Das traditionsreiche Naturheilmittel Klosterfrau Melissengeist besteht zu 79 % aus Alkohol. Das ist bedeutend mehr als für Spirituosen zugelassen ist. Kein Wunder, wird Melissengeist oft von Menschen mit Alkoholabhängigkeit im grossen Stil konsumiert.
In einer Sendung des Deutschlandfunks zum Thema „Sucht im Alter“ sagte die Psychologin Professor Irmgard Vogt:
„Und dann gibt es bei den Frauen einen typischen Tröster, der heißt Klosterfrau Melissengeist. Das ist ein 80-prozentiger Alkohol. Das ist der Einstieg in den Alkoholismus, wird verkauft als Aufbaumittel. 80 Prozent Alkohol, das ist natürlich ein Hammer, und man braucht nicht so sehr viel, um auf diese Weise einzusteigen und dann doch im Alkoholismus zu landen.“
Quelle:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1066382/
Kommentar & Ergänzung: Klosterfrau Melissengeist
Als ehemaliger Drogist kann ich die Aussage von Irmgard Vogt nur bestätigen. Klosterfrau Melissengeist wird nicht wenigen Kunden überwiegend weiblichen Geschlechts regelmässig in so grossen Mengen gekauft, dass ein Alkoholproblem als Hintergrund angenommen werden muss.
Keine Spirituose würde mit einem auch nur annähernd so hohen Alkoholgehalt zum Verkauf zugelassen.
Klosterfrau Melissengeist enthält neben dem Alkohol:
Melissenblättern, Alantwurzelstock, Angelikawurzel, Ingwerwurzelstock, Gewürznelken, Galgantwurzelstock, Schwarze Pfefferfrüchte, Enzianwurzel, Muskatsamen, Pomeranzenschalen, Zimtrinde, Zimtblüten, Kardamomensamen.
Melissenblätter wirken beruhigend, entspannend und einschlaffördernd. Die restlichen Heilpflanzen wirken vor allem bei Verdauungsbeschwerden wie zum Beispiel Blähungen und Völlegefühl.
Angepriesen wird Klosterfrau Melissengeist aber so:
„Traditionell angewendet: Innerlich: Zur Besserung des Allgemeinbefindens (bzw. zur Stärkung oder Kräftigung) bei Belastung von Nerven und Herz- Kreislauf mit innerer Unruhe und Nervosität. Zur Förderung der Schlafbereitschaft. Bei Wetterfühligkeit. Zur Besserung des Befindens bei Unwohlsein, zur Förderung der Funktion von Magen und Darm, insbesondere bei Neigung zu Völlegefühl und Blähungen. Als mild wirksames Arzneimittel zur Besserung des Befindens bei unkomplizierten Erkältungen und zur Stärkung. Äußerlich: Zur Unterstützung der Hautdurchblutung z. B. bei Muskelkater und Muskelverspannungen.“
Nachvollziehbar ist aufgrund des Melissenanteils die „innere Unruhe“, die „Nervosität“ und die „Förderung der Schlafbereitschaft“.
Bei diesen Anwendungsbereichen würde aber eine alkoholfrei Form der Melisse vorziehen (Melissentee, Melissenöl inhalativ, Melissenextrakt).
Aufgrund der anderen Heilpflanzen erscheint auch die Anwendung „zur Förderung der Funktion von Magen und Darm, insbesondere bei Neigungen zu Völlegefühl und Blähungen“ plausibel.
Die Empfehlung „Zur Besserung des Allgemeinbefinden (bzw. zur Stärkung und Kräftigung)“ ist aber völlig wischiwaschi und es braucht schon eine Portion Unverfrorenheit, einen hochprozentigen Schnaps wie den Klosterfrau Melissengeist zur Stärkung und Kräftigung zu empfehlen. Von den Heilpflanzen her lässt sich eine solche Wirkung jedenfalls nicht ableiten.
Dasselbe gilt für die Empfehlung bei „Wetterfühligkeit“ und „zur Besserung des Befindens bei unkomplizierten Erkältungen und zur Stärkung“. Auch hier dürfte ein „Schnaps“ eine ebenbürtige Wirkung haben bei tieferem Alkoholgehalt.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
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