Eine Studie kommt zum Schluss, dass Fussballer häufiger dement werden. Als Ursache für diese Schädigung gelten Kopfbälle. Mediziner fordern deshalb ein Kopfballverbot für Kinder.
Die Fussballverbände wollen jedoch vorerst mehr Forschung.
Eine Studie aus Schottland hat gezeigt, dass Fussballer häufiger an Demenz sterben als Gleichaltrige. Die Wissenschaftler um William Stewart von der Universität Glasgow untersuchten 7600 Profis der Jahrgänge 1900 bis 1976 und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe aus der Normalbevölkerung mit gleicher Altersverteilung und sozialer Stellung. Mit 1,7 Prozent starben die Fussballer dreimal so oft an neurodegenerativen Erkrankungen als Vergleichspersonen (0,5 Prozent). Die Fussballer hatten jedoch auch eine längere Lebenserwartung und starben seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs.
Die Studie wurde im angesehenen Fachjournal «New England Journal of Medicine» publiziert. Spezialärzte, Fussballfunktionäre und Eltern setzen sich seither mit den Ergebnissen auseinander. Denn sie ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Fussball dem Gehirn nicht guttun dürfte. Das facht die bereits länger schwelende Debatte um ein Kopfballverbot bei Kindern und Jugendlichen weiter an. In den USA hat der Fussballverband schon 2015 festgelegt, dass Kinder bis 10 Jahre den Kopf nicht einsetzen dürfen, bis 13 Jahre nur eingeschränkt. In der Schweiz wären ähnliche Regelungen möglich.
Der Neurologe Peter Zangger ist langjähriger Leiter der Neurorehabilitation an der Suva-Klinik in Bellikon und führender Schädel-Hirn-Trauma-Spezialist. Er sagt:
«Es wäre sinnvoll, jetzt auch bei uns ein Kopfballverbot wie in den USA einzuführen und mit verschärften Regeln im Jugendfussball das Aufprallen des Kopfs auf den Gegner möglichst zu verhindern.» Zangger stützt sich dabei nicht nur auf die neue Studie aus Schottland, sondern auch auf frühere Untersuchungen, die zum Schluss kamen, dass häufige Gehirnerschütterungen die Entstehung von Demenz fördern.
Unterstützung bekommt Zangger von Andreas Meyer-Heim. Der Chefarzt der einzigen Schweizer Klinik für Neurorehabilitation bei Kindern und Jugendlichen in Affoltern am Albis ZH erklärt: «Ein Kopfballverbot für Kinder unter 14 Jahren sollte jetzt ernsthaft in Erwägung gezogen werden.»
Der Schweizerische Fussballverband zögert mit einem Kopfballverbot für Kinder
Das Gehirn von Kindern und Jugendlichen kann zwar Verletzungen häufig besser kompensieren, weil es sich noch im Wachstum befindet. Aus anatomischen Gründen ist es jedoch weniger gut geschützt gegen Schläge. Meyer weist insbesondere auf die dünnere Schädeldecke und die schwächere Nackenmuskulatur hin. Kinder sind deshalb bei Kopfbällen und beim Zusammenprallen von Köpfen im Spiel einem höherem Risiko für Hirnverletzungen ausgesetzt.
Mediziner Meyer findet es schwierig zu sagen, bis zu welchem Alter ein Verbot angebracht wäre, weil die kindliche Entwicklung eine extreme Varianz zeigt. Mit 13 Jahren seien manche Kinder beinahe doppelt so gross wie Gleichaltrige. Meyer ist deshalb eher für eine Grenze bei 14 Jahren, weil dann der grössere Teil der Kinder auf der sicheren Seite ist.
Beim Weltfussballverband (Fifa) lässt zum Kopfballverbot lediglich ausrichten, dass man die schottische Studie begrüsse und weitere Forschung unterstütze. Dem Schweizerischen Fussballverband (SFV) erscheint das Kopfballverbot der US-Amerikaner übertrieben. Roland Grossen, der Vorsitzende der Medizinischen Kommission, sagt allerdings: «Vielleicht wäre es aber sinnvoll, Bälle aus Schaumstoff oder mit weniger Luft zu verwenden.» Der SFV will das Thema im Januar an einem wissenschaftlichen Symposium diskutieren.
Innerhalb des SFV gibt es aber auch Stimmen, die schon länger für ein Kopfballverbot sind. Reinhard Zweifel, der lange Jahr den Fussballverband Region Zürich präsidiert hat, sagt dazu: «Selbst die Möglichkeit geringer Schäden rechtfertigt Massnahmen.»
Allerdings finden es auch namhafte Fachleute zu früh, ein Kopfballverbot einzuführen. Aus der aktuellen Datenlage lasse sich nicht ableiten, dass das Kopfballspiel kausal zu Demenz führe, sagt Nina Feddermann. Die Neurologin ist auf Gehirnerschütterung spezialisiert, leitet das Swiss Concussion Center in Zürich und berät die Fifa und den SFV.
In der Studie habe sich auch kein Unterschied gezeigt zwischen Torwarten und Feldspielern, was zu erwarten wäre, wenn Kopfbälle als Ursache im Vordergrund stünden.
Kopfbälle seinen bei Kindern bis 12 Jahre mit 6 bis 10 Prozent bei weitem nicht die Hauptursache für Gehirnerschütterungen. Im Vordergrund sieht sie Zusammenstösse von Spielern, Aufschlagen auf dem Boden und unvorbereiteter Kontakt mit dem Ball. Die Neurologin ist überzeugt, dass es mehr Betroffene gäbe, wenn Fussball so stark negative Effekte hätte. Feddermann fordert nun lang angelegte, prospektive Forschungsprojekte, denn die Diskussion um das Demenzrisiko führe zu viel Verunsicherung.
Dass bei Kindern und Jugendlichen dem Thema Kopf grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, ist jedoch unbestritten. Feddermann verlangt, dass die Spiele und das Training kontrolliert, kindgerecht und technisch orientiert sein soll. Sie hält aber auch fest, dass dies dank kleineren, weichen Bällen bereits seit längerem der Fall sei.
Quelle:
https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/mediziner-fordern-kopfballverbot-fuer-kinder/story/21255866
Kommentar & Ergänzung:
Das ist wieder einmal so eine Situation, bei der es Aussenstehenden schwer fällt zu entscheiden, welche Fachleute mehr Recht haben.
Ich könnte mir aber vorstellen, dass oft vorkommende harte Kopfbälle auch unterhalb der Schwelle, bei der von einer Gehirnerschütterung gesprochen wird, zu Schädigungen führen.
Darum scheint es mir sehr angebracht, dieses Thema ernst zu nehmen.