Das Figurbewusstsein in den Industrieländern ist nach Informationen der Umweltstiftung WWF zur Gefahr für die Hoodia-Pflanze im südlichen Afrika geworden. Das kaktusähnliche Gewächs habe einen Hunger stillenden Effekt und werde seit Jahrhunderten von den Bewohnern der kargen Kalahari-Steppe genutzt, berichtete WWF Deutschland.
Nachdem der Westen die Hoodia-Pflanze als Appetitzügler entdeckt habe, werde der Hoodia-Bestand für die Herstellung von Diätmitteln geplündert. Die Speck-Weg-Pflanze sei zwar seit Kurzem auch aus dem Anbau erhältlich, doch illegales Material stamme vor allem aus den natürlichen Vorkommen. Der Verkauf illegaler Hoodia-Präparate laufe vor allem im Internet.
„Wer den Winterspeck zum Frühlingsanfang wieder loswerden möchte, der sollte trotz aller Verlockungen auf Hoodia-Produkte aus dem Internet verzichten“, erklärte WWF-Artenschutzexperte Frank Barsch laut Mitteilung. Hoodia (Hoodia gordonii) sei geschützt und dürfe nur mit behördliche Genehmigung eingeführt werden.
Nach WWF-Angaben werden zahlreiche Hoodia-Präparate aus illegal geernteten Beständen hergestellt. Oft sei es schwierig, Herkunft und Qualität in Online-Shops nachzuvollziehen. „Manche der angebotenen Präparate enthalten zu wenig oder gar keine Hoodia. Im besten Fall sind diese Mittel wirkungslos, im schlimmsten Fall gesundheitsschädlich“, so die Warnung von Barsch. Verstöße gegen die Handelsbeschränkungen könnten Bußgeld- und sogar Strafverfahren zur Folge haben. Das gelte auch bei Einkäufen via Internet.
Quelle: www.aerztezeitung.de, 13. 3. 2009
Kommentar: Besorgnis um Hoodia-Pflanze
Der WWF warnt zu Recht vor einer Ausrottung der Hoodia-Pflanze. Es scheint mir sehr wichtig, dass wir im Bereich von Pflanzenheilkunde / Phytotherapie wachsam sind gegenüber dem Thema der Nachhaltigkeit. Es muss alles dafür getan werden, dass Heilpflanzen durch ihre Nutzung nicht in ihrem Bestand gefährdet werden.
Es gibt rund um den Hoodia-Boom aber noch zwei weitere Problempunkte.
1. Hoodia und Biopiraterie
Viele Hoodia-Produkte erfüllen den “Tatbestand” der Biopiraterie.
Damit setzt sich die Erklärung von Bern in Zürich auseinander. Sie schreibt:
“Der Hoodia-Kaktus wächst in den Halbwüsten im südlichen Afrika. Seit jeher stillen die San mit Teilen des Kaktus ihren Hunger und Durst während den langen Wanderungen, die sie zur Jagd unternehmen.
Sein Wirkstoff wirkt als Appetitzügler. Erst nachdem der Wirkstoff von einem südafrikanischen Institut patentiert wurde, hat der Patent-Eigner mit den San einen Vertrag über die Aufteilung des Nutzens abgeschlossen. Seither sind viele Unternehmen des Nordens in das vielversprechende Geschäft mit dem Appetitzügler eingestiegen.
Die grosse Mehrzahl der Profiteure – auch in der Schweiz – haben jedoch keinen Vertrag mit den Trägern des traditionellen Wissens abgeschlossen. Gemeinsam mit den San hat die EvB den Bundesrat in einem Brief aufgefordert, die Biodiversitätskonvention auch in der Schweiz durchzusetzen, und den Verkauf dieser Produkte zu unterbinden.”
http://www.evb.ch
Genauso viel Beachtung wie dem Thema “Nachhaltigkeit” der Heilpflanzen-Nutzung gebührt dem Thema “Biopiraterie”. Wird traditionelles Heilpflanzen-Wissen von Einheimischen zum Beispiel aus Afrika, Südamerika oder Asien genutzt, sollte aus dem Profit mit diesen Produkten die Träger des traditionellen Wissens angemessen entschädigt werden.
2. Wirksamkeit von Hoodia ungeklärt
Die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Hoodia-Produkte sind nicht geklärt, während die Propagandawelle rollt und die Versprechungen beinahe grenzenlos sind.
Dazu hat sich Professor Edzard Ernst auf www.stern.de geäussert:
“ Die Wissenschaft nahm sich der vermeintlichen Wunderdroge an. Es gelang, eine Substanz mit der sperrigen Bezeichnung P57AS3 (P57) aus dem Pflanzenextrakt zu isolieren, die für die erstaunlichen Effekte verantwortlich zu sein schien. Weltweit wurde berichtet, dass die britische Firma Phytopharm die Patentrechte erworben habe und zusammen mit dem Pharmariesen Pfizer eine „Schlankheitspille“ entwickle. Wenn Buschmänner mithilfe dieses pflanzlichen Mittels auf Nahrung verzichten können, wieso sollten es dann nicht auch übergewichtige Wohlstandsbürger zur Gewichtsreduktion einsetzen?
Doch dann passierte etwas, was niemand erwartet hatte: Vor vier Jahren gaben die Firmen die vorher streng behütete Substanz frei. Somit konnte fortan jeder damit experimentieren. Wie nicht anders zu erwarten, kamen bald Dutzende von Hoodia-Produkten auf den Markt. Heute wird Hoodia auf mehr als 100.000 Webseiten angepriesen.”
Professor Ernst ist Leiter der Abteilung für Komplementärmedizin an der Universität Exter. Er schreibt weiter:
“ Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Hoodia effektiv das Hungergefühl beim Fasten bremst und das Gewicht reduziert, erschienen allerdings nicht. Um genau zu sein: Bis heute wurde exakt eine Studie zum Thema publiziert, und die basiert auf Untersuchungen an Ratten. Stattdessen kamen Gerüchte auf, dass die Reinsubstanz aus Hoodia leberschädigend sei. Einige meinen, dass Pfizer deshalb das Interesse an der Droge verloren hätte. Andere haben sich die Mühe gemacht, die kommerziell erhältlichen Hoodia-Präparate unter die Lupe zu nehmen. Die Resultate dieser Analysen sind ernüchternd: Die große Mehrzahl dieser Mittel enthalten überhaupt kein Hoodia. Einige enthalten Spuren, aber bei weitem nicht genug, um effektiv zu sein.”
Lehren aus der Hoodia-Story
Professor Ernst sieht drei Lehren, die man aus der Hoodia-Story ziehen sollte:
“ 1. In der Medizin kann Überlieferung nicht als Beweis gelten. Die Tatsache, dass dieses oder jenes Mittel irgendwo schon seit Jahrhunderten erfolgreich eingesetzt wird, bedeutet nicht unbedingt, dass es tatsächlich hilfreich ist.
2. Die Bezeichnung „natürlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „harmlos“. Pflanzliche Heilmittel wirken, weil sie pharmakologische Inhaltsstoffe besitzen. Das bedeutet nahezu ausnahmslos, dass auch mit pharmakologischen Nebenwirkungen zu rechnen ist.
3. Im Bereich frei verkäuflicher pflanzlicher Mittel wird oft maßlos übertrieben. Die Medien greifen interessante Neuheiten auf. Die Erwartung der Konsumenten steigt, und skrupellose Anbieter sind dann nur allzu gern bereit, potenziellen Kunden ein X für ein U vorzumachen.”
(Quelle: www.stern.de, aus Heft 6 / 2006)
Ergänzend müsste noch festgehalten werden, dass der Hoodia-Boom nicht nur übers Internet läuft, sondern dass auch viele Apotheken und Drogerien hier ohne Skrupel mitmachen. Das schadet dem Ruf der Pflanzenheilkunde und wohl auch dem Geldbeutel und vielleicht sogar der Gesundheit von Konsumentinnen und Konsumenten.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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