Schlafmittel ermöglichen Millionen Menschen eine Nachtruhe – doch Schlaftabletten steigern laut einer Studie das Sterberisiko deutlich und fördern bei häufiger Einnahme sogar die Entstehung von Krebs.
Schon weniger als 18 Dosen im Jahr erhöhen das Risiko eines vorzeitigen Todes, schreiben Forscher im „British Medical Journal“ (BMJ open). Obwohl die Zahl der gestorbenen Probanden insgesamt recht klein war, gab es signifikante Differenzen in den Gruppen.
In den USA nahmen den Wissenschaftlern zufolge fünf bis zehn Prozent der Erwachsenen im Jahr 2010 Schlaftabletten. Das Forscherteam schloss mehr als 10 500 Menschen, die im Mittel über zweieinhalb Jahre Schlafmittel verordnet bekamen, in die Studie ein.
Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 54 Jahren. Zum Vergleich beobachteten die Forscher auch 23 500 Menschen, die im gleichen Zeitraum keine solchen Arzneimittel einnahmen. Faktoren wie Geschlecht, Alter, Lebensstil und eventuelle gesundheitliche Probleme berücksichtigte die Wissenschaftler ebenfalls.
„Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Schlaftabletten und einem erhöhten Sterberisiko“, erklären die Autoren. Das Risiko zu sterben, steige mit der Höhe der Schlafmittel-Dosis.
Bei den Patienten, die bis zu 18 Dosen im Jahr konsumierten, war die Gefahr zu sterben demnach 3,5-fach höher als bei denen, die keine Schlafmittel nahmen. Bei jenen Probanden, die zwischen 18 und 132 Mal im Jahr zur Schlaftablette griffen, war das Sterberisiko vierfach, bei jenen, die jährlich mehr als 132 Dosen nahmen, sogar fünffach erhöht.
„Diese Zusammenhänge betrafen alle Altersgruppen, am stärksten waren sie aber bei denjenigen zwischen 18 und 55 Jahren“, schreiben die Wissenschaftler. Sie betonen zudem, dass die Studie nicht zwingend Ursache und Wirkung aufzeigt – aber die Resultate bestätigten ältere Studien, dass Schlaftabletten das Sterberisiko steigern.
Auch das Risiko an Krebs zu erkranken erhöht sich der Studie zufolge mit der Einnahme von Schlafmitteln: Bei denjenigen, die besonders häufig Pillen schluckten, steigerte sich die Gefahr einer Krebsdiagnose demnach um 35 Prozent.
„Obwohl die Autoren nicht beweisen konnten, dass Schlafmittel einen vorzeitigen Tod verursachen, haben ihre Analysen viele andere mögliche Gründe ausgeschlossen. Deshalb werfen diese Ergebnisse wichtige Bedenken und Fragen über die Sicherheit von Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten auf“, schreibt die Chefredakteurin von „BMJ open“, Trish Groves, in ihrem Kommentar zu der Studie.
Quellen:
http://science.orf.at/stories/1695177/
http://bmjopen.bmj.com/content/2/1/e000850.full?sid=2d5fb123-d2db-4735-a64d-fc8f46ffed9f
Kommentar & Ergänzung:
Diese Studie lässt aufhorchen, doch wird sie in den meisten Medien verzerrt und mit voreiligen Schlussfolgerungen dargestellt.
Die Studienautoren betonen in ihrer Arbeit, dass sich aus den Resultaten kein Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Schlafmittelkonsum und Sterberisiko / Krebsrisiko ableiten lasse. Schon in einer Pressemeldung zur Studie heisst es aber:
„«Unsere Studie zeigt, dass Schlafmittel die Gesundheit gefährden und zum Tod führen können, indem sie zum Auftreten von Krebs, Herzerkrankungen und anderen Krankheiten beitragen», so Studienleiter Kripke in einer Pressemitteilung seines Instituts.“
(Quelle: Pharmazeutische Zeitung)
Mit diesem Zitat – sofern er es so gesagt hat – stellt Kripke genau den ursächlichen Zusammenhang her, den er anderen Ortes als nicht belegt darstellt.
Die meisten Medien setzten prompt Titel wie :“Schlaftabletten erhöhen Krebsrisiko“ (Spiegel online) oder „Früher Tod durch Schlafmittel“ (Süddeutsche) – und behaupten dadurch den ursächlichen Zusammenhang.
Einen solchen ursächlichen Zusammenhang kann diese Art von Studie aber gar nie zweifelsfrei belegen. Sie zeigt nur, dass Leute mit hohem Schlafmittelkonsum auch ein hohes Sterblichkeits- und Krebsrisiko haben. Es könnte aber beispielsweise einen oder mehrere bisher unbekannte Faktoren geben, die das Sterblichkeits- und Krebsrisiko steigern und gleichzeitig mit hohem Schlafmittelkonsum verbunden sind.
In diesem Sinne differenziert dargestellt wurde die Studie im „Ärzteblatt“:
„Trotz der Vielzahl denkbarer Gründe ist die Studie nicht beweisend. Es könnte auch eine reverse Kausalität vorliegen, da Schlafstörungen ein Symptom vieler schwerer Erkrankungen sind. Auffällig an Kripkes Daten ist, dass die Anwender von Hypnotika deutlich häufiger an Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall oder koronarer Herzkrankheit, an chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, Diabetes oder Herzinsuffizienz litten. Alle diese Erkrankungen gehen für sich genommen mit einem erhöhten Sterberisiko einher. Eine Kohortenstudie kann hier nicht zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden.“
Das „Aerzteblatt“ weist auch auf einen möglichen Interessenskonflikt hin:
Daniel Kripke arbeitete am Scripps Clinic Sleep Center in La Jolla / Kalifornien. Dort wird bei Schlafstörungen eine kognitive Therapie angeboten, „…für die die jetzige Studie sicherlich Werbung machen soll.“
Quelle:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/49298
Das „Aerzteblatt“ stellt aber auch fest, dass kein Zweifel daran besteht, „ …dass Hypnotika zu häufig eingesetzt werden.“
Dem kann ich mich nur anschliessen und ergänzen, dass oft auch Heilpflanzen-Präparate ein gute Option zur Linderung von Schlafstörungen sind. Ihre Wirkungsstärke reicht zwar in schweren Fällen häufig nicht aus, doch sind sie dafür ausgesprochen risikoarm (keine Abhängigkeitsgefahr, kein erhöhtes Sturzrisiko). Beispiele für gebräuchliche Heilpflanzen in diesem Bereich sind
– Baldriantinktur / Baldriantee / Baldrianextrakt
– Hopfen / Hopfenzapfen / Hopfenextrakt (im Bier nicht wirksam)
– Melissentee oder Melissenöl,
– Lavendelblüten oder Lavendelöl
– Passionsblumenkraut / Passionsblumenextrakt
– Kamillentee
– Orangenblütentee
– Goldmelissentee
Diese Heilpflanzen sind in ihrer Wirkung unterschiedlich gut dokumentiert. Am besten belegt sind Kombinationspräparate Baldrian / Hopfen. Passionsblumen-Extrakte und ausserdem die ätherischen Öle Melissenöl und Lavendelöl.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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