Erneut kommt eine Studie zu dem Resultat, dass die Einnahme von Vitaminen und Spurenelementen Menschen ohne Mangelzustände mehr schadet als nutzt.
Eine Auswertung der Iowa Women’s Health Study zeigt in den Archives of Internal Medicine (2011; 171: 1625-1633) für mehrere Nahrungsergänzungsmittel sogar eine Steigerung der Sterblichkeit.
Einzige Ausnahme war Kalzium, deren Einnahme mit einem reduzierten Sterberisiko älterer Frauen verbunden war.
Die Iowa Women’s Health Study (IWHS) startete im Jahr 1986. Die Kohorte umfasst 41.836 postmenopausale Frauen, die beim Start der Studie 55 bis 69 Jahre alt waren. Die prospektive Beobachtungsstudie will den Einfluss von Ernährung und Lebensgewohnheiten auf chronische Erkrankungen untersuchen.
Zum gegenwärtigen American Way of Life zählt die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, von denen sich die Bevölkerung gesundheitliche Vorteile verspricht. Hauptsächlich ältere Frauen greifen gerne zu den Produkten aus Drogerie oder Supermarkt. Beim Start der IWHS hatten 66 Prozent der Teilnehmerinnen der Women’s Health Study wenigstens ein Präparat eingenommen. Bis ins Jahr 2004 erhöhte sich der Anteil auf 85 Prozent. Jede vierte Teilnehmerin konsumierte vier oder mehr Mittelchen, in der Regel ohne dass ein Arzt einen Mangel diagnostiziert hatte.
Lebenswichtige Vitamine
Doch das zugrunde liegende Motto „Mehr hilft mehr“ gilt für die lebenswichtigen Vitamine ebenso wenig wie für die im Organismus nur in Spuren enthaltenen Mineralien. Im Gegenteil: Jaakko Mursu von der Universität von Minnesota in Minneapolis ermittelte gleich für mehrere Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel) ein signifikant höheres Sterberisiko von durchaus bedeutsamem Ausmaß.
Die Einnahme von Multivitaminen steigerte das Sterberisiko absolut um 2,4 Prozentpunkte. Für Vitamin B6 fanden die Forscher einen Anstieg um 4,1 Prozentpunkte. Bei Folsäure zeigte sich ein Anstieg um 5,9 Prozentpunkte, beim Magnesium um 3,6 Prozentpunkte und beim Zink um 3,0 Prozentpunkte. Für Eisen wurde ein Anstieg um 3,9 Prozentpunkte festgestellt. Der Anstieg war dosisabhängig, was eine mögliche Kausalität unterstreicht.
Einen endgültigen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang kann eine prospektive Beobachtungsstudie allerdings nicht liefern. Der wichtigste und auch plausible Kritikpunkt lautet, dass die Teilnehmerinnen im Fall einer Krankheit eher zu den Präparaten greifen als bei völliger Gesundheit.
Klarheit können hier nur randomisierte klinische Studien bringen: Studien also mit zufallbestimmten ( = Randomisierung) Verteilung der Teilnehmenden auf zwei Gruppen, wovon die eine Nahrungsergänzungsmittel bekommt und die andere ein Placebopräparat. Es hat allerdings in den letzten Jahren gleich mehrere derartige Studien gegeben, die ein steigendes Sterberisiko bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln feststellten. Dazu zählt die Alpha-Tocopherol, Beta-Carotene Cancer Prevention oder ATBC-Studie, in der Raucher nach der regelmässigen Einnahme von Beta-Carotin häufiger an Lungenkrebs erkrankten.
Folsäure und Vitambin B12
Im Norwegian Vitamin Trial und dem Western Norway B Vitamin Intervention Trial erkrankten Koronarpatienten öfter an Krebs, wenn sie mit Folsäure oder Vitamin B12 behandelt worden waren. Schließlich ergab eine Meta-Analyse randomisierter klinischer Studien ein erhöhtes Sterberisiko für Beta-Carotin, Vitamin A und Vitamin E. Diese Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Andererseits existieren jedoch auch klinische Studien, die eine Schutzwirkung einzelner Vitamine oder Spurenelemente zeigten.
Dies war auch in der aktuellen Beobachtungsstudie der Universität Minnesota der Fall. Die Einnahme von Kalzium-Supplementen war mit einer Reduktion des Sterberisikos um 3,8 Prozentpunkte verbunden. Da es sich bei den Teilnehmerinnen um ältere Frauen handelt, die ein höheres Osteoporoserisiko haben, ist dieses Resultat nachvollziehbar.
Der Editorialist Goran Bjelakovic von der Universität Kopenhagen verweist allerdings auf eine jüngst im Britischen Ärzteblatt veröffentlichte Meta-Analyse, die auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko nach Kalziumsubstitution hingewiesen hatte. Die alleinige und unkritische Kalziumsubstitution steht seither im Verdacht, die Einlagerung von Kalk in den Gefäßwänden und damit die Atherosklerose zu begünstigen.
Die meisten Fachleute raten daher, Kalzium nicht ohne medizinische Indikation einzunehmen und im Bedarfsfall mit Vitamin D zu kombinieren, damit das Mineral seinen Bestimmungsort Knochen auch wirklich erreicht.
Quelle:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47640/Vitamine_und_Eisen_verkuerzen_das_Leben_aelterer_Frauen.htm
http://archinte.ama-assn.org/cgi/content/short/171/18/1625
Kommentar & Ergänzung:
Ich bin sehr skeptisch, was den Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln anbelangt. Wir werden von einer ganzen „Gesundheitsindustrie“ krank geredet. Uns wird auf allen Kanälen suggeriert, dass wir ohne zusätzliche Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Schüssler Salze, Heilpflanzen und was weiss ich nicht noch alles unmöglich gesund bleiben oder gesund werden können.
Diese Studie bestärkt mich grundsätzlich in meiner Skepsis.
Einwände
Aber:
Die Einwände gegen die Studie sind sehr bedenkenswert: Es ist nahe liegend, dass Teilnehmerinnen, die krank sind, verstärkt zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen und zugleich ein höheres Sterberisiko haben. Damit wird möglicherweise eine ursächliche Beziehung zwischen dem Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln und dem erhöhten Sterberisiko suggeriert, die gar nicht vorhanden ist.
Das „Aerzteblatt“ weißt zu Recht darauf hin, dass sich durch diese Art von Studien kein ursächlicher Zusammenhang belegen lässt und dass dazu randomisierte Studien mit Kontrollgruppe nötig wären. Sehr zu Recht wird aber auch darauf hingewiesen, dass mehrere wichtige randomisierte Studien ein erhöhtes Sterberisiko bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln aufgezeigt haben. Die Steigerung war dabei zwar nicht dramatisch hoch, aber „heinomol“ – wer ein Nahrungsergänzungmittel schluckt in der Erwartung, damit etwas Gutes für seine Gesundheit zu tun, dabei aber seine Sterblichkeit erhöht, wird doch verarscht (Tschuldigung). Es müsste ein klarer Nutzen belegt sein und das ohne Risiko. Der Haken ist hier aber, dass Nahrungsergänzungsmittel im Gegensatz zu den meisten Medikamenten ihre Wirksamkeit nicht belegen müssen. Das öffnet der Propaganda alle Tore.
Gesundheitsversprechungen
Gesundheitsversprechungen kritisch unter die Lupe zu nehmen ist daher unumgänglich, wenn man nicht über den Tisch gezogen werden will.
Wie man solche Aussagen prüft und sich eine eigene fundierte Meinung dazu bildet können Sie lernen bei mir im Heilpflanzen-Seminar, in der Phytotherapie-Ausbildung oder im Tagesseminar „Komplementärmedizin – Kriterien zur Orientierung im überquellenden Angebot“.
Wer sich unbedingt mit Nahrungsergänzungsmitteln beruhigen muss, soll doch die vorgeschlagene Dosierung halbieren (sofern nicht ein Mangelzustand eindeutig diagnostiziert ist). Das halbiert dann die Kosten und vielleicht auch das Risiko.
Noch raffinierter wäre es, auf Schüssler-Salze umzustellen. Sie bestehen aus Laktose (Milchzucker) oder einer anderen Substanz, die in den verwendeten Dosierungen garantiert keine spezifischen Wirkungen zeigt. Und was keine spezifischen Wirkungen hat, wird auch keine spezifischen Nebenwirkungen oder Risiken haben. Wer also unbedingt das Ritual der täglichen Pilleneinnahme braucht, ist mit den Schüssler-Salzen auf der sichereren Seite als mit vitamin- und mineralstoffhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln. Allerdings ist die Laktose in den Schüssler-Salzen massiv überteuert. Und zum täglichen Ritual der Pilleneinnahme gäbe es auch noch einige Fragen zu stellen. Irgendwie scheint es ja viele Leute zu geben, die um synthetische Pillen der „Pharmaindustrie“ einen weiten Bogen machen (manchmal zu Recht), aber offenbar stark am Ritual der Pilleneinnahme hängen. Die schlucken dann Vitaminpillen oder Schüssler-Salze, sind überzeugt davon, dass sie sich damit etwas Gutes tun und unterstützten damit genauso die „Pharmaindustrie“.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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