Wenn MedizinerInnen bei Nebenhöhlenentzündung Antibiotika verschreiben, profitiert von dieser Behandlung nur einer von 15 Patienten. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher des Instituts für klinische Epidemiologie in Basel (www.bice.ch), die für ihre Studie fast 2600 Krankheitsfälle untersuchten. Trotzdem würden zum Beispiel in Grossbritannien 90% der Sinusitis-Patienten mit Antibiotika therapiert, berichtete die BBC. Gemäss gültigen Richtlinien soll der Arzt die starken Behandlungsmittel erst verordnen, nachdem der Patient 7 – 10 Tage erkrankt war. Doch auch nach dieser Zeitspanne sei der Einsatz nicht gerechtfertigt, sagten die Forscher. Co-Autor Ian Williamson: “Es sieht so aus, als ob Antibiotika einfach nicht wirksam sind.”
(Lancet 2008; 371: 908-914, gefunden in: Zeitschrift für Phytotherapie 2/2008)
Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, weil wir mit Resistenzentwicklungen bei Antibiotika grosse Probleme haben. Daher liegt es klar auf der Hand, dass Antibiotika in Fällen, in denen sie sowieso nutzlos sind, vermieden werden sollten. Es gibt dann immer noch genug Situationen, in denen eine antibiotische Behandlung notwendig ist.
Was heisst das nun für die Sinusitis-Therapie? – In schweren Fällen wird ein starkes Schmerzmittel oder andere ärztliche Massnahmen angemessen sein. Es gibt aber auch einige Heilpflanzen-Anwendungen, die bei Sinusitis in gewissen Phasen nützlich sein könnten: Dazu gehören äusserliche Anwendungen wie Meerrettich-Auflagen oder Leinsamen-Breiumschläge, Inhalationen mit ätherischen Ölen (Thymianöl, Eukalytusöl) und verschiedene innerliche Heilpflanzen-Präparate.
Aus dieser Meldung lassen sich aber auch grundsätzlichere Lehren ziehen:
In erster Linie ist sie wieder einmal ein Hinweis darauf, dass es nötig ist, medizinische Praktiken fundiert in Frage zu stellen. Das ist aber nicht dasselbe wie Schwarz-Weiss-Denken. Mir sind in der Alternativmedizin immer wieder Leute begegnet, die sich genau durch solche Meldungen in ihren Feindbildern bestätigt fühlen: Hier die gute Naturheilkunde – dort die böse, schädliche, unwirksame Medizin. Das ist alles andere als eine differenzierte Kritik. Solche Leute werfen dann alles in einen Topf und blenden vollkommen aus, dass es auch Situationen gibt, in denen Antibiotika lebenswichtig sind.
Ausser dem übersieht dieses blinde Feindbild-Denken einen entscheidenden Punkt: Es ist die Medizin selber, die hier fundierte Kritik an der Medizin übt. Es läuft wahrlich nicht alles perfekt in der Medizin und es gibt viele relevante Kritikpunkte. Aber die Medizin kennt wenigstens – wie die Wissenschaft generell – eine Kultur der gegenseitigen Kritik und Auseinandersetzung. Das halte ich für eine der grössten Stärken von Medizin und Wissenschaft, auch wenn die internen Kritiker oft einen schweren Stand haben. Es fehlt ihnen häufig an finanzieller Unterstützung, weil das kritische Infragestellen von Behandlungmethoden keinen Profit abwirft, sondern im Gegenteil die Absatzmöglichkeiten einschränkt.
Aber noch einmal:
Es ist ein Vorteil von Medizin und Wissenschaft, dass es eine interne Kritikkultur gibt, welche Theorien, Konzepte, Behandlungsmethoden etc. in Frage stellt.
Im Bereich von Alternativmedizin / Naturheilkunde fehlt diese interne Auseinandersetzung praktisch vollständig. Es gibt kaum eine argumentativ-kritische Auseinandersetzung, die Irrtümer an den Tag bringen könnte. Umso empörter reagieren dann viele AlternativheilkundlerInnen auf Kritik von aussen.
Ich bin aber überzeugt davon, dass es für die Alternativmedizin / Naturheilkunde (oder wie immer man es nennen will) nötig wäre, eine interne Kultur der kritischen Auseinandersetzung zu entwickeln – und nicht nur schadenfreudig mit dem Finger auf die Medizin zu zeigen, wenn die Medizin einen Irrtum oder Fehler der Medizin in Frage stellt. Für die Glaubwürdigkeit wäre es meiner Ansicht nach wertvoller, wenn Naturheilkundler Fehler oder Irrtümer von Naturheilkundlern in Frage stellen.
Im Bereich der Pflanzenheilkunde beispielsweise gibt es riesige Qualitätsunterschiede bei den Heilpflanzen-Präparaten. Heilpflanzen-Bücher sind voll von wirren, überzogenen und ganz offensichtlich widersprüchlichen Angaben……
Und das alles steht weitgehend unhinterfragt nebeneinander im Raum.
Es gibt meines Erachtens viel zu tun. Packen wir‘s an!
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch