Sauerkirschen enthalten Antioxidantien, Vitamin C und sogenannte Anthocyanidine, die Entzündungen lindern können.“
Zum Thema Entzündungshemmung mit Sauerkirschen gibt es tierexperimentelle Studien und eine kleine Studie mit Menschen, die aber keine eindeutigen Ergebnisse liefern. Anthocyane wirken entzündungswidrig. Sie werden aber nur schlecht in den Körper aufgenommen, so dass es wichtig wäre zu wissen, wieviel Sauerkirschen bzw. Sauerkirschensaft enzunehmen ist, um eine merkbare Wirkung auszulösen. Hier sind noch viele Fragen offen.
Zu Zitronen schreibt Focus:
„Dass Zitronen einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben, ist längst kein Geheimnis mehr. Aber auch Entzündungen kann die Frucht bekämpfen. Für den optimalen Effekt reibt man aber nicht die Frucht selbst, sondern besonders die Schale einer Bio-Zitrone in das gewünschte Gericht.“
Zitronenschalen enthalten die bitter schmeckenden Flavonoide Neohesperidin und Naringenin, sowie das nicht bittere nicht Rutin; Hydroxycumarine, Furanocumarine, Zitronensäure und Pektine.
Dazu sind mir keine Untersuchungen bekannt. Flavonoide wirken als Radikalfänger und steigern zum Teil auch die Kapillarresistenz. Ein Effekt auf Entzündungen ist meines Erachtens vollkommen unklar, nicht zuletzt auch deshalb, weil wohl nur wenige Menschen die bitterschmeckenden Zitronenschalen in den nötigen Mengen regelmässig einnehmen werden.
Zu Ananas schreibt Focus:
„Ebenfalls nicht zu verachten ist die Kraft der Ananas: Sie enthält ein Enzym, das bei Entzündungen hilft – und nebenbei auch die Verdauung anregt.“
Das erwähnte Enzym heisst Bromelain. Es wurde in klinischen Studien bei Gelenkbeschwerden gegen Placebo und gegen NSAR untersucht, wobei nur etwa jede zweite Studie nicht negativ ausfällt. Das ist nicht gerade überzeugend. Ein sicherer Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit von Bromelain konnte jedenfalls noch nicht erbracht werden. In diesen Studien wurde Bromelain in Form von magensaftresistenten Dragees oder Filmtabletten verabreicht, weil dieses Enzym bereits im Magen bereits zum grössten Teil verdaut wird. Warum erwähnt Focus diese bedeutende Einschränkung nicht?
Zu Kurkuma schreibt Focus:
„Kurkuma ist ein Hauptbestandteil von Currypulver. Dem aus Südasien stammenden Gewürz schreibt Sportexperte Pöttgen ebenfalls entzündungshemmende Eigenschaften zu. Der Körper kann es gut aus dem Currypulver, bei akuten Entzündungen aber besser in Form von Dragees aufnehmen.“
Kurkuma als Gewürz stammt von der Wurzel von Curcuma longa (Gelbwurz) und enthält als Hauptwirkstoff den gelben Farbstoff Curcumin.
Curcumin ist ein intensiv wissenschaftlich untersuchter Naturstoff. In Laborexperimenten zeigt Curcumin entzündungswidrige Effekte. Ob diese Wirkung auch im menschlichen Organismus in relevanter Intensität auftritt, ist nicht bekannt. In deutlichem Gegensatz zu den Ausführungen auf Focus online ist die Aufnahmerate aus dem Verdauungstrakt in den Organismus nämlich sehr gering. Erhitzung oder Auflösung in Öl erhöht die Bioverfügbarkeit von in Lebensmitteln enthaltenem Curcumin.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2016 zeigte, dass Curcumin in klinischen Studien bei Arthrosepatienten sowohl die Schmerzen verringern als auch die Beweglichkeit verbessern kann. Der Erfolg der klinischen Studien hängt wegen der geringen Bioverfügbarkeit von Curcumin stark von der eingesetzten Curcumin-Formulierung ab, den verwendeten Präparaten werden nämlich oft Substanzen wie Piperin (einem Bestantteil des Pfeffers) zugesetzt, um die Aufnahmefähigkeit zu verbessern.
Siehe:
https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/jmf.2016.3705
Zu Omega-3-Fettsäuren aus Ölen schreibt Focus:
„Ebenfalls entzündungshemmend wirken Omega-3-Fettsäuren. Es steckt in Lein-, Oliven- und Rapsöl. Auch Wildlachs ist reich an Omega-3-Fettsäuren. Doch Seefisch sollten Sie allgemein mit Vorsicht genießen: Die Tiere sind heutzutage stark mit Quecksilber und anderen schädlichen Stoffen belastet.“
Omega-3-Fettsäuren wurden vor allem in Form von Fischöl-Präparaten untersucht. In der Mehrzahl der Studien konnten Präparate mit Omega-3-Fettsäuren Schmerzen und andere Symptome bei rheumatoider Arthritis nicht verbessern. Die Resultate sind teilweise jedoch widersprüchlich. Ob eine fischreiche Ernährung wirksam ist, wurde bisher nur ungenügend untersucht.
Insgesamt werden die Möglichkeiten der empfohlenen Mittel im Focus-Artikel also sehr übersteigert und unkritisch dargestellt. Aber ein solcher Text spricht natürlich die Besucherinnen und Besucher der Website an und generiert bestimmt viele Klicks, was die Werbeeinnahmen von Focus sprudeln lässt.
Quelle der Zitate: