Die Neandertaler (Homo neanderthalensis) starben vor etwa 40.000 Jahren aus – etwa zur selben Zeit, als sich der moderne Mensch (Homo sapiens) in Europa ausbreitete.
Forscher um Laura Weyrich und Alan Cooper von der australischen University of Adelaide untersuchten Neandertaler-Zähne aus zwei Höhlen im heutigen Belgien und Spanien.
Insgesamt analysierte die Wissenschaftler Erbgut aus dem Zahnstein von vier Neandertalern, wovon zwei aus der Höhle El Sidrón in der nordspanischen Region Asturien stammten.
Der Neandertaler „El Sidrón 1“ aus Spanien wurde wegen seines guten Erhaltungszustands besonders eingehend analysiert.
Den Forschern zufolge war er ziemlich krank. Sein Verdauungstrakt war von Parasiten befallen, er hatte Durchfall und litt an einem Zahnabszess. Gegen letzteres wusste sich der Neandertaler aber offenbar zu helfen. In seinem Zahnstein fanden die Forscher DNA-Reste der Westlichen Balsam-Pappel (Populus trichocarpa). „Er aß Pappel, die das Schmerzmittel Salicylsäure enthält“, erläutert dazu Studienleiter Cooper. Auf Abkömmlingen der Salicylsäure basiert das Arzneimittel Acetylsalicylsäure (ASS) – besser bekannt unter dem Handelsnamen Aspirin. „Offenbar kannten sich die Neandertaler gut mit medizinischen Pflanzen aus und kannten ihre entzündungshemmende und schmerzstillende Wirkung“, kommentiert Cooper.
Jean-Jacques Hublin, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der an der Studie nicht beteiligt war, hält die Schlussfolgerung, dass der Neandertaler gezielt schmerzstillende Pappel aß für „ziemlich überzeugend“. Die Hauptschwäche der Studie liege aber darin, dass nur vier Neandertaler von zwei Fundstellen untersucht wurden.
http://www.n-tv.de/wissen/Neandertaler-assen-natuerliche-Schmerzmittel-article19740070.html
Kommentar und Ergänzung:
Da nur vier Skelette untersucht wurden und nur bei „El Sidrón 1“ diese Kombination von Zahnabszess und Pappelkonsum gefunden wurde, lässt sich daraus natürlich noch nicht schliessen, dass die Pappel bei den Neandertalern als Schmerzmittel quasi zur „Höhlenapotheke“ gehörte. Allerdings ist Pappel weder besonders schmackhaft noch nährstoffreich und darum ist schwer vorstellbar, wozu „El Sidrón 1“ über längere Zeit Pappel gekaut haben soll.
In der heutigen Phytotherapie wird als Salicylat-Pflanze vor allem die Weidenrinde verwendet. Ihr Gesamtsalicylgehalt sollte mindestens 1 % sein, wird jedoch von vielen Arten nicht erreicht. Hohe Gehalte findet man in Salix purpurea (6-8,5 %), Salix daphnoides (4,9-5,6 %) und Salix fragilis (3,9-10,2 %).
Im Unterschied zu Acetylsalicylsäure (Aspirin) beeinflussen Weidenrindenextrakte die Thrombozytenfunktion nicht. Die Salicinverbindungen der Weidenrinde bewirken im Unterschied zu Aspirin keine Verzögerung der Blutgerinnung, weshalb sie auch zur Schmerzbehandlung nach Operationen verwendet werden können.
Leider wurde das am besten wissenschaftlich geprüfte Weitenrindenextrakt-Präparat „Assalix“ vom Hersteller Bionorica aus dem Markt genommen – aus „portfoliostrategischen Gründen“ (was auch immer das bedeuten mag).
Pappelblätter und Pappelrinde aus der Zitterpappel (Espe) sind Bestandteil der „Phytodolor Tinktur“ (neben Goldrutenkraut und Eschenrinde). Das Präparat wird zur Linderung leichter Gelenkschmerzen bei Arthrose eingesetzt. Phytodolor ist in Deutschland und Österreich im Handel, nicht jedoch in der Schweiz.
Da haben wir also wieder einmal diesen schönen grossen Bogen von den Heilpflanzen-Anwendungen aus den Anfängen der Menschheit bis zur modernen Phytotherapie.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz