Eine im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichte Metastudie kommt zum Schluss, dass Antidepressiva bei schwer depressiven Kindern und Jugendlichen weitgehend wirkungslos sind. Der Wirkstoff Venlafaxin habe suizidale Tendenzen sogar verstärkt.
Die gängigen Arzneimittel zur Behandlung von Depressionen sind bei schwer depressiven Kindern und Jugendlichen weitgehend wirkungslos. In Einzelfällen könnten Antidepressiva sogar suizidale Tendenzen der minderjährigen Patienten steigern, heißt es in der Studie eines internationalen Wissenschaftlerteams, das im Fachblatt „The Lancet“ publiziert wurde.
Für die Metastudie hatten die Forscher die Befunde aus 34 klinischen Studien an mehr als 5000 Patienten im Alter zwischen neun und 18 Jahren ausgewertet. Dabei wurden 14 verschiedene Antidepressiva einbezogen: Amitriptylin, Citalopram, Clomipramin, Desipramin, Duloxetin, Escitalopram, Fluoxetin, Imipramin, Mirtazapin, Nefazodon, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin. Die Wissenschaftler bewerteten für jeden Wirkstoff die Effektivität, die Verträglichkeit, die Akzeptanz sowie schwere damit in Verbindung stehende Schäden, etwa suizidale Gedanken oder Suizidversuche.
Nur das Antidepressivum Fluoxetin zeigte bei der Behandlung der Minderjährigen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Metastudie. Der ebenfalls zur Depressionsbehandlung eingesetzte Wirkstoff Venlafaxin habe sogar stärker zu ausgeprägten Suizidgedanken geführt. Weitere Antidepressiva seien weitgehend wirkungslos geblieben.
Das internationale Autorenteam um Dr. Andrea Cipriani von der University of Oxford und Dr. Xinyu Zhou von der Chongqing University in China schreibt:
»Die Behandlung mit Antidepressiva scheint Kindern und Jugendlichen mit einer akuten Major Depression keinen klaren Vorteil zu bieten. Fluoxetin ist wahrscheinlich die beste Option, die bei einer Indikation für eine Pharmakotherapie in Betracht gezogen werden sollte.«
Die Wissenschaftler empfehlen, junge Patienten unabhängig vom eingesetzten Wirkstoff eng zu überwachen, vor allem zu Beginn einer antidepressiven Pharmakotherapie.
Die Forscher kritisierten zudem die schlechte Datenlage:
Von den untersuchten Studien waren 22 (65 Prozent) von Pharmaherstellern gesponsert, zehn hatten nach Kriterien der Cochrane Collaboration ein hohes Risiko für Verzerrung, 20 ein mittleres und nur vier ein niedriges. In einer Pressemitteilung kritisierte Cipriani den fehlenden Zugang zu Patientendaten: »Ohne diesen ist es schwierig, die Effekte präzise abzuschätzen. Wir können nicht sicher sein, dass die Informationen in den publizierten und nicht veröffentlichten Studien tatsächlich korrekt sind.«
in einem begleitenden Kommentar zur Studie schreibt Jon Jureidini von der University of Adelaide in Australien, die Häufigkeit von Nebenwirkungen werde möglicherweise aufgrund von falscher Codierung unterschätzt. Antidepressiva seien deshalb für Kinder und Jugendliche vermutlich gefährlicher und weniger effektiv als bislang angenommen, was möglicherweise auch für Fluoxetin gelte. Auch Jureidini fordert eine umfassende Publikation aller Studiendaten. »Der Behauptung, dass der Zugang zu diesen Daten geistiges Eigentum und die Privatsphäre der Patienten verletzt, muss entschieden widersprochen werden.«
Quelle:
http://diepresse.com/home/leben/gesundheit/5007514/Antidepressiva-eignen-sich-nicht-fur-Jugendliche?_vl_backlink=/home/leben/gesundheit/index.do
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=63863
Die Studie in „The Lancet“:
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2816%2930385-3/abstract
Kommentar & Ergänzung:
Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Antidepressiva in manchen Situationen sinnvoll und notwendig sein können.
Das Beispiel zeigt aber, wie wichtig Metastudien sind, um zu differenzierteren Erkenntnissen zu gelangen.
Bei Metastudien werden alle auffindbaren klinischen Studien zu einer Fragestellung, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, zusammenfassend ausgewertet.
Damit soll im Vergleich zu einzelnen Studien eine fundiertere Aussage gewonnen werden.
Es gibt eine ganze Reihe von unwirksamen Therapien, die sich in der Medizin weiterhin halten.
Allerdings ist es auch eine Stärke der Medizin, dass Therapien immer wieder überprüft und kritisch unter die Lupe genommen werden – zum Beispiel durch Metastudien.
So können Irrtümer entdeckt und Therapien verbessert werden. Das ist ein Pluspunkt für die Medizin. Alternativmedizin und Komplementärmedizin tun sich dagegen in der Regel sehr schwer mit kritischer Überprüfung. Das machte es schwieriger, Irrtümer zu erkennen und Methoden weiterzuentwickeln.
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Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
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