Terra X hat gerade eine interessante Sendung veröffentlich zu Medizin in Mittelalter und Renaissance. Darin wird erklärt, dass die Klostermedizin vor allem auf pflanzliche Heilmittel gesetzt hat. Die Kräutergärten der Klöster lieferten den Nonnen und Mönchen das dafür nötige Material. Die Sendung geht auch auf Hildegard von Bingen ein:
«Die wohl bekannteste Vertreterin der mittelalterlichen Kräuterheilkunde ist Hildegard von Bingen. In ihrer ‘Physika’ schreibt sie um 1155 über die Heilkraft verschiedenster Pflanzenarten. Viele davon kennt die Naturheilkunde noch heute – ihre Wirksamkeit ist durch die moderne Pharmaforschung belegt.»
Die Aussage «..ihre Wirksamkeit ist durch die moderne Pharmaforschung belegt», ist viel zu pauschal und irreführend.
- müsste man jede von Hildegard beschriebene Heilpflanze einzeln betrachten und beurteilen.
- sind viele der erwähnten Heilpflanzen nie wissenschaftlich untersucht worden.
- wäre zu klären, was Terra X unter «durch die moderne Pharmaforschung belegt» versteht.
– Die Pharmaforschung hat Wirkstoffe in den Pflanzen gefunden? Schön, sagt aber noch nicht viel darüber aus, ob im menschlichen Organismus auch eine Wirksamkeit erreicht wird.
– Die Pharmaforschung hat Laborexperimente mit Wirkstoffen aus der Pflanze gemacht? Schön, sagt aber noch nicht viel darüber aus, ob im menschlichen Organismus auch eine Wirksamkeit erreicht wird.
– Es gibt eine Pilotstudie mit 30 Teilnehmenden und positivem Resultat? Schön, gibt erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit, aber keine Belege. Dazu braucht es grössere Studien.
- Es gibt nicht einfach «belegt» oder «unbelegt». Es gibt zum Beispiel schwach belegt, mässig belegt, stark belegt.
- Falls es Belege gibt, gelten sie nicht einfach für eine bestimmte Heilpflanze, sondern nur für die untersuchte Heilpflanzen in der untersuchten Form (Tee, Tinktur, Extrakt) und Dosierung. Man kann also nicht sagen, Johanniskraut sei gegen Depressionen belegt. Belegt ist jeweils nur die untersuchte Arzneiform.
Das sind nur die wichtigsten Punkte zu dieser Aussage von Terra X. Ich hoffe, dadurch ist klar geworden, dass das Thema der «Belegtheit» viel komplexer ist, als Terra X es hier darstellt.
Terra X zum Gänsefingerkraut
Ein paar Sekunden später kommt in der Sendung die Aussage:
«Die Gerbstoffe des Gänsefingerkrauts sind krampflösend bei Menstruation und helfen bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut.»
Das ist plausibel für Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut, untersucht wurde diese Wirkung beim Gänsefingerkraut aber nicht.
Dass Gerbstoffe aus Gänsefingerkraut krampflösend bei Menstruation wirken sollen, ist abwegig. Gerbstoffe werden aus dem Verdauungstrakt praktisch nicht resorbiert. Wie sollen sie also zur Gebärmutter kommen?
Falls Gänsefingerkraut gegen Menstruationskrämpfe wirken sollte – dazu gibt es Hinweise aus Pilotstudien, aber keine Belege – müsste Terra X dafür eine andere Begründung liefern.
Hildegard von Bingen ist eine sehr interessante Frauenfigur aus dem Mittelalter. Auch ihre Aussagen zu Natur, Mensch und Heilpflanzen sind interessant. Sie müssen jedoch auch im Kontext der damaligen Zeit gesehen werden. Man soll sie nicht einfach blind übernehmen, man muss sich mit ihnen vielmehr auf dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse auseinandersetzen. Dazu tragen derart pauschale und zum Teil falsche Aussagen, wie Terra X sie macht, nicht bei. Die Sendung insgesamt ist aber schon sehenswert.
Zudem ist es wichtig sich klarzumachen, dass Tradition nicht immer Recht hat.
Siehe dazu auch:
Komplementärmedizin: Hat Tradition Recht?
Die Terra X Sendung hier anschauen: