Oxidativer Stress gilt als Mitverursacher zahlreicher krankhafter Prozesse und wird auch mit Alterungserscheinungen in Zusammenhang gebracht.
Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln wie zum Beispiel „Burgerstein“ bieten eine reiche Palette von sogenannten „Antioxidantien“ an, die dem oxidativen Stress durch „freie Radikale“ entgegenwirken sollen.
In den letzten Jahren sind allerdings zunehmend Studien erschienen, welche der einseitig negative Darstellung der „freien Radikale“ ebenso widersprechen wie der einseitig positiven Propaganda für Antioxidantien.
Hier ein weiterer Hinweis in diese Richtung:
Forschern aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum gelang es zum ersten Mal, oxidative Veränderungen in einem lebenden Organismus direkt zu beobachten. Ihre an Fruchtfliegen erzielten Resultate lassen Zweifel an der Gültigkeit gängiger Thesen aufkommen: Die Wissenschaftler fanden keine Hinweise darauf, dass die Lebensspanne durch die Bildung schädlicher Oxidantien begrenzt wird.
Arterienverkalkung und koronare Herzleiden, neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer, Krebs oder sogar das Altern selbst sollen durch oxidativen Stress mitverursacht oder beschleunigt werden. Oxidativer Stress entsteht in Zellen oder Geweben, wenn ein Übermaß an so genannten reaktiven Sauerstoffverbindungen vorhanden ist. „Bislang konnte aber niemand oxidative Veränderungen oder gar deren Zusammenhang mit krankhaften Prozessen in einem lebenden Organismus direkt verfolgen“, schildert Privatdozent Dr. Tobias Dick aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum. „Es waren nur relativ unspezifische oder indirekte Nachweise darüber möglich, welche oxidativen Prozesse in einem intakten Organismus tatsächlich ablaufen.“
Tobias Dick und seinen Mitarbeitern ist es nun zum ersten Mal gelungen, diese Vorgänge an einem lebenden Tier zu beobachten. Zusammen mit Dr. Aurelio Teleman (ebenfalls am DKFZ) schleusten sie Gene für Biosensoren in das Erbgut von Fruchtfliegen ein. Die verwendeten Biosensoren sind spezifisch für unterschiedliche Oxidantien. Sie zeigen durch ein Lichtsignal den oxidativen Status jeder einzelnen Zelle an – in Echtzeit, im gesamten Organismus und über die ganze Lebensspanne.
Schon in den Fliegenlarven entdeckten die Wissenschaftler, dass Oxidantien in den verschiedenen Gewebetypen sehr ungleichmäßig produziert werden. So bilden die Blutzellen in ihren Energiefabriken, den Mitochondrien, wesentlich mehr Oxidantien als zum Beispiel Darmzellen oder Muskelzellen. Auch spiegelt sich das Verhalten der Larve in der Bildung von Oxidantien in einzelnen Geweben wider – die Wissenschaftler konnten am oxidativen Zustand des Fettgewebes unterscheiden, ob die Larven gerade fraßen oder sich fortbewegten.
Bislang gingen zahlreiche Forscher davon aus, dass es mit dem Altern zu einer generellen Zunahme an Oxidantien im ganzen Organismus kommt. Genau dies konnten die DKFZ-Wissenschaftler jedoch nicht bestätigen, als sie die erwachsenen Tiere über ihre gesamte Lebensspanne verfolgten: Einen alternsabhängigen Anstieg von Oxidantien fand sich überraschenderweise fast ausschließlich im Darm der Fliege. Beim Vergleich von Fliegen mit unterschiedlicher Lebensspanne stellten die Wissenschaftler überdies fest, dass sich die Ansammlung der Oxidantien im Darmgewebe bei einer längeren Lebensdauer sogar beschleunigte. Die Wissenschaftler fanden demnach keine Unterstützung für die häufig geäußerte Vermutung, dass die Lebensspanne eines Organismus durch die Bildung schädlicher Oxidantien begrenzt wird.
Obwohl umfangreiche Studien bis heute einen Nachweis dafür schuldig bleiben, werden Antioxidantien häufig als Schutz vor oxidativem Stress und damit als gesundheitsfördernd propagiert. Dick und Kollegen fütterten ihre Fliegen mit N-Acetyl-Cystein (NAC), einer Substanz der eine antioxidative Wirkung zugeschrieben wird und manchen Forschern als geeignet erscheint, den menschlichen Organismus vor mutmaßlich gefährlichen Oxidantien zu schützen. Interessanterweise zeigten sich bei den NAC-gefütterten Fliegen jedoch keine Hinweise auf eine Reduktion der Oxidantien. Im Gegenteil, zur Überraschung der Wissenschaftler veranlasste NAC die Energiefabriken verschiedener Gewebe zu einer deutlich erhöhten Oxidantien-Produktion.
„Vieles, was wir mit Hilfe der Biosensoren an den Fliegen beobachtet haben, war für uns überraschend. Offenbar sind viele Ergebnisse, die an isolierten Zellen gewonnen wurden, nicht ohne weiteres auf die Situation in einem lebenden Organismus übertragbar“, stellt Tobias Dick fest. „Das Beispiel NAC zeigt uns auch, dass wir derzeit nicht in der Lage sind, oxidative Prozesse im lebenden Organismus auf vorhersagbare Weise pharmakologisch zu beeinflussen.“ Und er fügt an: „Natürlich lassen sich die Ergebnisse nicht ohne weiteres von der Fliege auf den Menschen übertragen. Unser nächstes Ziel ist es, mit den Biosensoren oxidative Prozesse in Säugetieren zu beobachten, vor allem bei Entzündungsreaktionen und bei der Entwicklung von Tumoren.“
Quellen:
Simone C. Albrecht, Ana Gomes Barata, Jörg Großhans, Aurelio A. Teleman und Tobias P. Dick: In vivo mapping of hydrogen peroxide and oxidized glutathione reveals chemical and regional specificity of redox homeostasis. Cell Metabolism 2011, DOI:10.1016/j.cmet.2011.10.010.
Deutsches Krebsforschungszentrum
http://www.journalmed.de/newsview.php?id=36048
Kommentar & Ergänzung:
Antioxidantien werden massiv propagiert. Sie sollen gegen Krebs, Herzkrankheiten und das Älterwerden schützen. Dabei ist in den meisten Fällen völlig ungeklärt, ob neben den Herstellern und Verkäufern auch die Konsumentinnen und Konsumenten dieser Produkte einen Nutzen davon haben. Im Gegenteil: Es gibt sogar deutliche Hinweise darauf, dass Antioxidantien – vor allem wenn sie in hohen Dosen konsumiert werden – in manchen Situationen auch schaden können. Die „Antioxidantien-Welle“ wird nicht nur durch Experimente im Labor in Frage gestellt – wie hier durch die Studie am DKFZ – sondern auch durch Untersuchungen am Menschen.
Siehe auch:
Schwächen Antioxidantien die Muskelfunktion?
Antioxidantien fördern möglicherweise Diabetes
Falls Sie an sorgfältigem Wissen über Wirkung und Anwendung von Heilpflanzen interessiert sind, finden Sie dazu meine Kurse und Lehrgänge oben über den Menüpunkt „Kurse“.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildungen / Heilpflanzen-Kurse & Heilkräuter-Exkursionen / Weiterbildung Pflanzenheilkunde / Kräuterwanderungen:
Infos auf www.phytotherapie-seminare.ch
Info-Treff Pflanzenheilkunde
Besuchen Sie auch unseren „Info-Treff Pflanzenheilkunde“ für Information und Erfahrungsaustausch in den Bereichen
Phytotherapie / Pflanzenheilkunde / Naturheilkunde:
Schmerzen? Chronische Erkrankungen?