Der grosse Liberale Ralf Dahrendorf (1929 – 2009) hat viele Probleme vorausgesehen, die auf Demokratie und Rechtsstaat zukommen, und mit denen wir uns heute herumschlagen.
Demokratie kann nur existieren, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
Dahrendorf hat sich sehr mit diesen Bedingungen befasst, auf denen die Demokratie basiert, und die er als zunehmend als gefährdet ansah.
Weil Demokratie und Rechtsstaat also nicht so selbstverständlich sind, wie uns das oft erscheint, ist es wichtig, diesen Bedingungen Sorge zu tragen. Was Ralf Dahrendorf uns dazu zu sagen hat, stelle ich nachfolgend in Zitaten vor:
„Die Demokratie braucht Demokraten. Demokratie ist eine Lebensform. Ich möchte vor allem zwei Voraussetzungen der Demokratie wenigstens beim Namen nennen, weil sie zum Kernbestand der liberalen Ordnung gehören: die Bürgergesellschaft und die Herrschaft des Rechts…….
Die Bürgergesellschaft ist die Gesellschaft freier Assoziationen. Menschen schliessen sich um ihre Interessen unf Vorlieben zusammen. Der gute alte Begriff der Genossenschaft beschreibt das besser als Gesellschaft oder Gemeinschaft. Die genossenschaftlichen Bindungen sind die Lebenswelt; weil es sie gibt, ist der Staat, ist Politik nicht all-wichtig. Politische Demokratie ohne das Netzwerk der Bürgergesellschaft schwebt entweder in der Luft, oder sie wird überfordert. Es ist ein Kernstück der funktionierenden Demokratie, dass die Bürger von ihr nicht alles verlangen. Sie soll einen verlässlichen Rahmen setzen, aber im übrigen die Bürgergesellschaft sich selbst überlassen – so wie die Bürgergesellschaft nicht ständig nach staatlichen Regeln oder Steuergeldern rufen soll. Das ist eine schwierige Aufgabe besonders in Ländern, in denen der Staat immer schon da was und lange Zeit die Assoziationen der Bürger nur als Funktionärs-Veranstaltungen geduldet hat.
Die Herrschaft des Rechts ist eine andere, nicht minder komplexe Voraussetzung der liberalen Ordnung. Auch sie ist keine automatische Folge demokratischer Verfahren.“
Ralf Dahrendorf kommt in seinen Analysen zum Schluss, dass dort, wo die Demokratie versagt, die rule of law, der Rechtsstaat, eine unentbehrliche Rückfallposition darstellt.
Und er weist darauf hin, dass „all die schönen Dinge, von denen bisher die Rede war“, nicht selbstverständlich sind, sondern am Anfang des 21. Jahrhunderts unter Druck stehen.
„Will man diesem Druck einen Namen geben, so kann man von einer Grundtendenz zum Autoritarismus sprechen. Autoritarismus ist nicht Totalitarismus. Totalitäre Regimes beruhen auf der ständigen Mobilisierung aller zum Zweck der Stärkung eines Gewaltregimes. Autoritäre Regierung hingegen lebt von der Apathie der Bürger, die ihren eigenen, «privaten»Interessen nachgehen, während eine Nomenklatura das öffentliche Interesse in eines zur eigenen Machterhaltung verwandelt hat……..
Doch sind wir solchen Tendenzen durchaus nicht wehrlos ausgeliefert.“
Ralf Dahrendorf deutet Lösungsansätze an:
„Da es um die Politik der Freiheit geht, sind vor allem drei solcher Ansätze….hervorzuheben:
Erstens:Trotz Europa und der Doppeltendenz der Glokalisierung bleiben der Nationalstaat und die parlamentarische Demokratie klassischen Zuschnitts Rückgrat der Verfassung der Freiheit.“
Mit „Glokalisierung“ bezeichnet Dahrendorf den Doppelcharakter der Globalisierung:
„Während bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten immer weitere Räume zu ihrer Entfaltung brauchen und dabei jede Bodenhaftung verlieren, suchen Menschen immer kleinere Räume, in denen sie sich zu Hause fühlen und ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können. «Global denken, lokal handeln» ist ein Spruch, der in die Werbung eingang gefunden hat. Für den Doppelprozess, der sich um uns und vielleicht sogar in uns abspielt, gibt es einen Namen, Glokalisierung, also Globalisierung und Lokalisierung zugleich.“
Dahrendorf führt dazu aus:
„Vom Ende des Nationalstaates wird oft zu leichtfertig gesprochen. Tatsächlich sind nach wie vor die für die Lebenschancen von Einzelnen ausschlaggebenden Politiken nationalstaatliche Politiken. Das gilt für den ganzen Bereich der Sozialpolitik; es gilt auch für die Bildungspolitik, überhaupt die Kulturpolitik; selbst im Rahmen der wirtschaftlichen Ordnungspolitik haben Nationalstaaten beträchtlichen Manövrierraum.“
Zweitens: „Die Herrschaft des Rechts….Auch sie ist mancherlei Gefährdungen ausgesetzt. Sie kann ihrerseits zur Funktionärsherrschaft oder zumindest der Herrschaft der Richter werden. Sie kann auch durch die geschilderten Entwicklungen der Glokalisierung ausgehöhlt werden. Mit guten Gründen haben in jüngerer Zeit Autoren darauf hingewiesen, dass ohne Vertrauen (trust) das beste Rechtssystem nichts nützt; die Welt ohne Halt aber ist nicht gerade vertrauensfördernd.“……
Drittens schreibt Dahrendorf, sei dies der Punkt, „an dem das Lob der Bürgergesellschaft gesungen werden muss. Die Bürgergesellschaft ist die Welt der freien, in aller Regel freiwilligen Assoziation, in denen wir uns mit anderen zusammentun, um gemeinsame Interessen zu pflegen. Das kann eine Blaskapelle sein oder ein Verein zur Pflege des Brauchtums, es kann ein Verband zur Fürsorge für kranke alte Menschen sein oder eine Entwicklunghilfe-Organisation in Ruanda – der Fächer ist breit, die Zahl unbegrenzt, und die Assoziationen ergeben keine formierte Gesellschaft. Die Bürgergesellschaft ist ihrer Natur nach ein schöpferisches Chaos.
Das ist vor allem auf dem europäischen Kontinent zu betonen, wo die Assoziationen der Bürgergesellschaft häufig dem Staat sehr nahe, vielleicht zu nahe sind…….Nicht-Regierungsorganisationen verlieren so ihre notwendige Unabhängigkeit und damit ihre Kraft, den autoritären Tendenzen der Zeit wirksam Widerpart zu leisten.
Am Ende führt diese Analyse daher zurück zu dem wachen und aktiven Bürger, der wachen und aktiven Bürgerin. Mehrfach habe ich in diesen Vorlesungen der tätigen Freiheit das Wort geredet. Sie ist keine Selbstverständlichkeit. Das gilt insbesondere im öffentlichen Raum. Die Demokratie ohne Demokraten zerstört sich selbst. Neues zu suchen und zu versuchen, Falsches aufzudecken und zu beseitigen, das sind Bürgerpflichten, die wir nur um den Preis der Freiheit vernachlässigen. Das ist kein Plädoyer für die Politisierung des gesamten Lebens. Die Bürgergesellschaft ist nur in einem sehr weiten Sinne politisch, oder anders formulliert, politisches Wirken ist nur ein kleiner Teil des bürgergesellschaftlichen Tuns. Es ist jedoch ein Plädoyer für Tätigkeit. Die andere Seite des neuen Autoritarismus ist die Gesellschaft der couch potatoes, der Fernsehzuschauer, die ihre Tage Kartoffelchips kauend auf dem Sofa verbringen und auf dem Bildschirm eine Welt passieren lassen, an der sie keinen Anteil mehr haben und bald auch keinen mehr haben können.“
Die Zitate stammen aus dem Buch:
Auf der Suche nach einer neuen Ordnung, von Ralf Dahrendorf,
Verlag C.H.Beck 2003.
Dieses Buch können Sie in meinem Buchshop anschauen und dort auch via Buchhaus bestellen (hier).
Hier gibt’s noch einen Text von mir zum Denken von Ralf Dahrendorf:
Ralf Dahrendorf zu den Gefährdungen liberaler Demokratien
„Ralf Dahrendorf (1929 – 2009) war ein deutsch-britischer Soziologe, Politiker und Publizist. Er war Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Mitglied des Deutschen Bundestages, parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Mitglied der Europäischen Kommission, Direktor der London School of Economics and Political Science, Mitbegründer der Universität Konstanz und Mitglied des britischen House of Lords.“ (Quelle: Wikipedia)
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