Umfangreiche klinische Studien haben vor einigen Jahren schon gezeigt, dass Hormone, die gegen Beschwerden in den Wechseljahren verordnet werden, ernstzunehmende Nebenwirkungen haben. Das führte zu einer Neubewertung der Hormonersatztherapie. Seither ist die Verschreibung von Hormonersatz-Präparaten zurückgegangen. Gleichzeitig ist der Wunsch nach hormonfreien Mitteln gestiegen. Heilpflanzen-Präparate geniessen dabei grosses Vertrauen.
Über den Nutzen pflanzlicher Produkte bei Wechseljahrsbeschwerden berichten jetzt auch unabhängige britische Experten im „Drug and Therapeutics Bulletin“ (Bd. 47, S. 2). Die Autoren kommen zum Schluss, dass viele Produkte das in sie gesetzte Vertrauen nicht verdienen.
Hildegard Kaulen fasst die Resultate in der “Frankfurter Allgemeinen” vom 29. Januar 2009 zusammen:
“Am wirksamsten gegen Wechseljahrsbeschwerden sind Extrakte aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze, einer aus Nordamerika stammenden Heilpflanze. Allerdings sollten Frauen über das potentielle Risiko, Leberschäden zu erleiden, informiert werden. In Deutschland wurde dazu vor zwei Jahren ein Warnhinweis in die Packungsbeilage aufgenommen. Zuvor war bekanntgeworden, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Wurzelextrakten aus Traubensilberkerze Erkrankungen der Leber aufgetreten waren.”
Bei allen anderen Präparaten, egal ob sie Soja, Rotklee, Nachtkerzenöl, Ginseng, Dong Quai, Yamswurzel oder Hopfen enthalten, sehen die englischen Experten keinen überzeugenden Nutzen. Sie betonen ausserdem, dass die Risiken einer langfristigen Einnahme nicht abschätzbar seien. Auch sei wenig über potentielle Wechselwirkungen mit rezeptpflichtigen Arzneien bekannt.
Extrakte aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze sind als Arzneimittel zugelassen, so dass ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit als gesichert gelten kann.
In dem Beitrag des „Drug and Therapeutics Bulletin“ wird die Studienlage zu den Wurzelextrakten der Traubensilberkerze jedoch als uneinheitlich eingestuft. Einige Untersuchungen zeigten einen Nutzen, andere aber nicht.
Das habe mit der unterschiedlichen Qualität der Studien zu tun, meint dazu Susanne Alban vom Pharmazeutischen Institut der Universität Kiel, die Vizepräsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft ist. Zudem sei strikt zu unterscheiden zwischen Studien mit standardisierten Extrakten, also Arzneimitteln, und solchen mit undefinierten Extrakten. Außerdem seien die Zahl der Studienteilnehmerinnen oftmals gering, das Design der Studien verbesserungswürdig und die Studienziele unterschiedlich. Für einige in Deutschland zugelassene Traubensilberkerzen-Arzneimittel sei die Wirksamkeit aber belegt (das gilt auch für die Schweiz, M. K.)
Traubensilberkerze – ein selektiver Östrogenrezeptor-Modulator?
Der genaue Wirkmechanismus der Wurzelextrakte ist allerdings immer noch nicht endgültig geklärt. Man vermutet, dass die Inhaltsstoffe sich im Organismus wie selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren verhalten. Wenn das so ist, wirken sie nicht auf die Brust und die Gebärmutterschleimhaut, sondern nur auf den Hypothalamus und das Skelettsystem. Sie reduzieren dadurch die vasomotorischen Beschwerden der Wechseljahre wie Hitzewallungen und nächtliche Schweißausbrüche. Sie sind dadurch aber vermutlich frei von unerwünschten (tumorfördernden) Effekten auf die Brustdrüse oder die Gebärmutterschleimhaut.
Isoflavone aus Soja und Rotklee
Neben den Extrakten aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze, die als Heilmittel nur in Apotheken und Drogerien erhältlich sind, werden zunehmend Isoflavone aus Soja und Rotklee gegen Wechseljahrsbeschwerden angeboten. Isoflavone gehören zu den sekundären Inhaltsstoffen der Pflanzen. Weil ihre chemische Struktur der des Östrogens ähnelt und sie auch an Hormonrezeptoren binden, zählen sie zu den Phytoöstrogenen. Dabei können sie – mit unterschiedlicher Präverenz – an Östrogenrezeptoren in Brust, Gebärmutterschleimhaut, Hypothalamus und Skelettsystem andocken.
Isoflavone sind oft als Bestandteil von Nahrungsergänzungsmittel oder diätetische Lebensmittel im Handel. Sie fallen dann nicht unter das Arzneimittel-, sondern unter das Lebensmittelgesetz. Die Zusammensetzung solcher Produkte ist sehr heterogen, und es sind keine Qualitätskontrollen wie bei Arzneimitteln vorgesehen. Dementsprechend ist die Kennzeichnung der Produkte häufig ungenügend. Oft werden sie als wirkungsvolle und nebenwirkungsfreie Naturprodukte beworben.
Die angepriesene Wirksamkeit wird hauptsächlich aus epidemiologischen Untersuchungen hergeleitet. In Ostasien, wo eine sojareiche Ernährung vorherrscht, leiden Frauen seltener unter Wechseljahrsbeschwerden und haben weniger Brustkrebs als Frauen in den westlichen Industrienationen.
Das geringere Krebsrisiko wird mit den Isoflavonen aus den Sojabohnen erklärt
In Deutschland haben sich das Bundesinstitut für Risikobewertung, die Senatskommission zur gesundheitlichen Bewertung von Lebensmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Cochrane Collaboration zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Isoflavone geäussert. Die Einschätzung dieser Institutionen ist weitgehend identisch. Demnach lässt sich aus der derzeitigen Studienlage kein sicherer Beleg dafür erkennen, dass Isoflavone die ihnen zugeschriebene Wirksamkeit gegen Wechseljahrsbeschwerden tatsächlich besitzen. Die biologische Wirkung von isolierten, hochdosierten oder angereicherten Isoflavonen sei nicht vergleichbar mit der biologischen Wirkung von Isoflavonen aus komplexen Lebensmitteln, wie sie in Asien verzehrt werden.
Aus der traditionellen Anwendung solcher Präparate kann nicht automatisch auf ihre Unbedenklichkeit geschlossen werden. Eine langfristige Einnahme hochdosierter Isoflavon-Präparate sei nach der derzeitigen Studienlage nicht zu empfehlen. Außerdem zeigten Tierversuche, dass angereicherte und hochdosierte Zubereitungen die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen und das Brustgewebe verändern können. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie wegen ihrer östrogenähnlichen Wirkung auch die Entstehung von Brustkrebs begünstigen. Weil Frauen in und nach der Menopause ohnehin schon ein höheres Risiko für Brustkrebs haben, könnte eine längerdauernde Einnahme hoher Isoflavon-Dosen das Risiko noch weiter steigern.?
Quelle: www.faz.net (Frankfurter Allgemeine)
Der Text wurde von mir an einigen Stellen an die Verhältnisse in der Schweiz adaptiert.
Kommentar: Heilpflanzen bei Wechseljahrbeschwerden – sehr unterschiedliche Wirksamkeit
Ein kritischer Artikel, der aber ein paar sehr bedenkenswerte Aussagen enthält:
1. Übereinstimmend mit diesem FAZ-Text gilt in der Phytotherapie die Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) von allen Heilpflanzen als diejenige, deren Wirkung bei Wechseljahrbeschwerden am besten belegt ist.
2. Allerdings gibt es auch zwischen den Traubensilberkerzen-Präparaten Unterschiede, weil die Herstellungsverfahren verschieden sind. So lassen sich Forschungsergebnisse nicht von einem Präparat auf das andere übertragen und es ist zentral, welches Präparat man wählt-
3. Der Artikel thematisiert zu Recht die qualitativen Unterschiede zwischen den gut kontrollierten Arzneimitteln – hier aus Traubensilberkerze – und den nur als Nahrungsergänzungsmitteln vertriebenen, kaum kontrollierten Produkten (hier den Isoflavonen).
4.Den Hinweis auf die potentielle Leberschädigung durch Traubensilberkerzen-Präparate sollte man zwar ernst nehmen, aber auch nicht dramatisieren. Es sind dies sehr seltene Beobachtungen. Ausserdem ist der Zusammenhang mit der Einnahme von Traubensilberkerzen-Extrakt nicht belegt. Wenn 100 000 Frauen Cimicifuga-Präparate einnehmen, kommen solche Zwischenfälle fast zwangsläufig vor. Von 100 000 Frauen werden auch ohne Cimicifuga einige eine Lebererkrankung entwickeln. Nehmen sie gleichzeitig Cimicifuga, wird rasch ein Zusammenhang hergestellt, der nicht zwangsläufig gegeben ist.
Damit will ich keinesfalls Heilpflanzen im allgemeinen und Cimicifuga im Besonderen vor allfälligen Nebenwirkungen in Schutz nehmen. Auch Heilpflanzen können Nebenwirkungen zeigen. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Zusammenhänge komplexer sind. Wenn jemand ein Heilmittel nimmt, und dann gesund wird, ist noch keineswegs klar, dass die Heilung mit dem Heilmittel wirklich zusammenhängt. Genauso wenig ist ein Zusammenhang belegt, wenn jemand ein Heilmittel nimmt, und gleichzeitig oder anschliessend unerwartete Störungen entwickelt.
5. Übereinstimmend mit diesem FAZ-Text sieht die Phytotherapie bei Traubensilberkerzen-Extrakten gegenwärtig kein Risiko für eine Begünstigung von Brustkrebs oder Endometrium-Tumoren. Bei Isoflavon-Präparaten ist man sich in phytotherapeutischen Fachkreisen dagegen diesbezüglich nicht so sicher.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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