Indische Anästhesiologen haben möglicherweise ein einfaches Mittel gegen die häufigen Rachenirritationen nach Intubationsnarkosen entdeckt. Gemäss ihrer Studie – publiziert in Anesthesia & Analgesia (2009; 109: 77-81) – senkt ein fünfminütiges Gurgeln mit einer Lakritzlösung unmittelbar vor der Operation die Inzidenz eines postoperativen “sore throats” (POST).
Dem in Lakritze enthaltenen Inhaltsstoff Glycyrrhizinsäure werden expektorierende (= auswurffördernde), sekretolytische und sekretomotorische (schleimlösende) Wirkungen nachgesagt. Lakritze ist daher bei Husten und Erkältungen ein altes Hausmittel. Sie soll auch bei Entzündungen im Rachenraum lindernd wirken.
Lakritze
Dies bewog Anil Agarwal vom Sanjay Gandhi Post Graduate Institute of Medical Sciences in Indien, die Wirkung der Lakritze bei einem häufigen Problem in der Anästhesiologie zu untersuchen: Die meisten Patienten klagen nach dem Erwachen über eine Reizung der Schleimhaut in Pharynx (Rachen) und Larynx (Kehlkopf), was eine Folge der Intubation ist. Weil die Patienten vor der Operation nichts essen oder trinken sollen, baten die Anästhesisten 20 Patienten unmittelbar vor der Operation 5 Minuten lang mit einer Lakritzlösung zu gurgeln und diese dann auszuspucken. Zwanzig andere Patienten gurgelten mit einer Wasserlösung.
Nach der Operation klagten 15 Patienten, die mit Wasser gegurgelt hatten, jedoch nur 4 Patienten, die Lakritze angewendet hatten, über eine POST. Zudem wurde auch der postoperative Hustenreiz gelindert. Die Studie von Anil Agarwal war allerdings nicht doppelblind: Zwar wussten die Ärzte nicht, ob die Patienten Wasser oder Lakritzlösung angewerndet hatten, die Patienten werden dies jedoch zweifellos am Geschmack erkannt haben.
Die Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen identisch. Agarwal hält das Gurgeln mit Lakritz darum für eine einfache und kostengünstige Therapie bzw. Prophylaxe. Komplikationen könnten allenfalls auftreten, wenn die Patienten sich vor der Operation verschlucken.
Quelle: www.aerzteblatt.de
Originalpublikation:
http://www.anesthesia-analgesia.org/cgi/content/abstract/109/1/77
Kommentar& Ergänzung: Lakritze vorbeugend gegen postoperative Rachenentzündung
Lakritze ist eingedickter, wässriger Extrakt aus der Süssholzwurzel. Im süddeutschen Sprachraum, in der Schweiz und in Österreich wird die Lakritze mundartlich häufig auch Bärendreck genannt, weil der Ulmer (später Nürnberger) Süßwarenfabrikant Karl Bär auf viele Lakritzarten teilweise europaweite Patente besass.
Süssholz (Glycyrrhiza glabra) ist eine ausdauernde, bis 2 m hohe Staude aus der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae).
Süssholz ist im Mittelmeergebiet, in Russland und Westasien heimisch.
Die Pflanze wird hauptsächlich in Russland, der Türkei, dem Iran, Spanien, Italien, Frankreich, Griechenland, Ägypten, Brasilien, Australien und China kultivert.
Die im “Ärzteblatt” zusammengefasste Studie zur Anwendung von Lakritze gegen Rachenentzündungen nach Intubationsnarkosen ist sehr interessant, weil sie möglicherweise ein neues Anwendungsgebiet für die Lakritze eröffnet. Dass die Studie nicht doppelblind war, die Patienten also wussten, ob sie Lakritze oder Wasserlösung anwandten, schränkt die Aussagekraft allerdings etwas ein. Die Erwartungshaltung und die Interpretation des Befindens kann dadurch beeinflusst werden.
Dieses Beispiel zeigt zweierlei:
1. Phytotherapie-Forschung ist eine internationale Angelegenheit.
2. Phytotherapie ist nicht ein fixes Lehrgebäude, das durch irgendeine guruhafte Gründerfigur ein für alle mal festgelegt wurde. Phytotherapie entwickelt sich laufend weiter. Deshalb kann man sich nicht einfach an traditionellen Überlieferungen festklammern. Unser Wissen um die Wirkungen der Heilpflanzen ändert sich. Das bedeutet, dass wir uns zwar mit den Erfahrungen traditioneller Pflanzenheilkunde interessiert auseinandersetzen – und sie zugleich aber auch immer an neuen Erkenntnissen messen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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