Senioren in Pflegeeinrichtungen bekommen oft für sie ungeeignete Arzneimittel oder Arzneimittel-Kombinationen. Das haben Rechtsmediziner entdeckt, die verstorbene Bewohner dieser Einrichtungen für eine Studie obduziert haben.
Betagte Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen leiden häufig gleich an mehreren Krankheiten und müssen darum verschiedene Arzneimittel einnehmen. Eine solche Medikation braucht aufmerksame Planung, denn es kann rasch zu Wechselwirkungen der verschiedenen Wirkstoffe kommen. Darüber hinaus sind einige Medikamente generell nicht für sehr alte Menschen geeignet: Sie stehen deshalb auf der sogenannten Priscus-Liste.
Nicht alle Pflegeinstitutionen prüfen aber die Medikation ihrer Bewohner sorgfältig genug. Das konnte eine Wissenschaftlergruppe am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigen. Die Mediziner obduzierten 100 Bewohner von Altenheimen, die auch dort verstorben waren. Urin, Blut und Haare der Toten wurden in einem forensisch-toxikologischen Labor auf Medikamentenrückstände untersucht.
Sie wollten herausfinden, ob und wie oft die Verstorbenen für sie ungeeignete Medikamente eingenommen hatten, ob Medikamente überdosiert oder als freiheitsentziehende Maßnahme genutzt, also Patienten damit »ruhiggestellt« wurden.
Die Wissenschaftler untersuchten aber auch, ob die Gabe von Medikamenten gar für Todesfälle verantwortlich war.
Die Studie wird erst im Jahr 2019 abgeschlossen, doch die Forscher um Sabine Gleich haben nun schon erste Resultate publiziert. Demnach nahmen die untersuchten 100 Toten durchschnittlich 5 Medikamente ein. Der höchste Wert bei einem Bewohner waren 12 unterschiedliche Präparate.
Beinahe jeder zweite Bewohner (47 Prozent) nahm Antipsychotika, jeder dritte (30 Prozent) Antidepressiva.
Ein Viertel der verstorbenen Bewohnerinnen und Bewohner (22 Prozent) hatte Hypnotika oder Sedativa eingenommen – eine Arzneimittelgruppe, die genäss Priscus-Liste für dieses Lebensalter kontraindiziert ist.
Die Studienautoren schreiben, dass die Medikamentenkombinationen in mehreren Fällen nicht den Leitlinien der Fachgesellschaften zu entsprechen scheinen. Sie fanden Hinweise auf eine gleichzeitige Verordnung mehrerer Opioidanalgetika sowie mehrerer oder langwirksamer Hypnotika. Auch hatten zahlreiche Bewohner verschiedene zentralnervös wirksame Substanzen eingenommen, was immer mit einem hohen Risiko für Nebenwirkungen und Interaktionen verbunden ist.
Bei den Antipsychotika waren die beiden am häufigsten gefundenen Substanzen Pipamperon und Risperidon, bei den Antidepressiva Mirtazapin und Citalopram, bei den Opioidanalgetika Tilidin und Fentanyl. Hatten die Verstorbenen Hypnotika eingenommen, dann besonders häufig Lorazepam oder Oxazepam. Bei den Antikonvulsiva lagen Pregabalin und Gabapentin an der Spitze.
Die Wissenschaftler werten zurzeit noch zusätzliche Details anhand von weiteren Blut- und Haarproben aus und analysieren die Medikationspläne der obduzierten Patienten. Für das kommende Jahr planen sie eine ausführliche Fachpublikation.
Quelle:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/zu-viele-ungeeignete-medikamente/
Kommentar & Ergänzung:
Die Medikation bei älteren Menschen ist oft anspruchsvoll, insbesondere wenn mehrere Erkrankungen gleichzeitig vorliegen. Je höher dann die Zahl der verordneten Medikamente, desto schwieriger wird es, die potentiellen Wechselwirkungen zu überblicken.
Die Mitteilung der Forscher aus München bestätigt den Eindruck, dass hier nicht immer alles otimal läuft und oft zuviel verordnet wird. Wir können also gespannt sein auf den vollständigen Forschungsbericht.
Zur erwähnten Priscus-Liste:
Die im Herbst 2010 eingeführte Priscus-Liste kann Ärzten und Apothekern bei einer seniorengerechten Auswahl von Medikamenten helfen. Die Priscus-Liste umfasst 83 Wirkstoffe, die als potenziell ungeeignet für geriatrische Patienten gelten.
Alternativ verweist die Priscus-Liste auch auf Phytopahrmaka.
Bei Schlafstörungen schlägt sie alternativ hoch dosierte Baldrianpräparate oder nichtmedikamentöse Therapie (Schlafhygiene) vor.
Siehe dazu:
Schlafstörungen: Senioren profitieren von pflanzlichen Schlafhilfen
Baldrian als verträgliche Schlafhilfe für Senioren bestätigt
Eine Erläuterung zum Sinn und Zweck der Priscus-Liste finden sie hier:
Zur Priscus-Liste direkt geht’s hier:
P.S.:
Phytopharmaka bzw. Heilpflanzen-Anwendungen sind im Pflegeheim in gewissen Situationen eine prüfenswerte Option – für Pflegefachleute, aber auch für Personen aus Medizin und Naturheilkunde biete ich mit der Phytotherapie-Ausbildung einen fundierten Lehrgang an, um professionelles Wissen in diesem Bereich zu erwerben.