In den USA nimmt der Verbrauch von Antibiotika in der Tierzucht weiter zu – von 2009 bis 2012 um 16 Prozent. Die für medizinische Anwendungen wichtigen Wirkstoffe dürfen in den USA auch eingesetzt werden, um das Wachstum der Tiere zu beschleunigen. Die übermässige Anwendung von Antibiotika fördert die Entwicklung von Resistenzen bei Krankheitserregern. Laut der „New York Times“ bleiben die von der Lebensmittelbehörde FDA erlassenen Beschränkungen bis jetzt folgenlos.
Quelle: NZZ am Sonntag, 5. Oktober 2014
Kommentar & Ergänzung:
Ein Risiko der übermässigen Anwendung von Antibiotika in der Tiermast besteht darin, dass mehr und mehr Antibiotika ihre Wirksamkeit auch beim Menschen einbüssen.
Und weil sich Antibiotika-Resistenzen weltweit ausbreiten, wäre es ein dringendes Gebot der Risikominimierung, den Antibiotikaverbrauch in Landwirtschaft und Agrarindustrie strikt auf Situationen einzugrenzen, in denen ein Tier diese Arzneimittel wegen einer Erkrankung nötig hat – in Amerika, Europa, China, weltweit.
In der EU ist die Anwendung von Antibiotika als Mastbeschleuniger seit dem 1. 1. 2006 verboten. Der Tierarzt und ehemalige Leiter des Veterinäramts im Landkreis Cloppenburg Dr. Hermann Focke vermutet aber, dass dieses Verbot massiv umgangen wird:
„Der Einsatz von Antibiotika als so genannte Leistungsförderer – treffender als Masthilfsmittel oder Mastbeschleuniger bezeichnet – ist seit dem 1.1.2006 EU-weit verboten. Diese bis Ende 2005 häufig geübte Praxis hätte daher in den folgenden Jahren zu einem drastischen Umsatzrückgang bei den Veterinärantibiotika führen müssen. Das Gegenteil war aber der Fall. Im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Verbots stieg 2006 der Umsatz von Antibiotika in Deutschland um 7 Prozent und im folgenden Jahr noch einmal um 9,2 Prozent. Die bis Ende 2005 zugelassenen antibiotischen Leistungsförderer spielen heute praktisch keine Rolle mehr. Stattdessen werden oft die für die therapeutische Anwendung zugelassenen Antibiotika verwendet. Sie werden den, wohlgemerkt, gesunden Tieren in geringerer, also nicht therapeutischer Dosierung verabreicht. So wird zum Beispiel die für eine Heilbehandlung von fünf Tagen vorgegebene Antibiotikamenge auf 15 Tage gestreckt, nur um die Mastergebnisse zu verbessern.“
Quelle: http://www.geo.de/GEO/natur/massentierhaltung-antibiotika-in-der-tiermast-viertel-nach-zwoelf-70654.html
Die Schweiz ist von diesem Problem genauso betroffen
„Bei rund der Hälfte der rund 260’000 Kälber, die in der Kalbfleisch-Produktion in der Schweiz gemästet werden, müssen Antibiotika regelmässig eingesetzt werden, um die Tiere gegen Krankheiten zu behandeln und vor Infektionen zu schützen Dieser massive, tonnenweise Einsatz von Antibiotika ist durch das System der Zusammenführung der Tiere in Mastgruppen und deren Haltung begründet.
Werden Kälber von verschiedenen Bauernhöfen aufgekauft und in Mastbetriebe gebracht, kommen mit den Tieren unterschiedlicher Herkunft auch die Bakterien von verschiedenen Höfen zusammen. Stress durch den Transport und das massenweise Zusammentreffen mit unbekannten Artgenossen vermindern zudem die Widerstandskraft der Kälber gegen Krankheiten.
Weil das Immunsystem junger Kälber noch schwach ist, erkranken sie deshalb häufig, wenn sie mit neuen Keimen in Kontakt kommen: Solche Infektionen führen zu starker Schwächung der Tiere und oft sogar zum Tod.
Um Verluste zu vermeiden, werden die kranken Tiere nicht isoliert, sondern es wird meist gleich der ganze Bestand vorsorglich mit Antibiotika behandelt: So wird die Infektion der kranken Tiere bekämpft und die noch Gesunden werden vor Ansteckung geschützt.“
Quelle:
http://www.srf.ch/sendungen/netz-natur/antibiotika-in-der-tiermast-gefahr-durch-die-hintertuer
Hermann Focke weist im selben Interview mit „Geo“ auf das spezielle Risiko hin, das mit dem langdauernden, präventiven Einsatz von Antibiotika in geringen (subtherapeutischen) Dosen verbunden ist:
„Durch die länger andauernde Verabreichung subtherapeutischer Dosen überleben nach dem Darwinschen Gesetz die vitalsten der bakteriellen Keime und bilden auf Dauer Resistenzen gegen die verabreichten Medikamente. Diese erworbenen Resistenzen werden nicht nur auf nachfolgende Bakterien-Generationen weitergegeben, sondern können durch verschiedene Formen des Gen-Austausches auch auf andere Arten von Bakterien übergehen und somit neue Resistenzträger hervorrufen.“
Wenn Nutztiere im Rahmen der agroindustriellen Tiermast nur mittels präventiver Antibiotika-Gabe überleben können, dann ist das kein überzeugendes Argument für die Antibiotika-Gabe, sondern ein starkes Argument für eine fundamentale Umgestaltung der Haltungsbedingungen. Dazu können Konsumentinnen und Konsumenten beitragen, indem sie tierische Nahrungsmittel nur aus tiergerechter Produktion akzeptieren. Allerdings kann an die Verantwortung auch nicht nur den einzelnen Konsumentinnen und Konsumenten zuschieben. Es braucht auch deutlich härtere gesetzliche Regelungen. Antibiotika-Gaben in der Veterinärmedizin sollten strikt nur noch bei Infektionen angewendet werden dürfen, die nicht anders zu behandeln sind. Jede präventive Behandlung von ganzen Beständen in der Massentierhaltung müsste streng verboten werden. Auch in der Humanmedizin werden Antibiotika nur in ganz speziellen Situationen präventiv eingesetzt.
Ein Verbot präventiver Antibiotika-Verabreichung würde wohl die Existenz mancher Tiermast-Betriebe in Frage stellen, doch ist das kein starkes Argument, wenn auf der anderen Seite durch ein Verbot das Tierwohl geschützt und die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen reduziert werden.
Antibiotika sind als Medikamente viel zu wichtig, als dass man ihre Wirksamkeit derart fahrlässig aufs Spiel setzen dürfte.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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