Die Chefredakteurin der medizinischen Fachzeitschrift „British Medical Journal“ (BMJ), Fiona Godlee, hat in einer Mail den Roche-Vorstand dazu aufgerufen, die Studiendaten zum Grippemittel Oseltamivir (Tamiflu®) offenzulegen. Sie unterstützt damit die langjährige Forderung von Cochrane-Wissenschaftlern, Transparency International Deutschland und inzwischen auch Überwachungsbehörden nach mehr Transparenz.
Seit Jahren fordern Cochrane-Wissenschaftler um Tom Jefferson von Roche vor allem die Offenlegung von Daten aus acht klinischen Studien, die die Überlegenheit von Oseltamivir gegenüber Placebo gezeigt haben sollen. Aus Sicht des Pharmakonzerns haben die Cochrane-Autoren alle Daten, die sie brauchen, bekommen. Die Forscher werfen Roche hingegen vor, die Daten aus der Metaanalyse und weitere Daten gezielt zurückzuhalten.
Godlee schreibt in ihrer Mail, Tamiflu® sei ein enormer kommerzieller Erfolg für Roche. Öffentliche Gelder dafür seien in Milliardenhöhe ausgegeben worden und trotzdem bleibe der Beleg für die Wirksamkeit und Sicherheit bis heute verborgen.
Allerdings scheint es seitens Roche keine Bereitschaft zu geben, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Jedenfalls wartet die Chefredaktorin offenbar immer noch auf eine Antwort des Konzerns.
Quelle: http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/news/2012/10/30/skeptiker-lassen-nicht-locker/8631.html
Kommentar & Ergänzung:
Tom Jefferson kritisierte schon im Dezember 2009, dass der Tamiflu-Hersteller Roche nicht alle Studiendaten veröffentlicht habe. Das birgt die Gefahr, dass Studienresultate falsch dargestellt und interpretiert werden können, dass sie also „geschönt“ werden. Auf ein Angebot von Roche – Zugang zu den Daten gegen Zusicherung von Stillschweigen – ging die Cochrane Collaboration verständlicherweise nicht ein.
Und es kann nicht in der Entscheidungskompetenz von Roche liegen, ob die Cochrane-Forscher alle Daten haben, die sie brauchen. Vertrauen kann Roche nur gewinnen, wenn die Firma ohne wenn und aber alle Daten publiziert. Die Geheimniskrämerei nährt nur den Verdacht, dass Roche etwas zu verstecken hat.
Die Wissenschaftsgemeinschaft darf hier nicht locker lassen, sonst definieren Konzerne, was Wissenschaft ist. Die Unabhängigkeit der Wissenschaft von den Pharmakonzernen ist zu verteidigen und zu stärken.
Der amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) formulierte sehr prägnant „das erste Erfordernis des wissenschaftlichen Verfahrens – nämlich volle Öffentlichkeit der Materialien und Prozesse“.
(in: Erfahrung, Erkenntnis und Wert, S. 314, Suhrkamp 2004)
Trifft die Kritik von Tom Jefferson und nun auch von Fiona Godlee und vielen anderen Fachleuten und Fachgremien zu, dass Roche die Studiendaten zu Tamiflu nicht vollständig offengelegt hat und sich vollständiger Transparenz verweigert, so verabschiedet sich der Konzern an diesem Punkt aus dem wissenschaftlichen Prozess.
Konsequenterweise müsste dann Tamiflu zu jenen Bereichen der Komplementärmedizin gerechnet werden, die sich ebenfalls einer fundierten Überprüfung durch Doppelblind-Studien entziehen wollen – beispielsweise mit dem fragwürdigen Argument, „individuelle“ Therapien könnten nicht mit Doppelblind-Studien überprüft werden.
Allerdings wäre eine Umteilung von Tamiflu in den Bereich Komplementärmedizin auch nicht zielführend. Da Präparate aus Homöopathie und Anthroposophischer Medizin vom Wirksamkeitsnachweis durch Doppelblind-Studien schon zum vorneherein pauschal befreit sind, würde es die Diskussion, wie sie jetzt um Tamiflu geführt wird, so dann auch nicht mehr geben.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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