Im Bereich der Komplementärmedizin gibt es einige Heilmethoden, die ganz und gar auf dem “Mist” einer einzelnen Person gewachsen sind. Eine angeblich geniale Einzelperson entdeckt oder erfindet ein Heilsystem, ohne damit an das “umliegende” Wissen der jeweiligen Zeit anzuschliessen. Dann wird dieses Heilsystem direkt den Patienten und Patientinnen verkündet, ohne dass es sich zuerst in den kritischen Diskussionen unter Fachleuten bewähren musste. Wird dann noch die Gründerfigur von den AnhängerInnen stark idealisiert, erstarrt die Methode oft in einem unfruchtbaren Dogmatismus. An den Vorstellungen und Aussagen des genialen Führers soll ja nicht gerüttelt werden. Mir scheinen solche Formen des Heilkultes sehr fragwürdig.
Die folgende Geschichte hat mich dagegen stark angesprochen:
Der König sprach: “Ehrwürdiger Nagasena, möchtest du noch weiter mit mir diskutieren?”
“Wenn du nach Art eines Weisen diskutieren willst, o König, dann schon; willst du aber nach Art eines Königs diskutieren, dann nicht.”
Wie diskutieren denn Weise, ehrwürdiger Nagasena?”
“Bei den Diskussionen der Weisen, o König, zeigt sich ein Auf- und Abwickeln, ein Überzeugen und Zugestehen; Nebeneinanderstellungen und Gegenüberstellungen werden gemacht. Und doch geraten die Weisen dabei nicht ausser sich. So, o König, diskutieren Weise.”
Aus dem Milinda-Panha, einem altindischen Text aus dem 2. Jahrhundert v. u. Z., zitiert aus: Jens Soentgen, Selbstdenken, Peter Hammer Verlag 2003
Mir scheint, wir brauchen deutlich mehr Diskussionen nach Art der Weisen
Es gibt zu viele Heilsysteme, die nach Art der Könige gewachsen sind.
Engagierte Auseinandersetzungen nach Art der Weisen führen zu fundierterem Wissen. In der wissenschaftlich orientierten Phytotherapie findet man diese arbeitsteilige Form der Erkenntnisgewinnung. Wissen wird hier immer wieder überprüft und nötigenfalls korrigiert. Es gibt eine lebhafte Diskussion zwischen den Fachleuten und ein gemeinsames Ringen darum, der Wahrheit näher zu kommen. Auch wenn den Beteiligten (hoffentlich) klar ist, dass die endgültige Wahrheit nicht erreicht werden kann. In dieser Phytotherapie-Diskussionsszene gibt es keine überragende Führerfigur.
So bleibt das Wissen der Phytotherapie im Fluss. Es ist nicht statisch wie die fest gefügten Heilsysteme einzelner Monomanen.
Es ist meines Erachtens ein fundamentaler Irrtum zu glauben, das (angeblich) geniale Wissen eines Einzelmenschen sei dem kooperativen Wissen überlegen. Nur in der kooperativen Auseinandersetzung kommen Irrtümer auf den Tisch – jedenfalls wenn wir genügend Ausdauer und eine Portion Glück haben. Das passiert den genialen Einzelmasken kaum. Wer hauptsächlich begeisterte Fans um sich schart, bleibt mangels kritischer Auseinandersetzung viel stärker in seinen Irrtümern gefangen und kann ungestört von der ewigen Wahrheit seiner Erkenntnisse träumen.
Meine Empfehlung:
Prüfen Sie Informationen aus Naturheilkunde bzw. Pflanzenheilkunde immer darauf, ob die Erkenntnisse kooperativ entstanden oder einem singulären, isolierten Hirn entsprungen sind. Für die Glaubwürdigkeit macht das meines Erachtens einen grossen Unterschied.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch