Wissenschaftler der Uniklinik Köln entwickeln www.adhs.info für das Bundesministerium für Gesundheit. Hier die Infos dazu und anschliessend Ergänzungen zum Thema Phytotherapie & ADHS.

Heute wurde das neue ADHS Infoportal online geschaltet. Das Portal bietet Informationen, welche auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten sind: betroffene Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie Bezugspersonen und Pädagogen. Die neue Informationsseite wurde durch das “zentrale adhs-netz” unter Federführung von Professor Döpfner aus der Kölner Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgebaut.

Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und / oder Impulsivität sind bei Kindern oft zu erleben. Nur wenn alle drei Auffälligkeiten über längere Zeit stark ausgeprägt zusammen auftreten, kann das als psychische Störung unter dem Begriff der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, diagnostiziert werden. Rund um ADHS gibt es seit einigen Jahren eine intensive gesellschaftliche Debatte. Nach wie vor fehlen aber Hilfen für Betroffene und ihre Bezugspersonen. Diese Lücke will die neue Informations-Seite http://www.adhs.info schließen.

Als erster von fünf Bereichen ist nun der Bereich für Eltern und Bezugspersonen von betroffenen Kindern und Jugendlichen abrufbar. Schritt für Schritt wird im Laufe des Jahres 2010 die Freischaltung der anderen Bereiche für Pädagogen, betroffene Kinder, betroffene Jugendliche und betroffene Erwachsene erfolgen. Die Aufklärung über alle Aspekte von ADHS ist ein wichtiges Anliegen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und Bestandteil der Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit.

Die Informationen auf der ADHS-Seite orientieren sich streng an empirischer Evidenz. Das bedeutet, sie basieren auf wissenschaftlichen Studien und Leitlinien von Fachgesellschaften und Expertengruppen. Durch eine zielgruppenspezifische Informationsaufbereitung soll damit eine einfach nutzbare, verlässliche und unabhängige Informationsbasis zum Störungsbild der ADHS für Betroffene und ihre Bezugspersonen geboten werden.

Hintergrund-Info zu ADHS:

Fast jedes Kind durchlebt im Laufe seiner Entwicklung Phasen erhöhter Ablenkbarkeit, hoher Aktivität und auch Zeiten heftiger Impulsivität. Erst ab einem bestimmten Grad der Auffälligkeit ist von einer Störung die Rede. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ADHS nicht von anderen psychischen Störungen (bspw. Depression) oder körperlichen Erkrankungen (bspw. Bluthochdruck), welche ebenfalls mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Menschen mit einer starken Ausprägung der Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, erfahren dadurch bedeutende Einschränkungen in ihrem Alltag.

Die Anzahl der von ADHS betroffenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland variiert in Studien zwischen zwei und etwa sechs Prozent. Insgesamt kann man aber repräsentativen Studien zufolge davon ausgehen, dass etwa 500 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland von ADHS betroffen sind. Knaben sind dabei gegenüber Mädchen insgesamt zwei bis viermal häufiger betroffen.

In der Öffentlichkeit wird das Thema ADHS auch heute noch sehr kontrovers diskutiert, was bei Betroffenen, ihren Eltern, Partnern oder anderen Angehörigen und Betreuern oft Verunsicherungen auslöst. Das “zentrale adhs-netz” als bundesweites Netzwerk zur Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS hat es sich zum Ziel gesetzt, Unterstützung für ein umfassendes Gesundheitsmanagement für Menschen mit ADHS anzubieten.

Die interdisziplinäre Leitungsgruppe des “zentralen adhs-netzes” setzt sich zusammen aus:

– Prof. Dr. Manfred Döpfner, Leiter des Netzes; Diplom-Psychologe, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Psychologischer Psychotherapeut, Uniklinik Köln
– Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
– Dr. Johanna Krause, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse, Fachärztin für Neurologie, Ottobrunn und
– Dr. Klaus Skrodzki, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kinderkardiologe, Forchheim.

Quelle:
http://idw-online.de

Kommentar & Ergänzung: ADHS-Infoportal geht online

In der Öffentlichkeit am umstrittensten beim Thema ADHS ist die Therapie mit Ritalin. Dieser Punkt polarisiert sehr stark. In diesem wie auch in vielen anderen Bereichen scheint es mir wichtig, fundamentalistische Positionen zu vermeiden. Es kann nicht sinnvoll sein, Ritalin “grossflächig” einzusetzen. Genauso fragwürdig ist aber auch die Verteufelung von Ritalin mit der Forderung “Ritalin nie!”.

Anstelle von einseitigem Schwarz-Weiss-Denken geht es meines Erachtens darum, für jede Situation die bestmögliche Option zu finden. Das kann in manchen Fällen auch Ritalin sein, doch muss der Sinn und Zweck einer solchen Behandlung sehr sorgfältig geklärt werden.
Aus den Bereichen Naturheilkunde bzw. Komplementärmedizin gibt es zur ADHS-Behandlung zwar viele Ideen, aber leider kaum Belege für eine überzeugende Wirkung.
Hier ein paar Stichworte zum Thema Phytotherapie / Pflanzenheilkunde & ADHS:

– Hopfen und ADHS

Die Zeitschrift für Phytotherapie (4/2009) berichtet von einer Einzelfallbeobachtung:
“Psychostimulantien und Clonidin sowie – als zweite Wahl – Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und SSRI sind effektiv in der Behandlung der ADHS. Aber auch Phytotherapeutika wie Kamille, Hopfen, Baldrian oder gar Ginkgo scheinen in der Behandlung dieser Störung wirksam zu sein. Aus diesem Grund wurde der Effekt von Hopfen bei ADHS untersucht.”

Zur Methode:

“Wir verabreichten dem 14-jährigen Patienten nach einer Auswaschphase für 4 Wochen pulverisierte Hopfenzapfen als Kapseln in der Dosierung von 2 × 150 mg (Fertigpräparat; BioNaturis, Schweiz) und nach einer 4-wöchigen Pause für weitere 4 Wochen Placebo. Der Patient und die Beurteiler waren nicht über die Verum/Placebo-Phase informiert. Der Patient…litt seit 11 Jahren an ADHS. Methylphenidat, das er über 14 Monate eingenommen hatte, brachte eine deutliche Besserung. Diese Medikation wurde 4 Wochen vor der Beobachtungsphase abgesetzt.”

Die Evaluation der Symptome wurde mittels klinischem Interview und einer Rating Scala durchgeführt.

Zu den Resultaten:

“Bezüglich Unaufmerksamkeit konnten wir eine Verbesserung von 24 auf 13 Punkte, bezüglich Hyperaktivität eine von 21 auf 16, und zusammen eine von 45 auf 29 beobachten. In der darauffolgenden 4-wöchigenmedikationsfreien Zeit stiegen der Hyperaktivitätswert wieder auf 22, der Aufmerksamkeitsstörungswert auf 20 und der Summenscore auf 42 an. Das anschließend für ebenfalls 4 Wochen verabreichte Placebo brachte Werte von 21/20/41.”

Der Autor kommt zum Schluss:

“Obwohl die Generalisierung einer Einzelfallbeobachtung nicht möglich ist, so legt das Ergebnis unserer Beobachtung doch eine zumindest supportive Wirkung von Hopfen nahe….. Die Symptomreduktion ist deutlich geringer als die 50-60%ige mittels Psychostimulantien erreichbare, ähnelt aber der von Nicht-Psychostimulantien, wie z.B. Desipramin, einem trizyklischen Antidepressivum.”
Tatsächlich lassen sich aus einer Einzelbeobachtung keine fundierten Schlüsse ziehen. Es scheint mir auch nahe liegend, dass während der ersten vier Wochen (Verum-Phase) der Placebo-Effekt stärker vorhanden war als in der später folgenden Placebo-Phase. Allein schon die Tatsache der Intervention erzeigt eine Erwartungshaltung, doch dürfte sich dieser Effekt beim zweiten Mal (Placebo-Phase) abschwächen.

– Johanniskraut & ADHS

Die Zeitschrift für Phytotherapie (6/2008) berichtete von einer randomisierten Doppelblindstudie mit Johanniskraut-Extrakt bei ADHS, allerdings mit negativem Ergebnis:

“Weder bei der ADHD-RS-IV-Skala noch bei der CGI ergaben sich signifikante Gruppenunterschiede zwischen Verum und Placebo innerhalb der 8-wöchigen Behandlungsperiode.”
I
m Kommentar weißt Prof. Dr. Volker Schulz allerdings auf problematische Aspekte der Studie hin:

“Die Autoren weisen bei der Diskussion ihrer Ergebnisse selbst darauf hin, das die Wahl des Prüfpräparates möglicherweise limitierend für die Studie gewesen sein könnte. Offenbar erfolgte erst nachträglich eine chemische Analyse. Diese ergab, dass der verwendete Johanniskraut-Extrakt zum Zeitpunkt der Beendigung der Studie nicht die vom Hersteller deklarierten 0,3%, sondern nur noch 0,13% Hypericin enthielt. Der gleichzeitig gemessene Gehalt an Hyperforin betrug nur 0,14% und damit weniger als ein Zehntel dessen, was bei der Mehrzahl derjenigen Extrakte enthalten war, die in kontrollierten Studien zur antidepressiven Wirksamkeit verwendet worden waren.”

Und er fügt eine grundsätzliche Anmerkung bei:

“Ungeachtet dieses Mangels bei der Extrakt-Wahl stellt sich die Frage, ob – gemessen an den klinische Erfahrungen bei der antidepressiven Therapie – das ADHS besonders geeignet für eine Therapiestudie mit Johanniskraut-Extrakt als Monotherapie war. Der mutmaßliche Wirkmechanismus im Sinne einer Steigerung der Dopaminkonzentration im Bereich zentraler Synapsen beruht auch bei Antidepressiva nur auf vorklinischen Untersuchungen, mehrheitlich solchen in vitro. Nach klinischen Erfahrungen werden jedoch die Johanniskraut-Extrakte eher den »aktivierenden« und nicht den (beim ADHS sicherlich günstigeren) sedierenden Antidepressiva zugeordnet. Vor diesem Hintergrund wäre das Ergebnis der Studie selbst bei besserer Wahl des Extrakts weniger überraschend gewesen. Für zukünftige Studien mit Phytopharmaka beim ADHS sollten vielleicht besser Zubereitungen mit beruhigenden Drogen wie Lavendel oder Baldrian, ggf. in Kombination mit Johanniskraut, verwendet werden.”

– Ginkgo biloba und ADHS

Wikipedia dazu:

“Bei ADHS scheint Ginkgo biloba jedoch dann eine Wirkung zu besitzen, wenn es mit Ginseng kombiniert wird.
Kinder im Alter von 3-17 Jahren, die an Aufmerksamkeits-Defizit-und-Hyperaktivititäts-Syndrom (ADHS) litten, wurden in der Pilotstudie von Lyon et al. nach vierwöchiger Behandlungsdauer durchaus erfolgreich behandelt. Sie hatten amerikanischen Ginseng (Panax quinquefolium) in einer Dosierung von 200 mg pro Kapsel + 50 mg Gingko biloba zweimal täglich auf nüchternen Magen eingenommen. Fünf der 36 Kinder zeigten leichte Nebenwirkungen, wobei zwei Fälle direkt auf die Ginsengmedikation zurückgeführt werden konnten.
Ein analoges Produkt war bereits ein Jahr früher von Wesnes et al. in einem randomisierten Doppelblindversuch an 256 gesunden Freiwilligen ausprobiert worden. Anhand eines Beurteilungsschemas (Index of Memory Quality) stellte sich eine Verbesserung der Gedächtnisleistung nach 12wöchiger Einnahme heraus.”

Ausserdem gibt es eine Studie von H. Frei (Phytotherapie 1/2002), in welcher Ginkgo an 50 ADHS-Kindern geprüft wurde. 28 der 50 Kinder (56%) sprachen gut auf Ginkgo biloba an. Dabei war die Resonderrate allerdings ungünstiger als bei Ritalin und die Wirkung insgesamt schwächer, insbesondere bezüglich Unruhe und Konzentration. Es fehlt hier der Vergleich mit einer Placebo-Gruppe.

Vor kurzem wurde ich an einem Vortrag gefragt, warum ich die Wirkung von Phytotherapie bzw. Naturheilkunde bei ADHS so kritisch einschätze.

Ganz einfach: Ich sehe meine Aufgabe nicht in der “Heilkräuter-Propaganda”. Ich bin kein “Kräuterpfarrer” mit missionarischen Ambitionen, der in allen Fällen immer Heilpflanzen “verkaufen” will. Wer sich nämlich so stark mit einem Bereich überidentifiziert, verliert tatsächlich jede kritische Distanz.

Meine Aufgabe sehe ich eher in der fundierten, differenzierten Beratung. Dazu gehört selbstverständlich auch die Berücksichtigung von Grenzen und Schwächen der Heilpflanzenkunde sowie die Darstellung anderer Optionen. Die Stärken der Heilpflanzenkunde kommen dabei nicht zu kurz und auch nicht die Freude an den Heilpflanzen in der Natur.

Wer einen unkritisch-naiven Heilkräuter-Propagandisten sucht, ist bei mir aber wahrscheinlich an der falschen Adresse.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse

www.phytotherapie-seminare.ch

Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital

Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch