Die Berichte von einem Bio-Potenzmittel, das angeblich bereits 2010 als diätetisches Lebensmittel auf den Markt kommen soll, schlug wie eine Bombe ein. Nun scheint der Traum davon aber schon geplatzt. Verschiedene große Tageszeitungen wie die «Süddeutsche Zeitung» und der «Tagesspiegel» berichteten in den vergangenen Tagen von einem Heilpflanzen-Präparat mit dem Namen «Plantagrar», die «Welt» gestern sogar mit großem Foto auf der Titelseite. Gemäss einer Studie sei das hauptsächlich aus Extrakten des Erd-Burzeldorns (Tribulus terrestris) bestehende Mittel sogar wirksamer als Viagra.
In klinischen Versuchen – so die Meldungen – hatten 50 Männer danach mehr Lust auf Sex, mehr Spaß im Bett und fühlten sich auch sonst wohler. Erd-Burzeldorn wächst in Osteuropa. Ähnlich wirke die Andenpflanze Maca. Sie steigere die Bindungsfähigkeit des Testosterons, erläuterte Olaf Schröder vom Charité-Institut für Transfusionsmedizin.
Berliner Charité
Inzwischen hat sich die Berliner Charité, wo das Mittel getestet wird, vom Bio-Viagra deutlich distanziert. «Es handelt sich bei dieser Untersuchung um die Aktivität eines Mitarbeiters der Charité in eigener Verantwortung. Die Übereinstimmung mit den Richtlinien der Charité zur guten wissenschaftlichen Praxis wird derzeit überprüft. Die Nennung eines Produktnamens in Zusammenhang mit den Untersuchungen entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards der Charité. Die Charité behält sich vor, hierauf geeignet zu reagieren und schließt auch rechtliche Schritte nicht aus. Herr Schröder ist nicht berechtigt, Erklärungen für die Charité abzugeben.» So lautete die kurze, jedoch unmissverständliche Stellungnahme der Charité. Laut «Spiegel online» ist Olaf Schröder noch Medizinstudent, und plant eine Dissertation über das Mittel. Bisher habe er jedoch erst einen Versuch mit «Plantagrar» durchgeführt. Der zweite sei noch nicht einmal begonnen, geschweige denn ausgewertet oder gar in einem Fachblatt publiziert und von anderen Experten begutachtet worden.
Quellen:
www.pharmazeutische-zeitung.de, 18. 3. 2009
www.aerztezeitung.de, 17. 3. 2009, update 17.09 Uhr
Kommentar:
1. Zu Aphrodisiaka / Potenzmitteln aus der Pflanzenheilkunde:
Es ist nicht erstaunlich, dass immer wieder angeblich potenzsteigernde Heilpflanzen in die Schlagzeilen kommen. Das Bedürfnis danach ist offensichtlich sehr gross und dementsprechend wäre der Markt fast grenzenlos. Wer hier ein wirksames Produkt auf der Basis von Heilpflanzen findet und entwickelt, hat mehr als ausgesorgt.
Immer wieder im Gespräch sind:
– Das Potenzholz (Muira puama)
Holz und Rinde des Baumes Ptychopetalum dacoides und Ptychopetalum unicinatum, der in Brasilien vorkommt. Seine Wirkung ist unbelegt und sehr fraglich.
– Die Macawurzel
welche mit unserem Rettich verwandt ist, wächst in grossen Höhen und wird in den Anden als willkommene Nahrungsquelle in unwirtlicher Umgebung geschätzt. Die Maca-Pflanze (Lepidium peruvianum, Syn. Lepidium meyenii Walp.) wird zurzeit als “Ginseng der Anden” angepriesen und soll vor allem die männliche Potenz steigern. Aus Tierexperimenten ergeben sich Hinweise auf eine hormonelle Wirkung der Macawurzel. Auch Untersuchungen an Menschen deuten in diese Richtung, doch ist ihre Aussagekraft begrenzt, weil sie qualitativ nicht den Anforderungen genügen. Insgesamt ist weder die Wirksamkeit noch die Unbedenklichkeit der vor allem via Internet vermarkteten Maca-Produkte hinreichend belegt. Der Hinweis auf die Verwendung als Nahrungsmittel in den Anden genügt zum Beleg der Unbedenklichkeit nicht, da die Wurzel dort vor dem Verzehr einem Erhitzungsvorgang unterzogen wird.
Grundsätzlich muss aber damit gerechnet werden, dass eine Pflanze, die in so hohen Dosen zugeführt hat, dass sie in einem bestimmten Anwendungsbereich positive hormonelle Wirkungen hat, in anderen Bereichen auch unerwünschte hormonelle Effekte zeigen könnte. Einseitig nur positive Wirkungen zu erwarten dürfte hier etwas naiv sein. Es gibt aber auch keine konkreten Hinweise für Schädigungen durch Maca-Präparate. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat zu Maca eine Stellungnahme verfasst:
http://www.bfr.bund.de/cm/208/risikobewertung_macahaltiger_nahrungsergaenzungsmittel.pdf
Weitere Infos unter dem Stichwort Maca bei Wikipedia.
– Yohimberinde (Yohimbe, Pausinystalia johimbe)
stammt aus West-Afrika, vor allem aus Kamerun. Die Yohimberinde enthält das Alkaloid Yohimbin.
Yohimbin wirkt als Sympatholytikum und führt zu einer verstärkten Noradrenalinausschüttung. Es soll eine starke Gefässerweiterung mit verstärkter Durchblutung im kleinen Becken bewirken, was für die aphrodisierende Wirkung auslösend sein könnte.
Bei therapeutischer Anwendung von Yohimbin können Erregungszustände, Tremor, Schlaflosigkeit, Angst, Blutdruckerhöhung, Tachykardie sowie Übelkeit und Erbrechen auftreten. Toxische Dosen verursachen starken Speichelfluss und schliesslich Herzschädigung durch Störungen im Reizleitungs- und Reizbildungssystem. Wegen solcher Risiken ist eine therapeutische Verwendung von Yohimbin und damit auch der Yohimberinde als Heilpflanze nicht zu vertreten.
Alles in allem gesehen:
Die Erwartungen an Heilpflanzen mit potenzsteigernder Wirkung sind hoch, die Dokumentationen dazu und die Belege aber schwach. Dass in diesem Bereich aber auch ein Placebo-Effekt im Sinne einer Erwartungshaltung eine grosse Rolle spielen kann, liegt auf der Hand.
2. Zum Fall Schröder / Erd-Burzeldorn / Bio-Viagra:
Solche Fälle laufen immer wieder sehr ähnlich ab: Da hat jemand eine Idee, die durchaus prüfenswert wäre. Bevor aber die Idee auch nur schon im Ansatz seriös dokumentiert, begründet und geprüft ist, wird sie schon über die Medien weitergereicht, welche gewisse Themen dann nur allzu gerne und leider oft reisserisch unter die Leute bringen.
Korrekt wäre: Zuerst eine sorgfältige Dokumentation erstellen, Publikation aller Daten in einer Fachzeitschrift, damit andere Experten sich kritisch mit den Ergebnissen auseinandersetzen können. Anschliessend sollten Lehren aus dieser Auseinandersetzung gezogen werden. Danach erst kommt der Entscheid, eine Idee in einem grösseren Rahmen vorzustellen, allenfalls ein Produkt daraus zu entwickeln und es zu vermarkten.
Wer seine Idee schon via Medien propagiert und vermarktet, bevor sie sorgfältig dokumentiert ist und sich der kritischen Diskussion innerhalb der “Fachszene” gestellt hat, disqualifiziert sich damit selbst. Das ist übrigens auch ein zentraler Punkt meiner Kritik an den grandiosen Heilungsversprechen des Wolf-Dieter Storl bezüglich Karde & Borreliose. Auch hier hätte es zuerst eine sorgfältige Dokumentation gebraucht und eine kritische Diskussion mit Fachleuten, bevor diese völlig unausgegorene und riskante Idee mit Hilfe des AT-Verlages in die Welt hinaus posaunt wurde. Weitere Infos zum Fall Storl / Karde / Borreliose:
http://www.heilpflanzen-info.ch/cms/2009/02/25/karde-borreliose-therapie-nach-storl-beitraege-zur-debatte-4.html
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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