Kräuterpfarrer» Johann Künzle (1857–1945) ist in der Schweiz wohl die bekannteste Figur der traditionellen Pflanzenheilkunde.
Sein «Grosses Kräuterheilbuch» und die Broschüre «Chrut und Uchrut» standen über lange Jahre in viele Haushalten im Bücherregel und dienten der Selbstbehandlung.
Am Ende des Ersten Weltkriegs zog die verheerende «Spanische Grippe» in drei Wellen (1918/19) über Europa. An dieser Epidemie starben mehr Menschen als während des Krieges. Insgesamt erlagen ihr bis zu 50 Millionen Menschen, davon etwa 25 000 in der Schweiz.
Im Jahr 1918 wirkt der Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857–1945) im sankt-gallischen Wangs. Zur aufkommenden Grippe-Epidemie stellte Künzle dann einen speziellen Grippetee zusammen mit Stechpalmenblättern, Wiesensalbei und Wermut. Diese Teemischung verkaufte er an die umliegende Bevölkerung. Die Grippe selbst glaubte Künzle bereits Tage vor dem Auftreten der ersten Symptome diagnostizieren zu können: mit der Technik des Pendelns – wofür er seine goldene Taschenuhr benutzte.
Einem zeitgenössischen Bericht zufolge sei damals in Wangs niemand an der Grippe gestorben. Diese Legende trug viel zum Ruf des Kräuterpfarrers bei.
Offenbar wird dieser Grippetee in Zeiten von Covid-19 wieder empfohlen. Grund genug, sich die Mischung mal genauer anzusehen.
Von den Bestandteilen her ist eine Wirkung zur Vorbeugung der Grippe nicht nachvollziehbar. Zu Stechpalmenblättern ist so gut wie nichts Gesichertes bekannt. Wiesensalbei ist heute völlig ungebräuchlich und viel weniger wirksam als Gartensalbei (Salvia officinalis). Und Wermut wird bei verschiedenen Verdauungsbeschwerden eingesetzt.
Aber was ist mit den Erfolgsberichten von 1918?
Das lässt sich aus der Ferne nicht mehr feststellen.
Eberhard Wolff hat sich mit dieser LStudie,Schulmedizin,Heilpflaegende befasst und dazu in der Schweizerischen Ärztezeitung die entscheidenden Fragen gestellt:
«Und selbst wenn in Wangs alle Grippekranken überlebt haben, bleibt die Frage, ob sie tatsächlich wegen Künzles Tee mit dem Leben davongekommen sind. Wissen wir, ob die von Künzle versorgten Wangser den Tee auch wirklich genommen haben? Warum sind diejenigen, die ihn nicht genommen haben, offenbar auch nicht gestorben? Damals wurde eben keine kontrollierte Arzneimittelstudie durchgeführt. Und selbst eine seriöse Studie hätte nur Koinzidenzen, aber keine Kausalitäten festhalten können. Wie sollte man wissen, dass es gerade der Kräutertee war, der vor dem Grippetod schützte? Wie viele von denen, die ihn genommen hatten, wären ohne ihn gestorben? Schon damals liess sich nicht definitiv nachweisen, dass wegen Künzles Grippetee in Wangs (möglicherweise) niemand an der Grippe gestorben ist. Und heute noch viel weniger. Für die damaligen Therapien der «Schulmedizin» gilt übrigens weitgehend das Gleiche.»
Es ist aber auch gar nicht klar, ob in Wangs wirklich niemand an der «Spanischen Grippe» gestorben ist.
Alles zusammengenommen spricht viel dafür, dass wir es mit einer schönen Legende aus dem Jahr 1918 zu tun haben. Und für Covid-19 ist leider auch keine Wirkung zu erwarten.
Quelle:
Kräuterpfarrer Künzle und die Spanische Grippe von 1918: Der erzählte Zaubertrank
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