Extrakte der Zistrose (Cistus incanus) inaktivieren in Laborexperimenten HI-, Ebola- und Marburg-Viren und verhindern ihre Vermehrung.
Für virale Infektionen wie beispielsweise HIV/Aids braucht es infolge von Resistenzbildung immer wieder neue antivirale Wirkstoffe. Gegen Ebola- oder Marburg-Viren existieren gegenwärtig noch gar keine zugelassenen Präparate. Forscher vom Institut für Virologie des Helmholtz-Zentrums München konnten nun zeigen, dass Extrakte aus der Zistrose (Cistus incanus) virostatische Eigenschaften besitzen. Der Pflanzenextrakt blockiert das Andocken der Viren an Zellen, indem Inhaltsstoffe selektiv an die Viruspartikel binden und so die Infektion verhindern. Die Wissenschaftler arbeiteten mit klinischen Isolaten des HI-Virus vom Typ 1 und 2, einschließlich eines HIV-Stammes, der gegen mehrere therapeutisch eingesetzte antivirale Wirkstoffe resistent ist.
Dabei inaktivierten die Zistrose-Extrakte die HI-Viren bei allen Experimenten.
Die Wirkstoffe blockieren virale Hüllproteine, womit das Andocken der Viren an die Wirtszellen verhindert wird. Selbst nach 24-wöchigen Labortests entwickelten sich keine Resistenzen.
Prof. Dr. Ruth Brack-Werner vom Institut für Virologie sagt: „Unsere Ergebnisse zur Anti-HIV-1-Wirkung von Cistus incanus liefern erste Hinweise, dass käuflich erhältliche Extrakte aus der Zistrose für die Entwicklung von neuartigen und wissenschaftlich fundierten Phytotherapeutika gegen HIV genutzt werden könnten“. Da die antivirale Wirkungsweise der von uns untersuchten Pflanzenextrakte sich von allen bisher klinisch eingesetzten Medikamenten gegen HIV-1 unterscheidet, wären solche Präparate eine wertvolle Ergänzung der Palette an etablierten Arzneistoffen.“
Die Cistus-Extrakte waren nicht nur gegen HIV, sondern auch gegen Viruspartikel mit Hüllproteinen von Ebola- bzw. Marburg-Viren aktiv. Die Forscher fanden auch Hinweise dafür, dass Zistrose-Extrakte zahlreiche antivirale Inhaltsstoffe enthalten, die in Kombination wirken könnten. Zusammen mit der schon in der Literatur beschriebenen antiviralen Aktivität von Zistrose-Extrakten gegen Grippeviren, belegen die Resultate die breite antivirale Wirkung von Cistus-Extrakten gegen wichtige humanpathogene Viren.
Virusbedingte Infektionen gehören zu den zehn weltweit häufigsten Todesursachen bei Menschen.
Die Wissenschaftler können sich aufgrund ihrer Resultate eine Reihe neuer Anwendungen im globalen Kampf gegen virale Infektionskrankheiten vorstellen, zum Beispiel die Entwicklung von optimierten antiviralen Gemischen aus Pflanzenextrakten als Phytotherapeutika. Möglicherweise könnten Cremes oder Gels als Mikrobizide die sexuelle Verbreitung von Erregern wie HIV verhindern, da Cistus-Extrakte die Infektiosität von Viruspartikel blockieren. Ausserdem sind Cistus-Extrakte vielversprechende Quellen für die Isolierung von neuen Wirkstoffklassen bzw. -Molekülen.
Quelle:
http://derstandard.at/2000030308072/Zistrose-Heilpflanze-gegen-HIV-und-Ebolaviren
Originalpublikation:
Potent in vitro antiviral activity of Cistus incanus extract against HIV and Filoviruses targets viral envelope proteins Stephanie Rebensburg et al.; Scientific Reports, doi: 10.1038/srep20394; 2016
http://www.nature.com/articles/srep20394
Kommentar & Ergänzung:
Das sind interessante Untersuchungen. Es muss aber unterstrichen werden, dass es sich um Laborergebnisse handelt. Die Situation im menschlichen Organismus unterscheidet sich davon stark. Im Reagenzglas lassen sich Viren und Zistrose-Extrakt isoliert von allen anderen Einflüssen zusammenbringen. Das ermöglicht ein direktes Einwirken von Inhaltsstoffen auf die Viren. Im menschlichen Organismus gibt es dagegen viele zusätzliche Einflüsse, die als Störfaktoren wirken können.
Die gegen Viren wirksamen Substanzen in der Zistrose gehören zu den Gerbstoffen.
Dazu ist zu sagen, dass viele Pflanzen Gerbstoffe mit antiviraler Wirkung enthalten, zum Beispiel Melisse und Salbei. Melissenextrakt und Salbeiextrakt werden daher in Salben gegen Herpesviren eingesetzt. Es stellt sich daher die Frage, ob die gezeigte antivirale Wirksamkeit der Zistrose-Extrakte wirklich so speziell ist, oder ob Gerbstoffe aus anderen Pflanzen vergleichbare Effekte zeigen würden.
Der Klarheit halten ist zudem festzuhalten, dass die antivirale Wirkung der Gerbstoffe sich auf lokale Anwendungen auf Haut und Schleimhaut beschränkt. Es gibt bisher keine Belege, dass Gerbstoffe über den Verdauungstrakt ins Blut gelangen und dort systemisch antiviral wirken. Daher ist es auch überzogen, wenn in Medienberichten über diese Untersuchungen bereits von einer neuen Waffe aus der Pflanzenwelt gegen HIV gesprochen wird. Damit wird eine systemische Wirkung suggeriert, mit der sich eine HIV-Infektion heilen liesse.
Beispiel:
„Pflanzenextrakt hilft gegen HIV und Ebola“
(Quelle: http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-19808-2016-02-03.html)
Ein solcher Titel spricht natürlich mehr an und tönt attraktiver als eine realistischere, nüchterne Überschrift wie:
„Pflanzenextrakt inaktiviert Virus im Reagenzglas“.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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