Vier von fünf Krebspatienten wenden Therapieverfahren aus dem Bereich Komplementärmedizin bzw. Alternativmedizin an, oft ohne dass ihr behandelnder Arzt darüber informiert ist. Komplementärmedizin ist deshalb mittlerweile auch ein Thema bei Krebskongressen. Viele Onkologen meinen heute, dass Komplementärmedizin zur wissenschaftlichen Medizin gehören sollte.

Bisher taten viele Mediziner die meist nicht auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüften Verfahren der Komplementärmedizin als Unfug ab. Doch gegenwärtig findet offenbar ein Umdenken statt: Beim 29. Deutschen Krebskongress in Berlin waren bei einer TED-Abstimmung jedenfalls 73 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner im voll besetzten Kongresssaal der Ansicht, dass Komplementärverfahren zur wissenschaftlichen Medizin gehören sollten. 61 Prozent wenden sie in ihrer Praxis auch an, hauptsächlich Verfahren aus Naturheilkunde, Phytotherapie und Ernährungsmedizin. Das Resultat dieser Befragung beim Kongress gibt zumindest einen Einblick in die derzeitige Stimmung unter den Onkologen in Deutschland.

Diese Entwicklung registriert auch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Sie erarbeitet gegenwärtig die “Leitlinie Komplementärmedizin”, wie Professor Matthias Beckmann von der DKG erläuterte. Als Direktor der Universitätsfrauenklinik Erlangen habe er täglich hauptsächlich mit Brustkrebspatientinnen zu tun, die über die Schulmedizin hinaus etwas für ihre Heilung tun wollen. Welche Methoden empfohlen werden können, sei jedoch noch unklar; Mistelextrakte beispielsweise oder Vitaminkuren seien in ihrer Wirkung nicht ausreichend geprüft, so Professor Beckmann.

Phytotherapeutika und Antioxidantien

Viele Phytotherapeutika und Antioxidantien sind stoffwechselaktiv und verstärken oder mindern die Wirkung tumorwirksamer Medikamente. “Wir wissen zum Beispiel nicht, wie die ,small molecules’ in Kombination mit Immunstimulanzien reagieren. Deshalb raten wir unseren Patientinnen dringend davon ab, Mistelextrakte begleitend etwa auch zu Trastuzumab einzunehmen”, so Beckmann. Er wies zudem darauf hin, dass auch nach einer Brustimplantation auf immunanregende Wirkstoffe verzichtet werden solle, weil diese Abstoßungsreaktionen auslösen könnten. Und die Einnahme von Vitaminen begleitend zu einer Chemotherapie verschlechtere häufig die Prognose von Patientinnen mit Brustkrebs.

Auf dem Krebskongress sprach sich auch Dr. Jutta Hübner vom Universitären Tumorcentrum in Frankfurt/Main für ein “kritisches Herangehen” an Komplementärmedizin aus. “Sie unterliegt wie Schulmedizin den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin.” Wirksamkeitsnachweise stünden jedoch häufig noch aus. Aus Sicht der Patienten könne sie die Hinwendung zu begleitenden Therapieverfahren jedoch nachvollziehen, erklärte Jutta Hübner. “Da ist der Wunsch nach Heilung, nach weniger Nebenwirkungen, nach Stärkung der körpereigenen Kräfte und ganz einfach der Wunsch, selbst etwas zu tun.” Solche Wünsche müsse man respektieren und Patienten auf ihrem Weg begleiten und beraten, hielt die Spezialistin für komplementäre Onkologie fest.

Ergänzungen zur Schulmedizin

Ähnliche Argumente äusserte Professor Walter Jungi aus Wittenbach in der Schweiz, : “Es geht nicht um Alternativen, sondern um Ergänzungen zur Schulmedizin. Patienten erhoffen sich dadurch eine bessere Lebensqualität und ein längeres Überleben.”
Das sei völlig legitim, sagte Professor Jungi. Häufig würden aber unerfüllbare Hoffnungen geweckt und dadurch auch Chancen, die die Schulmedizin bietet, nicht genutzt. Auch Jutta Hübner warnte davor, auf Heilsversprechen einzugehen, welche suggerieren, dass beispielsweise eine Operation oder eine Chemotherapie unnötig seien, wenn stattdessen alternative Methoden angewendet werden: “Das ist Scharlatanerie.”

Schaut man auf die Kosten, sind Komplementärverfahren längst Bestandteil der allgemeinen Gesundheitsversorgung. Nach Angaben von Professor Beckmann haben die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland 2008 über 600 Millionen Euro für alternative Medikamente und 1,4 Milliarden Euro für entsprechende Behandlungsmethoden erstattet, deren Evidenz nicht belegt ist. Das sei kaum nachvollziehbar angesichts der Tatsache, “dass ich mich mit den Kassen über die Kosten streiten muss, wenn ich eine operierte Brustkrebspatientin einen Tag länger stationär versorgen will”, hielt Beckmann fest.

Quelle:
http://www.aerztezeitung.de

Kommentar & Ergänzung: Komplementärmedizin & Onkologie

Der Bericht in der Ärztezeitung online weckt meines Erachtens (wohl unabsichtlich) falsche Vorstellungen. Es scheint nämlich so, als sei das Thema Komplementärmedizin & Krebs ein zentrales Thema beim Deutschen Krebskongress gewesen. Der Originalbeitrag steht denn auch unter dem Titel: “Komplementärmedizin bei Krebs – Onkologen denken jetzt um”.

Real sieht es aber so aus: Der Deutsche Krebskongress 2010 dauerte vier Tage und umfasste 322 Veranstaltungen zu allen möglichen Bereichen der Onkologie (siehe: www.dkk2010.de). Eine dieser Veranstaltungen von rund einer Stunde Dauer stand unter dem Thema “Komplementärmedizin in der Onkologie”. Dabei stand ein Pro-Referat von Jutta Hübner (“Komplementärmedizin ist Teil der wissenschaftlichen Medizin”) einem Contra-Referat von Prof. Beckmann gegenüber (“Komplementärmedizin in der Grauzone”).

Irreführend ist die Berichterstattung über die TED-Abstimmung. Sie zeigt die Problematik solcher Erhebungen.
73 % der Mediziner am Onkologie-Kongress sehen Komplementärverfahren als Teil der wissenschaftlichen Medizin und 61 % wenden solche Methoden in ihrer Praxis an?
Das gibt “ Einblick in die derzeitige Stimmung unter den Onkologen in Deutschland”?
In einem anderen Beitrag schreibt die Ärztezeitung online noch deutlicher: “73 Prozent der Onkologen befürworten komplementäre Heilverfahren, begleitend zur Schulmedizin.”

Mein erster Eindruck war:

Hier wurden alle Kongressteilnehmenden befragt. Das stimmt aber nicht. Die TED-Abstimmung wurde in der Veranstaltung “Komplementärmedizin in der Onkologie” erhoben. Wer sich unter 322 Veranstaltungen für dieses Thema anmeldet, ist aber mit grosser Gewissheit überdurchschnittlich an der Komplementärmedizin interessiert. Befragt wurde also eine sehr selektierte Gruppe, während die Darstellung des Ergebnisses nahelegt, dass die Abstimmung unter den Kongressteilnehmenden durchgeführt wurde.

Ein gutes Beispiel für Manipulation via “Abstimmungen”, ohne dass ich damit jemandem böse Absichten unterstellen will (unsorgfältige Formulierung aber schon). Diese Art verzerrter Darstellung ist in den Medien permanent festzustellen, auch bei anderen Themen selbstverständlich.

Abgesehen davon ist es natürlich zu begrüssen, wenn die Onkologinnen und Onkologen sich sorgfältig mit Komplementärmedizin in der Krebstherapie befassen. Keine Frage ist für mich dabei aber auch, dass dies kritisch geschehen muss. Es gibt in kaum einem anderen Bereich so grosse Heilsversprechungen aus dem Bereich der Komplementärmedizin wie bei der Behandlung oder Vorbeugung von Krebs. Nötig ist eine klare Qualitätsprüfung bei solchen Versprechungen, damit nicht mit Hoffnungen von Patientinnen und Patienten gespielt wird.

Jutta Hübner hat ein Buch publiziert mit dem Titel:
“Aloe, Ginkgo & Co – Ergänzende Wirkstoffe in der Krebsbehandlung”
Mehr dazu im Buchshop.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

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