In den USA ist jeder Fünfte überzeugt, unter einer Lebensmittelallergie zu leiden. Tatsächlich ist es jedoch nur jeder Zehnte, so das Resultat einer neuen Studie.
Menschen, die bei sich eine Nahrungsmittelallergie vermuten, sollten sich von einem Arzt testen lassen, statt bestimmte Lebensmittel in Eigenregie lebenslang aus ihrer Ernährung zu verbannen, empfehlen die Wissenschaftler um den Kinderarzt Professor Dr. Ruchi S. Gupta vom Ann & Robert H. Lurie Childrens’s Hospital Chicago und der Northwestern University im Fachjournal »JAMA Network Open«. Sie weisen darauf hin, dass Betroffene im Fall einer echten Allergie eine entsprechende Schulung benötigen, um Anaphylaxie-Symptome rechtzeitig zu erkennen und Noradrenalin-Injektoren korrekt anzuwenden.
Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Umfragedaten von mehr als 40.000 erwachsenen US-Amerikanern. 19,0 Prozent der Untersuchten glaubten, sie litten unter einer Lebensmittelallergie, doch stimmten die angegebenen Symptome oft nicht mit den Kriterien für eine echte allergische Reaktion überein. Nur bei 10,8 Prozent lagen überzeugende Hinweise für eine Lebensmittelallergie vor. Doch auch bei diesen lag nur bei rund der Hälfte eine ärztliche Diagnose vor.
51,1 Prozent der »echten« Allergiker hatten schon einmal eine schwere Immunreaktion durchgemacht. Von den Befragten hatten mindestens 38 Prozent einmal in ihrem Leben die Notaufnahme infolge einer Reaktion auf Lebensmittel aufgesucht. Jeder Vierte hatte eine aktuelle Noradrenalin-Verordnung.
Als häufigste Allergene wurden aufgeführt: Schalentiere (2,9 Prozent), Milch (1,9 Prozent), Erdnüsse (1,8 Prozent), echte Nüsse (1,2 Prozent) und Fisch (0,9 Prozent), gefolgt von Eiern, Weizen, Soja und Sesam. 45,3 Prozent zeigten Allergien gegen mehrere Lebensmittel.
Die Studie kam zum überraschenden Resultat, dass sich die Allergie bei jedem zweiten erst im Erwachsenenalter entwickelt hatte. Die Wissenschaftler empfehlen mehr Forschung, um zu verstehen, weshalb dies geschieht und wie es sich verhindern lässt.
Als Anzeichen einer Allergie werteten die Wissenschaftler Symptome wie Urtikaria (Nesselsucht), Schwellungen, Schluckschwierigkeiten, Engegefühl im Hals oder der Brust, Atembeschwerden, Keuchen, Erbrechen sowie Brustschmerzen, gesteigerte Herzschlagfrequenz, Hypotonie und Ohnmacht nach Konsum gewisser Lebensmittel. Symptome wie Durchfall und Bauchkrämpfe ordneten die Wissenschaftler dagegen eher einer Intoleranz zu.
Quelle:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/jede-zweite-eigendiagnose-ist-falsch/
DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2018.5630
Kommentar & Ergänzung:
Jede zweite Eigendiagnose mit dem Etikett „Lebensmittelallergie“ ist also falsch. Das dürfte in Europa nicht viel anders sein.
Solche Fehldiagnosen basieren oft auf fragwürdigen Allergie-Tests, insbesondere sogenannten IgG-Bestimmungen.
Siehe dazu:
Nahrungsmittel-Allergien: Viele Tests nutzlos, aber lukrativ
Im Bereich der Alternativmedizin stammen Fehldiagnosen vor allem von Kinesiologie-Tests.
In einer Studie wurden 315 Kinder und Jugendliche über einen Zeitraum von 2 Jahren mit kinesiologischen Mitteln auf Lebensmittelallergien hin getestet. Kinesiologen konnten dabei weder die Resultate von Kollegen überzufällig oft bestätigen, noch stimmten die Diagnosen statistisch signifikant mit den Ergebnissen aus verlässlichen herkömmlichen Allergietests (Antikörperbestimmung, Hauttest) überein.
(Quelle: R Pothmann: Evaluation der klinisch angewandten Kinesiologie bei Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten im Kindesalter. In: Forsch Komplementärmedizin Klass Naturheilk 2001;8:336-344).