Bei leichten Beschwerden gelten Heilpflanzen nicht nur als gut verträgliche und wirksame Alternative. Die Pflanzenheilkunde ist auch sehr beliebt.
Für die Pflanzenheilkunde bzw. Phytotherapie brachte das Jahr 2004 in Deutschland wenig Gutes. Die Gesundheitsreform schloss damals auf einen Schlag fast sämtliche rezeptfreien Medikamente – und damit auch fast alle Heilpflanzen-Präparate – von der Erstattungspflicht durch die gesetzlichen Krankenkassen aus. Seitdem müssen Patienten diese Naturheilmittel aus eigener Tasche bezahlen. Anhänger der Phytotherapie befürchteten einen prägnanten Imageverlust nach dem Motto „Was die Krankenkasse nicht zahlt, kann auch nicht wirken“. Dass die Deutschen jedoch weit mehr Vertrauen in die Pflanzenmedizin haben, zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage der Nürnberger GfK Marktforschung im Auftrag der Apotheken Umschau.
Demnach nutzen 41,7 Prozent der Bundesbürger regelmäßig oder gelegentlich Medikamente auf pflanzlicher Basis, bei Frauen liegt dieser Anteil sogar bei 53,0 Prozent. Auch Apotheker Roland Andre aus dem bayerischen Pfaffenhofen hat den positiven Trend für die Pflanzenheilkunde beobachtet: „Trotz der Einschnitte bei den Kassenleistungen sind viele Verbraucher bereit, erfolgreiche Phytopharmaka aus eigener Tasche zu bezahlen.“ Die Menschen hätten sich mit der Ungerechtigkeit abgefunden und würden Heilpflanzen deshalb nicht weniger nutzen.
Argumente für die Heilkräuter
Eines der wichtigsten Argumente für die Heilkräuter dürfte ihre gute Verträglichkeit sein. So äussern sich jedenfalls vier von fünf Befragten (80,6 Prozent). „Die in Deutschland zugelassenen rezeptfreien Arzneimittel sind so gut auf ihre Wirkungen überprüft, dass man das tatsächlich so pauschal sagen kann“, sagt auch Professorin Karin Kraft, Direktorin des Instituts für Naturheilkunde an der Universität Rostock.
Die Bandbreite der Heilpflanzen-Anwendungen ist gross. Ob Primeln (Schlüsselblumen) gegen Husten, Rotes Weinlaub bei Erkrankungen der Beinvenen oder Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) als hormonfreie Alternative zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden: Es gibt kaum eine Indikation, bei der sich nicht auch ein Heilpflanzen-Extrakt einsetzen ließe. „Im Gegensatz zur schulmedizinischen Therapie ist es nicht nur ein einzelner Wirkstoff, der einen bestimmten Mechanismus auslöst, sondern ein Gemisch aus einer Vielzahl von Stoffen, die man oft noch gar nicht im Detail kennt“, erklärt Dr. Bernhard Uehleke, Forscher am Institut für Naturheilkunde an der Berliner Charité. Diese Vielstoffgemische greifen an mehreren Punkten im Organismus an, wo sie wie an kleinen Stellschrauben feinregulierend wirken.
Heilpflanzen-Präparate – längere Zeit
Die meisten Heilpflanzen-Präparate müssen daher längere Zeit angewendet werden, bis die erwünschte Wirkung eintritt. „Der Körper braucht einfach eine gewisse Zeit, um Vorgänge zu starten und das Gleichgewicht zu finden“, sagt Uehleke. Ob man mit höheren Einstiegsdosierungen gegebenenfalls schnellere Wirkungen erzielen könnte, sei jedoch noch nicht ausreichend erforscht. So eignet sich die Pflanzentherapie hauptsächlich zur Linderung leichter Beschwerden. Begleitend zu einer schulmedizinischen Therapie kann sie außerdem Nebenwirkungen abmildern oder den Heilungsverlauf verbessern.
Zahlreiche Phytotherapeutika zeigen jedoch schon bei einer erstmaligen Anwendung eine gute Wirkung. „Dazu zählen beispielsweise Einreibungen bei Hautproblemen oder Bäder für einen besseren Schlaf“, erklärt Uehleke. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass Arzneimittel aus Extrakten von Baldrian, Hopfen oder Melisse schon bei einer einmaligen Einnahme eine ähnliche Wirkung wie die chemischen Schlafmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine haben können – ohne die lästigen katerähnlichen Folgen am folgenden Morgen.
Bei schweren Erkrankungen funktionieren Phytopharmaka aus dem rezeptfreien Spektrum allerdings nicht. Versuche, auch schwere Depressionen mit Johanniskraut oder höhergradige Herzinsuffizienzen mit Weißdornextrakten zu therapieren, schlugen in den vergangenen Jahren fehl. Umso mehr konzentrieren sich die Bemühungen der Pharmaindustrie auf die Entwicklung von Heilpflanzen-Präparaten zur Gesunderhaltung und zur Behandlung leichter Beschwerden. „Das ist die Domäne der Phytotherapie“, sagt Professorin Karin Kraft.
Quelle:
Apotheken Umschau; 27.09.2010
RYF/iStock
http://www.apotheken-umschau.de/Heilpflanzen/Wann-pflanzliche-Arzneimittel-gut-helfen-75327.html
Kommentar & Ergänzung: Wann Heilpflanzen-Präparate gut helfen
– Die Situation betreffend Erstattung von Phytopharmaka unterscheidet sich in Deutschland und in der Schweiz. In der Schweiz werden Heilpflanzen-Präparate von der Grundversicherung bezahlt, wenn ihre Wirksamkeit ausreichend in Studien belegt ist – genauso wie dies bei synthetischen Arzneimitteln gefordert wird.
Das ist ein Unterschied zu Präparaten aus Homöopathie und Anthroposophischer Medizin, die von der Grundversicherung aus politischen Gründen bezahlt werden, ohne dass ihre Wirksamkeit belegt werden müsste. Weil das Gesetz „Wirksamkeit“ verlangt, geschieht diese eklatante Bevorzugung meiner Ansicht nach ohne Rechtsgrundlage. Das Bundesamt für Gesundheit BAG) in Bern hat jedenfalls bisher auch nach zweimaliger Anfrage keine gesetzliche Grundlage angegeben.
– In der Apotheken Umschau wird ein Soforteffekt von Arzneimitteln aus Extrakten von Baldrian, Hopfen und Melisse erwähnt. Bei Baldrian-Extrakt gibt es meines Erachtens gute Hinweise aus klinischen Studien dafür, dass sein volles Potential als Beruhigungsmittel und Schlafhilfe sich erst bei längerer Einnahme voll entfaltet. Möglicherweise gibt es schnellere Effekte bei Kombipräparaten mit Baldrian, Hopfen und Melisse – wohl aber eher wegen Hopfen & Melisse.
– Falls Sie die Wirkungen der Heilpflanzen beruflich oder privat nutzen möchten, lohnt sich eine fundierte Ausbildung bzw. Weiterbildung. Infos auf www.phytotherapie-seminare.ch.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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