Uns wird tagtäglich von einer intensiven Propaganda eingeredet, dass wir uns mit gewöhnlichen Lebensmitteln gar nicht mehr ausreichend mit Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und weiteren notwendigen Stoffen ernähren könnten. Darum müssen Nahrungsergänzungsmittel (Supplemente) her. Regelmässig eingenommen und hochdosiert sollen sie gegen Krebs und zahlreiche andere Krankheiten schützen.
Viele Menschen sind anfällig für diese subtilen Drohungen und Werbeversprechen. Wer kann schon guten Gewissens behaupten, sich jederzeit optimal zu ernähren. Darum boomt der Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln im Internet, in Apotheken, Drogerien und Grossverteilern.
Allerdings häuften sich in den letzten Jahren die Hinweise, dass Nahrungsergänzungsmittel unter Umständen auch schaden könnten. Das schlägt sich jetzt auch im Report “Ernährung, körperliche Aktivität und Krebsprävention” nieder, der vom World Cancer Research Fund (WCRF) herausgegeben wurde. Der gemeinnützige und unabhängige WCRF widmet sich seit seiner Gründung im Jahr 1982 der weltweiten Krebsprävention. Sein 517 Seiten starker Report ist die bisher massgeblichste wissenschaftliche Auswertung von über 7000 Forschungsstudien zum Thema Ernährung, körperliche Aktivität und Übergewicht und deren Auswirkungen auf das Krebsrisiko. Die Beurteilungen von weltweit anerkannten Experten führten zu 10 Empfehlungen zur Senkung des Krebsrisikos.
Empfehlung Nr. 8 lautet:
“Der Nährstoffbedarf sollte ausschliesslich durch Lebensmittel gedeckt werden. Nahrungsergänzungsmittel werden für die Krebsprävention nicht empfohlen.”
Begründet wird diese Empfehlung folgendermassen:
“Die Daten zeigen, dass hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel sowohl vor Krebs schützen als auch Krebs begünstigen können. Diesbezügliche Studienergebnisse sind jedoch nicht auf die allgemeiner Bevölkerung übertragbar, so dass insgesamt keine sichere Einschätzung des Nutzens und der Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln vorgenommen werden kann. Eine allgemeine Empfehlung, Nahrungsergänzungsmittel zur Prävention von Krebserkrankungen einzusetzen, könnte unerwartete und nachteilige Wirkungen mit sich bringen. Deshalb wird eine erhöhte Zufuhr relevanter Nährstoffe mittels der üblichen Kost vorgezogen.”
Der Ernährungswissenschaftler und Experte für Vollwerternährung Prof. Claus Leitzmann kommentiert die Empfehlung in einer Zusammenfassung des Berichtes so:
“Die Gratwanderung der richtigen Dosierung von Nahrungsergänzungsmitteln zeigt sich deutlich an zwei gut untersuchten Beispielen: Beta-Carotin als Supplement erhöht das Risiko für Lungenkrebs (zumindest bei ehemaligen Rauchern) und senkt das Risiko für Lungenkrebs als Bestandteil von Lebensmitteln. Calciumsupplemente von etwa 1000g pro Tag senken das Risiko für Darmkrebs, erhöhen aber das Risiko für Prostatakrebs.”
Die Experten des WCRF-Reports erkennen zwar an, dass es Situationen geben kann, in denen der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln empfehlenswert ist, zum Beispiel bei bestimmten Krankheiten oder Mangelzuständen. Das sind aber Ausnahmen. Bezogen auf die gesamte Bevölkerung könnte man dagegen zusammenfassen: Geschäft läuft, Nutzen in den meisten Fällen unklar, Schäden bei höheren Dosierungen möglich.
Die Propagandisten der Nahrungsergänzungsmittel verkünden sehr selektiv alle für ihr Business positiven Studien, verschweigen aber die negativen
Kommt noch dazu, dass Nahrungsergänzungsmittel oft sehr unkontrolliert konsumiert werden. Gar nicht so selten trifft man auch Menschen, die zwei oder mehr dieser Produkte gleichzeitig einnehmen. So kommt es sehr leicht zu grotesken Überdosierungen, die nur den Herstellern und Verkäufern nützen, den Konsumierenden aber möglicherweise schaden.
Erstaunlich ist zudem, dass die Nahrungsergänzungsmittel auch im Umfeld der Naturheilkunde boomen.
Schliesslich hört man ja oft von Seiten der Naturheilkunde an die Adresse der Medizin gerichtet den Vorwurf, sie setze auf isolierte Substanzen, während zum Beispiel Heilpflanzen immer Vielstoffgemische seien, deren Wirkstoffe sich gegenseitig ergänzten.
Was aber sind Nahrungsergänzungsmittel anderes als isolierte Substanzen? – Die von Claus Leitzmann empfohlene Vollwerternährung dagegen enthält die nötigen Stoffe im natürlichen Verbund der Lebensmittel. Aber selbst wer sich nicht konsequent vollwertig ernährt, kann den Bedarf noch immer mit Nahrungsmitteln decken, wenn nicht gerade die totale Einseitigkeit zum Ernährungsprinzip erhoben wird.
Offenbar gibt es jedoch bereits eine grössere Zahl von Menschen, die von der Propaganda für Nahrungsergänzungsmittel schon derart verunsichert sind, dass sie glauben, dringend auf solche Produkte angewiesen zu sein. Solchen Menschen kann man eigentlich nur den Rat geben: Wenn Sie schon die Hersteller und Verkäufer von Supplementen grosszügigerweise unterstützen wollen, halbieren Sie doch die empfohlenen Dosierungen. Es reicht immer noch bestens, schont Ihren Geldbeutel und reduziert allfällige negative Folgen. Ausgenommen von dieser Empfehlung ist nur der seltene Fall von konkreten, klar diagnostizierten Krankheiten oder Mangelzuständen, die eine Zufuhr gewisser Stoffe sinnvoll machen können. In solchen Situationen halten Sie sich am besten an die empfohlenen Dosierungen. Aber lassen Sie sich keine vagen Mangelzustände unterschieben. Sie werden dadurch nur krankgeredet und als behandlungsbedürftig hingestellt, damit Ihnen eine Therapie verpasst werden kann.
Literaturangabe:
World Cancer Research Fund / American Institute for Cancer Research.
Food, Nutrition, Physical Activity, and the Prevention of Cancer: a Global Perspective.
Washington, DC: AICR, 2007
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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