Immer wieder ist zu hören, dass im Mittelalter die Kräuterhexen verbrannt wurden, die «Weisen Frauen» oder wie immer es dann heisst. Auch in populären Büchern über «Hexenkräuter».
Historisch gesehen fehlt dieser Behauptung jede Substanz. Sie ist schlicht nicht wahr. Es handelt sich um eine Art von Verschwörungstheorie.
Ich stelle im Folgenden ein paar Belege und Zitate vor, die zeigen, dass die Behauptung von der Vernichtung der Kräuterhexen in den Hexenprozessen falsch ist.
Interessant ist aber auch die Frage, weshalb solche Aussagen derart gerne geglaubt und verbreitet werden.
Meinem Eindruck nach hängt das damit zusammen, dass diese Ansicht mehrere Feindbilder und Ressentiments bedient – gegenüber der Kirche, dem Patriarchat, den Ärzten.
Nun gibt genug Gründe, diese «Instanzen» zu kritisieren. Das sollte allerdings punktgenau dort geschehen, wo Kritik nötig ist – und nicht mit historisch falschen Unterstellungen.
Hier die historischen Fakten:
Zitate aus Wikipedia:
„Entgegen landläufiger Meinung hat die wissenschaftliche Hexenforschung aber schon lange die These widerlegt, wonach im ausgehenden Spätmittelalter und in der Neuzeit vor allem weise Frauen, Heilerinnen und Hebammen Opfer der Hexenverfolgung wurden. Unter den weiblichen Opfern hatten Hebammen und Heilerinnen keinen höheren Anteil als andere Frauengruppen. Nach dem Trierer Historiker Franz Irsigler wurden von den für das 16. und 17. Jahrhundert nachgewiesenen etwa 800 weiblichen Prozessopfern im Trierer Raum lediglich drei Hebammen als Hexen verbrannt.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Hebamme
«Weise Frauen
Vermutlich im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Vorstellung, die Hexenverfolgung sei eine organisierte Unterdrückung oder Vernichtung vorchristlicher Kulte gewesen, die von weisen Frauen praktiziert worden seien. Die These wurde später zunächst von der völkischen Bewegung, dann aber auch vom Feminismus der 1960er und -70er aufgegriffen und bildet heute die Grundlage verschiedener neuheidnischer und spirituell-feministischer Bewegungen. Die Bremer Sozialwissenschaftler Gunnar Heinsohn und Otto Steiger warfen die in der allgemeinen Öffentlichkeit vielbeachtete These auf, die Hexenverfolgung sei eine Methode gewesen, mit der tradiertes geheimes Verhütungswissen unterdrückt wurde, um die Bevölkerung der neu entstehenden Fürstentümer zu sichern. In der fachwissenschaftlichen Hexenforschung wurde diese Arbeit wegen methodischer Mängel allerdings zurückgewiesen.»
https://de.wikipedia.org/wiki/Hexenverfolgung#Opfer
Welterbe Klostermedizin (Arbeitsgruppe Klostermedizin der Universität Würzburg):
„Hexen und Kräuterfrauen
In der Epoche der Klostermedizin (im frühen und hohen Mittelalter) wurde niemand wegen seines Wissens über Heilkräuter verbrannt. Der Glaube an Hexen stand zeitweise sogar unter Strafe! Vermutlich gab es zu keiner Zeit eine systematische Verfolgung der Kräuterfrauen. Die massenhaften Hinrichtungen in der frühen Neuzeit (vor allem in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) wurden mit der absurden Anschuldigung begründet, dass die angeklagten Frauen im Bund mit dem Teufel stünden bzw. sogar sexuellen Kontakt mit ihm gehabt hätten.“
http://www.welterbe-klostermedizin.de/index.php/alte-mythen-im-neuen-licht
Ausstellung „Hexenwahn – Ängste der Neuzeit“ im Deutschen Historischen Museum (2002)
Im Vorwort zur Ausstellung schreiben Hans Ottomeyer und Rosmarie Beier-de Haan:
«Gegen Klischees und Mythen
So hat die Hexenforschung inzwischen die insbesondere von den Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in den 1980er Jahren vertretene These von der „Vernichtung der weisen Frauen“ vielfach widerlegt. Heinsohn und Steiger deuteten die Hexenjagden als von Kirche und Staat ins Werk gesetzte, systematische Verfolgung von Hebammen, Kräuterkundigen und Heilerinnen der ländlichen Regionen mit dem bevölkerungspolitischen Ziel der Zerstörung ihres Wissens um Fortpflanzung und Geburt und damit einer Unterbindung der Geburtenkontrolle zum Zwecke des ungehinderten staatlichen Wachstums – ein längst erschütterter Erklärungsversuch, der aber immer noch eine öffentliche Breitenwirkung zu entwickeln vermag. So konnte auch für den Maas-Rhein-Mosel-Raum der behauptete Zusammenhang zwischen Hexentötungen und Peuplierungspolitik empirisch widerlegt werden. Der Trierer Historiker Franz Irsigler führt in diesem Band dazu aus, dass von den im engeren Trierer Raum für das 16. und 17. Jahrhundert nachgewiesenen etwa 800 weiblichen Prozessopfern lediglich drei Hebammen als Hexen verbrannt wurden.»
https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/hexenwahn/vorwort.htm
Ausstellung „Hexenwahn – Ängste der Neuzeit“ im Deutschen Historischen Museum (2002)
Hebammen, Heilerinnen und Hexen, von Franz Irsigler
Franz Irsigler hat im Rahmen dieser Ausstellung im Deutschen Historischen Museum einen ausführlichen und Informativen Beitrag geschrieben mit dem Titel «Hebammen, Heilerinnen und Hexen».
Daraus hier zusammengefasste Infos und Zitate:
– Woher kommt die Behauptung von der «Vernichtung der Weisen Frauen» durch die Hexenverbrennung?
«Seit 1985 belasten die abstrusen Thesen der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in ihrem Buch ‚Die Vernichtung der weisen Frauen. Hexenverfolgung, Kinderwelten, Menschenkontrolle, Bevölkerungswissenschaft‘, das vor allem in der Taschenbuchausgabe von 1987 zum Bestseller wurde, den notwendigen und sinnvollen Dialog zwischen seriöser wissenschaftlicher Forschung und einem an den Themen Hexen und Hexenwahn, Magie und Volksmedizin tief interessierten Publikum.“
– Das Buch erfuhr aus Fachkreisen heftige Kritik, seine Behauptungen kommen aber in Laienkreisen weiterhin gut an:
„Trotz der vernichtenden Kritik, die von Heinsohn und Steiger wütend zurückgewiesen, aber in keiner Weise widerlegt worden ist, finden ihre Thesen bei unkritischen oder militant-feministischen Leserinnen und Lesern immer noch Gefallen und Zustimmung, und das zwingt uns weiter zur Auseinandersetzung mit den Waffen kritisch geschulter Quellenanalyse und an strenge Methodik wie Logik gebundener Theorie……
Den Bremer Soziologen sind genügend Fehler und Missverständnisse in der Nutzung der Quellen und der einschlägigen Literatur nachgewiesen worden. Als Historiker kann man sie vergessen, als Demagogen muss man sie weiterhin ernst nehmen.“
– Was behaupten Heinsohn und Steiger konkret?
„Heinsohn und Steiger postulieren einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Hexenverfolgungen und dem Wissen um die Möglichkeiten und Praktiken von Geburtenkontrolle durch Empfängnisverhütung und Abtreibung; einem Wissen, das bei den weisen Frauen, den Heilerinnen, vor allem den Hebammen, konzentriert gewesen und angeblich durch die Hexenverfolgung beseitigt worden sei.
Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter mit der Unterstellung, ‚dass die Vernichtung der weisen Frauen ausdrücklich in bevölkerungspolitischer Absicht zur Unterbindung der Geburtenkontrolle von Kirche und Staat ins Werk gesetzt wurde.‘“
– Die von Heinsohn und Steiger kühn behauptete demographische Zielsetzung wurde nirgends erreicht. Im Gegenteil: Auf die Idee, Hexenverfolgung und Bevölkerungspolitik miteinander zu verbinden, kamen nicht einmal die phantasievollsten Theoretiker des Hexerei- und Zaubereidelikts.
– Irsigler hält es für unbestritten, „dass zu den Opfern des Hexenwahns auch eine signifikante Zahl von ‚weisen Frauen‘ gehörte, das heißt von heilkundigen, meist aber doch mit recht einfachen medizinischen Praktiken an Mensch und Tier vertrauten Personen.“
Dazu werden natürlich auch die Hebammen gerechnet, obwohl das Berufsfeld der in der Geburtshilfe tätigen Frauen auf dem Lande erst im späteren 16. Jahrhundert aufgebaut worden ist.
In den meisten Dörfern betätigten sich als Geburtshelferinnen zwei bis vier ältere Frauen aus der unmittelbaren Nachbarschaft oder Verwandtschaft. Soweit es die überlieferten Berufsangaben in den Hexenprozessakten erkennen lassen, waren Hebammen unter den Prozessopfern nur in geringer Zahl vertreten mit einem Anteil im kleinen Promillebereich. Von den 60.000 Menschen, die vom 15. bis zum 18. Jahrhundert als vermeintliche Hexen und Hexenmeister hingerichtet worden sind, waren laut Irsigler vermutlich nicht mehr als 200 Hebammen, eher weniger.
Hebammen waren auch als Gutachterinnen in Kriminal- und Hexenprozessen tätig, zum Beispiel bei der Suche nach dem Hexenmal, ohne selbst in Verdacht zu geraten.
Anklagen wegen Schadenzauber
In Hexenprozessen angeklagte wurden nicht wegen ihrem „geheimen Kräuterwissen“ angeklagt, sondern zum Beispiel wegen Schadenzauber. Anlass dafür konnte zum Beispiel ein unerklärlicher Todesfall während oder nach der Geburt sein. Dazu kamen als Anklagepunkte später zunehmend auch die Elemente Abschwören des Glaubens, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und Hexentanz auf dem Hexensabbat.
– Einen auffallend hohen Anteil an angeklagten Hebammen sind belegt nur auf dem Höhepunkt einer kurzen Verfolgungswelle um 1630 in der Großstadt Köln.
Irsigler schreibt dazu sehr klar: „Die Kölner Prozessakten belegen eindeutig, dass in schweren Krisensituationen Unglücksfälle, wie der Tod oder die ernsthafte Erkrankung von Neugeborenen, den Hebammen nicht als ‚Kunstfehler‘, sondern als Schadenzauber ausgelegt wurden. Dadurch wurden sie zu Hexen, nicht wegen der Verbreitung des Wissens über Möglichkeiten der Empfängnisverhütung beziehungsweise der Abtreibung in einem frühen Stadium der Schwangerschaft. Diese Themen spielen in den Akten kaum eine Rolle. Weil es Hebammen eher als anderen Frauen passieren konnte, dass ein mit ihrer Hilfe geborenes Kind in den ersten Tagen erkrankte und wenig später starb, waren sie in den Zeiten des Hexenwahns besonders gefährdet, und diese Gefährdung teilten sie mit anderen Heilkundigen, Frauen wie Männern.“
– Wurden die „heilkundigen Frauen“ als Konkurrenz der Ärzte ausgerottet? Darauf gibt es keine Hinweise. Irsigler schreibt:
„Die Zahl der heilkundigen Frauen, deren Rat und Hilfe so begehrt waren, dass sie von den gelehrten und den praktischen Medizinern, den Chirurgen, Badstubern und Barbieren als Konkurrenz empfunden wurden, war immer gering. Die meisten Frauen, die gerichtsnotorisch wurden – und nur von diesen wissen wir Genaueres -, waren des Lesens und Schreibens nicht mächtig; sie hatten also keinen oder höchstens mittelbaren Zugang zum Wissen der gelehrten Mediziner, die in ihren Schriften auch Erfahrungen der medizinischen Praktiker dokumentierten. Auch das in den Kräuterbüchern und diätetischen Schriften gesammelte Wissen blieb den weisen Frauen weitgehend verborgen. Einzelne Rezepte, Kräutermischungen oder sonstige Heilmittel wurden gelegentlich durch Heilerinnen und Heiler aus dem geistlichen Stand vermittelt, wie zum Beispiel durch Mitglieder von Pflegeorden oder Beginen, deren Rat oft gesucht wurde.
Aus den Hexenprozessakten erfahren wir nur ausnahmsweise Details über die Heiler- und Heilerinnenpraxis, die eine Einschätzung des Umfangs und der Qualität des medizinischen Wissens erlauben. Etwas mehr bieten Strafgerichtsakten von Verfahren, die nicht notwendig zu einem Hexenprozess führten. Sie zeigen eine eigenartige, manchmal gefährliche Mischung naturmagischer Praktiken, verbunden mit pseudochristlichen Segens- oder Zaubersprüchen, die aber nicht nur zur Heilung von Krankheiten, sondern auch als Liebeszauber, Wiederbringzauber, Wetter- und Brandsegen oder für den Blick in die Zukunft eingesetzt wurden.“
– Als kräuterkundige und Pflanzen nutzende Heilerin ist laut Irsigler in der Herrschaft Neuerburg nur die am 24. Januar 1621 hingerichtete Kunigunde Diederichs nachweisbar“ „Ihr wichtigstes Heilmittel, wirksam gegen Kopfleiden, war eine auf nassen Wiesen wachsende Pflanze mit drei Wurzeln, die als Teufelsabbiss (succisa pratensis oder morsus diaboli) bezeichnet wurde. Kunigunde erklärte, der Teufel beiße beim Herausziehen der Pflanze aus der Erde die kräftigere mittlere Wurzel ab, wenn man es nicht verhindere. Keine der genannten Heilerinnen, auch nicht der auf innere Krankheiten (Wurm) spezialisierte Heiler Diederich Pintsch aus Neuerburg, der Kranke mit einer Salbe aus Weinessig und Baumöl (Nuß- oder Olivenöl) behandelte und dabei Segensformeln murmelte, wurde mit dem Verdacht konfrontiert, empfängnisverhütende Mittel oder gar Abortiva eingesetzt zu haben. Es gibt keinen einzigen Hinweis auf die Nutzung des Sadebaumes.“
– Wenn es eine Frauengruppe gab, deren Wissen um Empfängnisverhütung und Abtreibungsmöglichkeiten überdurchschnittlich war, dann waren dies die ‚feilen Frauen‘ in den städtischen Frauenhäusern und die heimlichen, die ‚Schlupfhuren‘ in den Straßen und Gassen, die man heute als Rotlichtviertel bezeichnen würde.
– Die Prozessakten gegen die beiden als Hexen hingerichteten Hebammen im Trierer Raum zeigen, wie wenig darin die Frage der Empfängnisverhütung oder gar der Abtreibung eine Rolle spielte.
Quelle: https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/hexenwahn/aufsaetze/10.htm
(sehr interessanter Aufsatz)
Historisches Lexikon der Schweiz
«Hexen wurde Schadenzauber an Mensch (Verursachen von Krankheit, Tod, Impotenz, Unfruchtbarkeit), Tier (Verursachen des Tods von Kühen bzw. des abnormalen Verhaltens von Arbeitstieren), Arbeitsgegenständen (v.a. Misserfolg bei der Milchverarbeitung) und Gemeinschaft (Verursachen von Hagelwettern, Lawinen usw.) vorgeworfen. Ausserdem wurde ihnen Häresie (Ketzer) unterstellt, konkret die Mitgliedschaft in einer teufl. Sekte. In regionalen Variationen anzutreffende stereotype Elemente dieses Glaubens waren der Hexensabbat, die Aufnahme in die Sekte des Teufels durch Teufelsbuhlschaft, Blutentnahme und Teufelsmal sowie die Ausstattung der Hexe mit Mitteln für den Schadenzauber (Salbe, Pulver)…..
In der frühen Neuzeit wurden Hexenprozesse fast immer von weltl. Gerichten geführt. Die Anklage kam in der Regel aus der Bevölkerung und lautete primär auf Schadenzauber. Mit Hilfe eines Inquisitionsverfahrens suchten die Gerichte nicht nur ein Geständnis für den Schadenzauber, sondern auch für die Teilnahme am Hexensabbat und den Beitritt zur Hexensekte zu erlangen. Hierbei wurde durchwegs die Folter eingesetzt. Spezifisch für die schweiz. Hexenprozesse ist die geringe Beachtung der Vorschriften der Reichsordnung für die Strafgerichtsbarkeit von 1532 (Carolina). Eine glaubhafte Zeugenaussage zu einem Schadenzauber reichte zur Konstituierung eines Corpus delicti während langer Zeit aus……
Hexenprozesse wurzelten häufig in nachbarschaftl. Konflikten um reziproke Beziehungen, konkret um das zur Verfügung stellen von Arbeitsgeräten, um ungleichen Arbeitserfolg sowie um freundschaftl. Umgang im Nachbarschafts- und Verwandtenverband. Das Risiko, ins Gerede zu kommen, war besonders für Personen mit auffälligen körperlichen oder sozialen Merkmalen (z.B. Schielen, Schweigsamkeit, hohe Konfliktbereitschaft, seltener Kirchgang) beträchtlich, denn die Wahrscheinlichkeit, dass zufällige Koinzidenzen eines auffälligen Verhaltens mit Schadenfällen eintraten, war bei ihnen überdurchschnittlich hoch. Ein derartiges Zusammentreffen konnte eine persönl. Feindschaft erzeugen oder verstärken und später erfolgte Bezichtigungen – viele Zeugenaussagen beriefen sich auf zehn und mehr Jahre zurückliegende Ereignisse – wegen Schadenzaubers hervorrufen.»
Quelle:
Ulrich Pfister, «Hexenwesen», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version 16. 10. 2014, Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011450/2014-10-16/
Konsultiert am 1. März 2020
Abtreibung und Empfängnisverhütung in der Frühen Neuzeit
von Medizinhistoriker Robert Jütte
Robert Jütte zitiert unter dem Titel „Eine widerlegte Hypothese“ wörtlich die Behauptung von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, dass „die Geburtenkontrolle nicht nur durch die Hexenverfolgung weitgehend beseitigt worden ist, sondern dass die Vernichtung der „weisen Frauen“ und Hebammen ausdrücklich in bevölkerungspolitischer Absicht zur Unterbindung der Geburtenkontrolle von Kirche und Staat ins Werk gesetzt wurde“ (Heinsohn/Steiger 1987, Seite 13).
Jütte erwähnt dann die Vertreter der sozialhistorisch-anthropologisch orientierten Hexenforschung. Sie wiesen darauf hin, dass der „gelehrte Diskurs“ über Geburtenkontrolle durch Abtreibung auch in der frühen Neuzeit weitergegangen sei und dass im Volk auch andere Techniken der Familienplanung wie Anal- oder Oralverkehr, coitus interruptus oder Selbstbefriedigung weiterhin praktiziert worden seien. Außerdem machten Historiker darauf aufmerksam, dass in der einschlägigen archivalischen Überlieferung insbesondere Schadenzauberprozesse überwiegen und dass dabei die Hebammentätigkeit in den Aussagen der Bauern und Bürger keine prominente Rolle spielt.
Jütte schliesst seine Ausführungen mit folgenden Sätzen:
«Die in Teilen der Frauenforschung immer noch unkritisch rezipierten Thesen von Heinsohn und Steiger stimmen zudem nicht mit den Befunden der Historischen Demographie zur Chronologie der Verbreitung der Geburtenbeschränkung überein. Wie die einschlägigen Studien zeigen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass bereits vor dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts – trotz der angeblichen Auswirkungen der Hexenverfolgung – antikonzeptionelles Verhalten in Europa durchaus verbreitet war.»
Quelle: https://www.historicum.net/themen/hexenforschung/lexikon/sachbegriffe/