Die Philosophin Marie-Luisa Frick hat ein kleines, aber ergiebiges Reclam-Bändchen geschrieben mit dem Titel „Zivilisiert streiten – Zur Ethik der politischen Gegnerschaft“. Unter anderem zeigt sie darin den Unterschied auf zwischen Gegnerschaft und Feindschaft. Sie greift dabei ein Konzept der belgisch-britischen Philosophin Chantal Mouffe auf. Ein zentraler Stellenwert in Mouffes Denken kommt dem Konzept der Gegnerschaft zu, das sie in Anlehnung an Carl Schmitt (1888 – 1985) von dessen Konzept der Feindschaft abgrenzt.
Zur Verdeutlichung des ausserordentlich wichtigen Unterschieds zwischen Gegnerschaft und Feindschaft hier ein Zitat aus dem Reclam-Bändchen von Marie-Luisa Frick:
„Gegner tragen ihre politischen Konflikte innerhalb eines Rahmens geteilter (demokratischer) Prinzipien aus: Sie betrachten einander als legitime Kontrahenten mit grundsätzlich legitimen Auffassungsunterschieden. Mouffe hat dafür die Bezeichnung agonistische Konflikte (nach griechisch agon, der Wettkampf) gewählt, die sie von antagonistischen unterscheidet. Erstere nehmen eine Form an, welche die politische Gemeinschaft nicht zerstört, da die Gegner sich durch ein gemeinsames Band, wie insbesondere das Bekenntnis zum demokratischen Rahmen ihres Konfliktes, verbunden fühlen. Agonistische Konflikte werden geprägt von Dissens und Einmütigkeit zugleich, sie drücken, wie Mouffe es nennt, »konfliktualen Konsens« aus. Solange sich politische Konflikte in diesem Sinne ausdrücken dürfen, so lange sei es unwahrscheinlich, dass sie gewaltvoll ausgetragen werden……
Unter demokratischen Bedingungen werden politische Konflikte diskursiv, d. h. mit Argumenten und ohne Rückgriff auf physische Gewalt, sowie unter wechselseitiger Anerkennung der Legitimität der Kontrahenten ausgetragen. Feinde hingegen verbindet kein gemeinsames Band an (demokratischen) Wettstreitregeln. Deshalb können solche Konflikte im äussersten Fall auf einer existenziellen Ebene zu einem Entweder-oder, d. h. der ultimativen Vernichtung des Kontrahenten, führen. Die Entscheidung dafür, wann es sich um Gegnerschaft oder aber Feindschaft handelt, kann dabei selbst ein politischer Konflikt auf der Metaebene sein.“
Zitat aus:
Zivilisiert streiten – Zur Ethik der politischen Gegnerschaft, von Marie-Luisa Frick
Reclam Verlag 2017
Das Reclam-Bändchen können Sie bei mir im Buchshop anschauen und dort auch via Buchhaus bestellen (hier).
Kommentar & Ergänzung:
Ergänzend hier eine Beschreibung des Unterschieds zwischen Gegnerschaft und Feindschaft auf Wikipedia:
„Während Carl Schmitt mit dem Begriff des Antagonismus eine Freund-Feind-Unterscheidung beschreibt, entwickelt Chantal Mouffe den Schmittianischen Begriff weiter zum Begriff des Agonismus: Statt einer Freund-Feind-Beziehung wird die Beziehung durch das Prinzip der Gegnerschaft formuliert: Gegner erkennen die Legitimität der Opponenten an und sind untereinander derselben politischen Gemeinschaft zugehörig. Im Kampf unvereinbarer hegemonialer Projekte zeigt sich dieser Agonismus besonders. Das Ziel ist hierbei aber nicht die Vernichtung der Gegenspieler wie bei Carl Schmitt, sondern die Durchsetzung der eigenen Projekte.
Diese Hegemonie spielt für Mouffe bei der Definition des Politischen eine wichtige Rolle. Da das Politische aus Agonismen besteht, muss der hegemoniale Charakter gesellschaftlicher Ordnung anerkannt werden. Alle Projekte verschiedener Parteien sind als hegemonial anzuerkennen, was bedeutet, dass die gesellschaftliche Ordnung beispielsweise keineswegs als ewig bestehend anzusehen ist. Alles ist auf einen gewissen Zeitraum begrenzt, solange bis andere Projekte sich durchsetzen und die Ordnung verändern.“
Im Kern geht es also darum, dass sich bei Feindschaft ein ausschliessendes Entweder-oder entwickelt. „Du oder Ich“ ist das Leitmotiv – und es kann sich bis zur Vernichtung des Feindes steigern. Im Unterschied dazu akzeptieren sich Gegner im selben (politischen) Raum, auch wenn sie andere politische Projekte durchsetzen wollen.
Das Konzept der Feindschaft findet man insbesondere an den politischen Rändern – im Rechtsextremismus und im Linksextremismus -, aber ebenfalls im Islamismus.
Gegenwärtig breitet sich das Konzept der Feindschaft jedoch auch mit dem Rechtspopulismus aus. Dem Politologen Jan-Werner Müller zufolge ist ein zentrales Merkmal von Populisten die Überzeugung, dass sie, und nur sie, das „Volk“ repräsentieren. Und zwar ein als homogen fantasiertes Volk. Mit dieser Ausgangslage werden alle anderen politischen Positionen und Ansichten illegitim und zum Verrat am „Volk“. Feindschaft steht dadurch fast zwangsläufig im Raum. Das lässt sich sehr eindrücklich zeigen an Äusserungen von Trump, Bolsonaro, Orbán, Kaczyński, Salvini…und selbstverständlich bei zahlreichen Vertretern von FPÖ und AfD. Auch in der Schweiz zeigt eine ganze Reihe von Exponenten der SVP dieses „Feindschafts-Gehabe“, indem sie politisch Andersdenkende als „Verräter“ diffamieren und ihnen konsequent niedrige moralische Motive unterstellen. Damit wird dem politischen Gegner grundsätzlich die Integrität und Legitimität abgesprochen. Diese Haltung gibt es allerdings auch am linken Rand, zum Beispiel bei manchen Exponenten der JUSO. Die Extreme sind sich hier ähnlich.
Im Gegensatz dazu kann man in einer Haltung von Gegnerschaft durchaus Ansichten und Vorhaben des politischen Gegners hart kritisieren. Das geschieht aber mit Argumenten und so weit wie möglich auf der Sachebene.
Feindschaft zielt dagegen konsequent auf die Person. Und indem Feindschaft dem Andersdenkenden die Legitimität abspricht, ist sie unverträglich mit einem pluralistischen Gesellschaftsmodell, welches davon lebt, dass unterschiedliche Meinungen und Ansichten nebemeinander existieren und miteinander um Lösungen ringen.
Das Modell der Feindschaft ist deshalb in seiner Konsequenz undemokratisch.
Das bedeutet für Wahlen:
Nur Politikerinnen und Politiker wählen, die sich im Konzept der Gegnerschaft bewegen.
Niemals Politikerinnen und Politiker wählen, die im Konzept der Feindschaft feststecken. Sie führen über kurz oder lang ins Verderben, wenn sie an der Macht sind, und vergiften das politische Klima schon weit vorher.
P.S.: Der Begriff „Populismus“ wird heute oft inflationär und meistens ungenau verwendet. So verliert er jede Erklärungskraft und mutiert zu einem politischen Kampfbegriff. Deshalb ist das erwähnte Populismus-Konzept von Jan-Werner Müller sehr nützlich. Nachlesen lässt es sich in seinem Buch „Was ist Populismus„, das ebenfalls in meinem Buchshop erhältlich ist (hier).
Eine ausführliche Zusammenfassung dieses Buches habe ich hier veröffentlicht:
Was ist Populismus? Und was nicht?