Die Routineversorgung von Arthrosepatienten umfasst physiotherapeutische Maßnahmen, die meist recht kostenintensiv sind, häufig begleitet durch eine medikamentöse Behandlung, die leider von den Betroffenen nur zu oft nicht gut vertragen werden. Viele der Patientinnen und Patienten empfinden das Bedürfnis, in Eigenregie etwas gegen die mit Kniegelenksarthrose einhergehenden Beschwerden tun zu können.

Diesen Selbsthilfe-Gedanken aufgreifend unterstützte die Carstens-Stiftung eine Studie der Kliniken-Essen-Mitte, in der erstmals die Wirkung von Kohlblattauflagen bei Arthrose des Kniegelenks untersucht wurde. Patienten mit symptomatischer Kniearthrose im Stadium II-III (Kellgren und Lawrence-Score) bekamen nach zufälliger Einteilung in drei Gruppen über vier Wochen täglich entweder einen Kohlwickel auf die betroffene Stelle, oder ein Diclofenac-haltiges Schmerzgel. Die Patienten in der dritten Gruppe behielten ihre bisherige Therapie im Rahmen der Routineversorgung bei.

Nach vier Wochen stellten die Forscher fest, dass sich die Schmerzintensität im Vergleich zur Routineversorgung signifikant vermindert hatte. Auch die Beweglichkeit des Kniegelenks sowie die Lebensqualität verbesserten sich bei den Probanden. Bezüglich des schmerzlindernden Effekts waren die Kohlblattauflagen dem Schmerzgels allerdings nicht überlegen. Auch beim zweiten Messpunkt nach zwölf Wochen konnte noch eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Kohlwickel-Behandlung festgestellt werden.

Die Testpersonen aus der Kohlwickel- und Diclofenac-Gruppe beurteilten beide Maßnahmen als sehr hilfreich zur Behandlung ihrer Kniearthrose-Beschwerden. Mehr als Dreiviertel der mit Kohlwickel behandelten Studienteilnehmer sagten aus, dass sie diese Maßnahme auch ihren Familienmitgliedern und Freunden weiterempfehlen.

Die mit den Kohlwickeln in dieser Studie erzielte Verminderung des Gelenkschmerzes führen die Forscher auf die entzündungshemmenden Inhaltsstoffe (Flavonoide und Glucosinolate) des Kohls zurück.

Die „Carstens-Stiftung“ schreibt in ihrer Einschätzung zu den Resultaten dieser Studie:

„Obwohl die Kohlwickelmaßnahme ‚nur’ gleich gut abschnitt wie die Behandlung mit Diclofenac-Gel, bietet sie sich für Arthrose-Patienten in Begleitung einer konventionellen Behandlung oder aber bei Unverträglichkeit herkömmlicher Medikamente an. Die gute Verträglichkeit und einfache Durchführung zeichnet Kohlwickel als probate und kostengünstige Selbsthilfemaßnahme aus.“

Quelle:

http://www.carstens-stiftung.de/artikel/kohlwickel-fuer-das-schmerzende-knie.html

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26889617

Lauche R, Romeikat N, Cramer H, Al-Abtah J, Dobos G, Saha FJ. Efficacy of cabbage leaf wraps in treating symptomatic osteoarthritis of the knee – a randomized controlled trial. Clin J Pain 2016; epub ahead of print. Doi:10.1097/AJP.0000000000000352 > Abstract

 

Kommentar & Ergänzung:

Alte Hausmittel wie der Kohlwickel werden selten wissenschaftlich untersucht. Es fehlt an Geld für grössere Studien, weil der Kohlwickel kein kommerziell verwertbares Produkt ist. Forschung in der Phytotherapie wird vor allem von Pharmafirmen finanziert, die patentierte Pflanzenextrakte entwickelt haben. Studienergebnisse zu diesen Pflanzenextrakten kommen dann genau diesen Extrakten zu gute. Dass keine Firma an Kohlwickel-Forschung Interesse hat, ist nicht Ausdruck einer bösartigen Verschwörung irgendeiner phantasierten „Pharmamafia“, sondern schlicht und einfach Ergebnis fehlender kommerzieller Interessen.

Daher ist es begrüssenswert, dass die Carstens-Stiftung Hand geboten hat für die finanzielle Unterstützung dieser Kohlwickel-Studie.

Dieses Beispiel zeigt aber auch grundsätzliche Schwierigkeiten mit dieser Art von Forschung:

Für qualitativ hochstehende klinische Forschung ist eine Placebo-Kontrollgruppe und eine doppelte Verblindung nötig. Das heisst also: Sowohl der behandelnde Arzt als auch die Versuchsperson dürfen nicht wissen, ob der Patient zur Placebo- oder zur Verumgruppe gehört.

Und wie soll das gehen zum Beispiel bei einem Kohlwickel? Das Placebo muss genau gleich wie das Verum (= das zu testende Mittel) aussehen, riechen und schmecken. Aber ein Placebo, das ganz genau gleich aussieht, riecht und schmeckt wie ein Kohlwickel, ist ein Kohlwickel, und damit kein wirkungsloses Placebo.

Bei einer Studie mit Tabletten ist es dagegen vergleichsweise simpel, ein gleich aussehendes Placebo zu kreieren.

Daher wird eine Kohlwickel-Studie nie und nimmer ein hohes Qualitätslevel erreichen und in die erlauchteren Gefilde der Evidence Based Medicine (EBM) vorstossen.

Daran ist nicht der Kohlwickel schuld – so dass man ihn deswegen nicht „diskriminieren“ sollte.

EBM ist wichtig in sehr vielen Bereichen. – und die Wirksamkeit zu klären und insbesondere auch bei teuren Verfahren.

Aber ein Kohlwickel, obwohl EBM-mässig schlecht belegt, sollte in manchen Fällen trotzdem eine Chance bekommen – und zwar GMV-basiert (GMV= Gesunder Menschenverstand).

Der Selbsthilfe-Gedanke, der mit einer Kohlwickel-Anwendung verbunden ist, sollte nicht unterschätzt werden. Eigene Aktivität zu entwickeln in der Bewältigung einer Erkrankung ist ein wertvoller Faktor.

Und wenn eine Pflegeperson einem Patienten einen Kohlwickel appliziert, ist damit immer auch Zuwendung und eine Gelegenheit zum Gespräch verbunden. Das ist ein wertvoller Aspekt, auch wenn die direkte Wirksamkeit des Kohlwickels nach EBM-Kriterien nur schwach belegt ist.

Wenn also Kohlwickel und Diclofenacg-Gel in ihrer Wirksamkeit etwa auf gleicher Ebene liegen, dann spricht einiges für den Kohlwickel – unter anderem auch die Ökologie, weil der Wirkstoff Diclofenac in der Umwelt sehr langsam abgebaut wird:

Entzündungshemmer Diclofenac mit ökologischen Nebenwirkungen

Diclofenac-Vergiftung: Geier-Bestand in Indien erholt sich leicht

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Gegen Placebo kann man also den Kohlwickel nicht testen, weil dafür kein Placebo herstellbar ist. Wohl deshalb wurde der Kohlwickel in der beschriebenen Studie mit einer Standardbehandlung verglichen. Solche Vergleichsstudien werden häufig durchgeführt. Sie haben jedoch einen Haken:

Wenn der Kohlwickel und der Diclofenac-Gel gleich wirksam sind, dann schliesst das nicht aus, dass beide Massnahmen in ihrer Wirksamkeit nicht über dem Placebo-Effekt liegen. Beim Diclofenac-Gel scheint es Studien zu geben, die eine – allerdings recht begrenzte – Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus nahelegen. Test.de schreibt dazu:

„Von äußerlich angewendetem Diclofenac durchdringt nur wenig Wirkstoff die Haut und erreicht die tieferen Gewebeschichten oder das Gelenk. Wie viel es ist und wie weit der Wirkstoff nach innen vordringt, hängt unter anderem von der Beschaffenheit der Haut ab.

Die meisten Studien zur äußerlichen Anwendung von NSAR wurden mit Diclofenac durchgeführt. Eine Übersichtsarbeit, in der alle solche Studien zusammenfassend ausgewertet wurden, zeigt, dass Diclofenac Arthrosebeschwerden an Fingern und Knien in den ersten Behandlungswochen deutlicher lindert als die Behandlung mit einem Scheinmedikament. Doch nach drei Monaten ist der Unterschied nur noch gering. Für chronische Beschwerden an anderen Gelenken als den Fingern und dem Knie fehlen aussagekräftige Studien…………..

Zur Linderung der Beschwerden trägt wahrscheinlich auch bei, dass die hier besprochenen Gele Wasser und Alkohol enthalten. Sie verdunsten nach dem Auftragen und das kühlt das schmerzende Gelenk.“

Quelle:

https://www.test.de/medikamente/register/DICLOFENAC-ratiopharm-Gel-08510404/        (PDF)

Wenn also der Diclofenac-Gel besser als Placebo wirkt und Kohlwickel gleich gut wie Diclofena-Gel, dann müsste auch der Kohlwickel besser als Placebo wirken.

Das ist aber zugegebenerweise eine ziemlich komplizierte Beweisführung.

Vielleicht bleiben wir also trotzdem bei den GMV-Argumenten: Kohlwickel ist billig, gut verträglich, wirkt offenbar lindernd auf die Beschwerden der Kniegelenksarthrose, ermöglicht Eigenaktivität bei der Krankheitsbewältigung oder Zuwendung, wenn von einer Pflegeperson angewendet. Was will man mehr?

 

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

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