Möchten Sie Wissen über Heilpflanzen erwerben – zum Beispiel in der Phytotherapie-Ausbildung oder im Heilpflanzen-Seminar? – Dann lohnt sich eine kurze Reflektion über die verschiedenen Grundhaltungen, in denen Lernen möglich ist.

Dazu hat der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm interessante Gedanken formuliert, die ich Ihnen hier vorstellen möchte. Im Anschluss an das Zitat finden Sie einen Kommentar dazu von mir.

Erich Fromm unterscheidet zwei Grundtypen des Lernens:

Lernen in der Existenzweise des Habens und Lernen in der Existenzweise des Seins.

Hier das Zitat:

„Studenten, die an der Existenzweise des Habens orientiert sind, hören eine Vorlesung, indem sie auf die Worte hören, ihren logischen Zusammenhang und ihren Sinn erfassen und so vollständig wie möglich alles in ihr Notizbuch aufschreiben, so dass sie sich später ihre Notizen einprägen und eine Prüfung ablegen können. Aber der Inhalt wird nicht Bestandteil ihrer eigenen Gedankenwelt, er bereichert und erweitert diese nicht. Sie pressen das, was sie hören, in starre Gedankenansammlungen oder ganze Theorien, die sie speichern. Inhalt der Vorlesung und Student bleiben einander fremd, ausser dass jeder dieser Studenten zum Eigentümer bestimmter, von einem anderen getroffener Feststellungen geworden ist (die dieser entweder selbst geschaffen hat oder aus anderen Quellen schöpfte).

Studenten in der Existenzweise des Habens haben nur ein Ziel: das „Gelernte“ festzuhalten, entweder indem sie es ihrem Gedächtnis einprägen oder indem sie ihre Aufzeichnungen sorgsam hüten. Sie brauchen nichts Neues zu schaffen oder hervorzubringen. Der „Habentypus“ fühlt sich in der Tat durch neue Ideen oder Gedanken über sein Thema eher beunruhigt, denn das Neue stellt die Summe der Informationen in Frage, die er bereits hat. Für einen Menschen, für den das Haben die Hauptform seiner Bezogenheit zur Welt ist, sind Gedanken, die nicht leicht aufgeschrieben und festgehalten werden können, furchterregend, wie alles, was wächst, sich verändert und sich somit der Kontrolle entzieht.

Für Studenten, die in der Weise des Seins zur Welt bezogen sind, hat der Lernvorgang eine völlig andere Qualität. Zunächst einmal gehen sie selbst zu der ersten Vorlesung nicht als tabula rasa. Sie haben über die Thematik, mit der sich der Vortrag beschäftigt, schon früher nachgedacht; es beschäftigen sie bestimmte Fragen und Probleme. Sie haben sich mit dem Gegenstand schon auseinandergesetzt und sind an ihm interessiert.

Statt nur passiv Worte und Gedanken zu empfangen, hören sie zu und hören nicht bloss, sie empfangen und antworten auf aktive und produktive Weise. Was sie hören, regt ihre eigenen Denkprozesse an, neue Fragen, neue Ideen, neue Perspektiven tauchen dabei auf. Der Vorgang des Zuhörens ist ein lebendiger Prozess; der Student nimmt die Worte des Lehrers auf und wird in der Antwort lebendig. Er hat nicht bloss Wissen erworben, das er nach Hause tragen und auswendig lernen kann. Jeder Student ist betroffen und verändert worden: Jeder ist nach dem Vortrag ein anderer als vorher. Diese Art des Lernens ist nur möglich, wenn der Vortrag auch anregendes Material bietet. Auf leeres Gerede kann man nicht in der Weise des Seins reagieren und tut besser daran, nicht zuzuhören, sondern sich auf seine eigenen Gedanken zu konzentrieren.“

Erich Fromm, 1900 – 1980, deutscher Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe.

Zitat aus: Haben oder Sein, Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, dtv Verlag 1980

 

Kommentar & Ergänzung:

Viele Menschen suchen heute ergänzend oder alternativ zur Medizin nach anderen Wegen des Heilens. Eine Suche, die sehr verschiedenartigen Motiven entspringen kann. Beteiligt daran scheint jedenfalls oft ein Wunsch nach menschenfreundlichen und naturnahen Behandlungsmethoden. Auffallend ist aber auch, dass sich dieser Wunsch nach alternativen Wegen nicht selten sehr isoliert auf den Bereich der Heilkunde beschränkt, während alle anderen Lebensbereiche sich schön brav im konventionellen Rahmen bewegen. Eigentlich wäre es doch nahe liegend, dass diese Suchbewegung auch noch in anderen Aspekten des Lebens wirksam wird. Für den Lebensbereich „Lernen“ finden sich in diesem Text von Erich Fromm wertvolle Anregungen auch für Menschen, die lernend im Bereich Phytotherapie / Pflanzenheilkunde unterwegs sind.

Mir ist es jedenfalls ein Anliegen, dass in meinen Lehrgängen nicht nur im konsumierenden Haben-Modus gelernt wird. Eine lebendige und auch kritische Auseinandersetzung mit dem Heilpflanzen-Wissen ist mir wichtig und passt auch viel besser zu diesen Themen. Erich Fromm hat mit dem sein-orientierten Lernen die Grundhaltung dazu beschrieben.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe

Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse

Kräuterwanderungen in den Bergen / Kräuterkurse

www.phytotherapie-seminare.ch

Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:

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