Die Entfernung von Amalgamfüllungen bei Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit ist in der Regel unnötig. Solche Symptome könnten auch durch ein spezielles Gesundheitstraining und eine gesunde Lebensweise verschwinden. Die Metalllegierung jedenfalls verursache nur selten Beschwerden.
Zu diesem Resultat kommt ein fächerübergreifendes, insgesamt zwölf Jahre dauerndes Forschungsprojekt.
„Die Empfehlung aus dieser Studie ist: Eine Entfernung des Amalgams ist nicht die einzige Option gegen die Beschwerden“, hält Dieter Melchart vom Münchner Klinikum rechts der Isar fest. An dem Langzeitprojekt hatten mehrere universitäre Einrichtungen mitgewirkt. Die Leitung lag beim Zentrum für naturheilkundliche Forschung am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.
Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass eindeutige Aussagen über die Schädlichkeit von Amalgam nicht gemacht werden können. „Mit Sicherheit besteht kein Zusammenhang mit viel Amalgam im Mund und hohen Beschwerden“, erklärt Melchart.
Quecksilber-Werte liegen weit unterhalb der Belastungsgrenze
„Allgemein schadet Amalgam nicht“, sagt auch Prof. Reinhard Hickel von der Zahnpoliklinik der Münchner Ludwig Maximilians-Universität. Die Patienten hatten in Fragebögen über 300 Symptome wie Konzentrationsstörungen mit ihren Amalgam-Füllungen in Verbindung gebracht.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die anorganischen Quecksilberwerte im Blut von Patienten mit Amalgamfüllungen viermal höher waren als bei Menschen ohne solche Füllungen. Allerdings bewegten sich diese Werte weit unterhalb der kritischen Belastungsgrenze, berichtete der Toxikologe Prof. Stefan Halbach vom Helmholtz-Forschungszentrum in Neuherberg bei München. „Hier befinden wir uns im Dosis-Keller.“
Amalgam als Füllstoff
Amalgame sind Legierungen, die aus Quecksilber und anderen Metallen zusammengesetzt sind. Als Material für Zahnfüllungen werden sie eingesetzt, weil sie gut formbar sind und anschliessend rasch hart werden. Das Quecksilber wird während des Härtens fest in die Legierung eingebunden. Dennoch können geringe Mengen des giftigen Metalls aus den Zahnfüllungen freigesetzt werden.
Halbach erläuterte, dass das anorganische Quecksilber im Amalgam weit weniger giftig sei als das organische Quecksilber, welches die Menschen durch den Verzehr von Fischen zu sich nehmen. Bei der Entfernung des Amalgams verminderten sich die anorganischen Quecksilberwerte bei den Patienten, die organischen Quecksilberbestandteile im Blut blieben davon unberührt.
Nach Angaben der Forscher existiert kein Verfahren, um Amalgamschäden eindeutig festzustellen. In einer Kontrollstudie hatten die Wissenschaftler die Messung elektrischer Hautwiderstände, die medikamentöse Ausleitung des im Amalgam enthaltenen Quecksilbers und einen immunologischen Sensibilisierungstest an gesunden und amalgambelasteten Personen untersucht. Resultat: Mit keiner der Methoden könne zwischen gesunden und subjektiv amalgamgeschädigten Menschen unterschieden werden.
Heiss umstrittene Zahnfüllungen
Das Ausmaß der Amalgam-Belastung und die damit verbundenen Folgen sind umstritten. Amalgam-Gegner führen Kopfschmerzen, Nervosität und andere Beschwerden auf ihre Zahnfüllungen zurück. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte bergen ordnungsgemäß gelegte Amalgamfüllungen keine Gesundheitsgefährdung. Trotz vieler Millionen solcher Füllungen seien weltweit nur etwa 100 Fälle sicher als Amalgam-Allergie beschrieben worden. Einschränkungen der Anwendung bei Schwangeren oder Kleinkindern seien lediglich aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes gemacht worden.
Die Auswertung von über 4.700 Fragebögen aus deutschen Zahnpraxen zu Beschwerden und Zahnstatus ergab keine Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Amalgamfüllungen hinsichtlich der subjektiv genannten Beschwerden: „Es gab keine signifikante Korrelation zwischen dem Auftreten und der Intensität bestimmter Symptome und der Anzahl von Amalgamfüllungen“, schreiben die Autoren in ihrer Studie.
Vor der breiten Diskussion über mögliche Gesundheitsschäden wurden in Deutschland pro Jahr rund 60 Millionen Amalgamfüllungen gelegt. Diese Zahl vermindert sich seit Jahren.
http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_homepage_aktuell_amalgam_120731564541.htm
Kommentar: Forschungsprojekt verneint Risiko durch Amalgam-Füllungen
Amalgam ist in der “Naturheilkunde-Szene” ein grosses Thema. Es gibt unzählige “Ausleitverfahren”, mit denen angeblich Quecksilber-Rückstände aus dem Organismus eliminiert werden können.
Ich würde die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass es Menschen gibt, die gesundheitliche Probleme wegen Amalgam-Füllungen haben. Geklärt ist offenbar, dass ca. 0,1 Prozent der Bevölkerung allergisch auf Amalgam reagiert (nach SSO, Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft). Andere Gesundheitsschäden konnten bis heute in wissenschaftlichen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden. Belegt ist dagegen, dass die Belastung des menschlichen Organismus durch gelöstes Quecksilber aus Amalgamen kleiner ist als die Quecksilberaufnahme durch unsere Nahrungsmittel.
Die Verwendung von Quecksilber scheint mir allenfalls aus ökologischen Gründen fragwürdig
Darüber hinaus gibt es aber meines Erachtens einige Hinweise für eine groteske Dämonisierung von Amalgam. Es wird für eine sehr lange Reihe von Beschwerden verantwortlich gemacht.
Nun leiden aber auch sehr viele Menschen an diversen, unklaren, unfassbaren Beschwerden.
Meines Erachtens werden oft solche vagen Symptome dem Amalgam untergeschoben. Es ist nämlich schwer auszuhalten, wenn für solche Beschwerden keine Ursache zu finden ist. Eine klare Ursache, ein Sündenbock, erleichtert die Situation ungemein und ermöglicht eine Behandlungsstrategie. Zum Beispiel das Ersetzen aller Amalgam-Füllungen oder aufwendige Quecksilber-Ausleitungen. Dadurch verbessern sich vage Beschwerden oft.
Das könnte gut mit dem Placebo-Effekt zu tun haben. Der ist umso stärker, je ausgefallener, teurer, exotischer, schmerzhafter die Behandlung ist.
Im Klartext: Es gibt wohl eine (eher kleine) Gruppe von Menschen mit gesundheitlichen Problemen infolge von Amalgam-Füllungen. Und es gibt wohl eine viel grössere Gruppe von Menschen, denen eingeredet wurde, dass sie ein Problem mit Amalgam haben. Das kommt vielen angeblich Betroffenen entgegen, weil sie dadurch endlich eine klare Diagnose für ihre unklaren Beschwerden bekommen. Und es kommt auch vielen Therapeuten und Therapeutinnen entgegen, die sich voller Überzeugung an die Eliminierung des Quecksilbers machen und dabei in einer Heiler-Rolle aufgehen können.
Die Untersuchung unter Leitung des Zentrums für naturheilkundliche Forschung scheint mir jedenfalls diese Einschätzung zu stützen.
Korianderkraut, Knoblauch, Bärlauch, Zwiebel, Kapuzinerkresse, Meerrettich – Ausleitungsmittel?
Zur Ausleitung von Quecksilber werden auch verschiedene Heilpflanzen angepriesen, zum Beispiel Korianderkraut, Knoblauch, Bärlauch, Zwiebel, Kapuzinerkresse, Meerrettich. Trotz intensiver Suche habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt kein einziges Argument gefunden, welches die Wirksamkeit dieser Massnahmen glaubwürdig macht.
Heilpflanzen haben viele Kräfte, auch Korianderkraut, Knoblauch, Bärlauch, Zwiebel, Kapuzinerkresse und Meerrettich. Aber nicht alles, was ihnen an Wirkungen zugeschrieben wird, ist auch plausibel.
Dazu kommt dann noch, dass die Amalgam-Angst in der Naturheilkunde-Szene stark geschürt wird. Dadurch werden zahlreiche Leute überzeugt sein von Amalgam-Problemen, die sie möglicherweise gar nicht real haben.
Lassen Sie sich nicht unnötigerweise Angst einjagen. Wenn Ihnen jemand zur Behandlung von vagen Beschwerden wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen eine Quecksilber-Ausleitung empfiehlt, verlangen Sie Belege dafür, dass Wirklich das Quecksilber die Ursache ihrer Beschwerden ist. Solche Zusammenhänge werden nämlich häufig konstruiert von Therapeutinnen oder Therapeuten, für welche Quecksilber fast für alle gesundheitlichen Beschwerden verantwortlich ist.
Ich behaupte nicht, dass Amalgam harmlos ist. Es gibt aber meines Erachtens gute Gründe dafür, dass Amalgam als Sündenbock hochgespielt wird. Und kaum fundierte Gründe für die Wirksamkeit von Quecksilber-Ausleitungen, die als Gegenmittel propagiert werden.
Trotzdem boomt die Amalgam-Sanierungs-Branche, weil sie offenbar verbreitete Bedürfnisse bedient.
Solche Überlegungen hört man in weiten Bereichen der Naturheilkunde gar nicht gerne. Und auch die Untersuchung am Zentrum für naturheilkundliche Forschung wird in diesen Kreisen wohl unreflektiert zerrissen oder gar nicht zur Kenntnis genommen.
Dabei wäre meiner Meinung nach ein kritischerer Umgang mit den eigenen Überzeugungen für die weitere Entwicklung der Naturheilkunde von grosser Bedeutung. Panikmache und Wundergeschichten allein sind jedenfalls nicht dazu angetan, das Vertrauen in die Naturheilkunde zu stärken.
Falls mir jemand Facts zur Wirksamkeit von Quecksilber-Ausleitungen durch Korianderkraut, Bärlauch, Knoblauch, Zwiebel, Kapuzinerkresse und Meerrettich liefern kann, bin ich daran interessiert und werde alle Infos sorgfältig prüfen. Aber Facts bitte, nicht nur wunderbare Heilungsgeschichten.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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