„Rein pflanzlich“ und „frei von Nebenwirkungen“ – mit diesen Slogans werden Nahrungsergänzungsmittel zur Potenzsteigerung oder zur Gewichtsreduktion oftmals propagiert. Über das Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel (RASFF) wird europaweit vor vielen Präparaten dieser Produktgruppe gewarnt. Einige Untersuchungen von Überwachungsbehörden haben gezeigt, dass manche dieser Produkte unerlaubte, nicht deklarierte arzneiliche Wirkstoffe enthielten.
Professor Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), rät deshalb zur Vorsicht bei Präparaten, die als Nahrungsergänzungsmittel zur Steigerung der Potenz oder zur Gewichtsreduktion angeboten werden: „Verbraucher werden in einigen Fällen über die wahre Zusammensetzung der Produkte und ihrer Eigenschaften, einschließlich ihrer Risiken, getäuscht.“
Nahrungsergänzungsmittel müssen als Lebensmittel nicht wie Arzneimittel staatlich zugelassen werden.
Als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnete Präparate zur Potenzsteigerung werden überwiegend im Internet oder in Erotik-Shops unter verschiedenen Bezeichnungen vertrieben. Die Produkte sollen nach Angaben der Anbieter oft ausschließlich rein pflanzliche, natürliche Inhaltsstoffe enthalten. Bei einer Reihe von Präparaten zeigten Analysen allerdings, dass sie nicht deklarierte „verschreibungspflichtige“ arzneiliche Wirkstoffe (Sildenafil = Viagra, Tadalafil = Cialis) bzw. nicht zugelassene Sildenafil-Analoga (Hydroxyhomosildenafil, Hydroxythiohomosildenafil, Sulfoaildenafil) in pharmakologisch wirksamen Konzentrationen enthielten. Bei Einnahme von Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe muss damit gerechnet werden, dass auch bei gegebener Indikation und bestimmungsgemäßem Gebrauch in seltenen Fällen schwere unerwünschte Wirkungen (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt) auftreten können.
Auch in als Nahrungsergänzungsmittel bezeichneten Präparaten zur Gewichtsreduktion wurden in der Vergangenheit wiederholt pharmakologisch wirksame Substanzen gefunden, u. a. der in Deutschland in Arzneimitteln nicht mehr zugelassene Wirkstoff Sibutramin. Derartige Produkte werden ebenfalls hauptsächlich über das Internet vertrieben und oft als „natürliche“ oder „100% pflanzliche“ Nahrungsergänzungsmittel propagiert. Sibutramin ist eine seit dem Februar 2010 in Deutschland nicht mehr zugelassene pharmakologisch wirksame Substanz aus der Gruppe der Appetitzügler. Aufgrund zum Teil erheblicher Nebenwirkungen, vor allem bei übergewichtigen Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hatte die Europäische Arzneimittelagentur im Januar 2010 empfohlen, die Zulassung von Sibutramin-haltigen Arzneimitteln zu widerrufen.
Als Nahrungsergänzungsmittel hält das BfR Produkte mit den aufgeführten Wirkstoffen für nicht sicher. Vor allem über das Internet vermarktete Präparate sind durch die amtlichen Überwachungsbehörden schwer zu fassen. Es besteht das Risiko, dass Verbraucher über die wahre Zusammensetzung der Produkte und ihre Eigenschaften, einschließlich ihrer Gefahren, getäuscht werden.
Die Einnahme von als Nahrungsergänzungsmittel bezeichneten Produkten zur Potenzsteigerung oder zur Gewichtsreduktion kann mit einem hohen gesundheitlichen Risiko verbunden sein, wenn sie pharmakologisch wirksame Substanzen enthalten. Das BfR rät daher Verbrauchern zur Vorsicht und dazu, sich beim Hersteller über die genaue Zusammensetzung der Produkte zu informieren. Bei Zweifeln oder unklaren Auskünften sollte auf die Einnahme derartiger Präparate verzichtet werden.
Quelle:
http://idw-online.de/pages/de/news471060
Kommentar & Ergänzung:
Vor allem im Internet tauchen immer wieder angeblich rein pflanzliche Präparate auf, die mit riskanten und nicht zugelassenen Wirkstoffen versetzt sind. Sehr typisch ist dies bei Potenzmitteln und bei Schlankheitsmitteln, doch finden sich solche problematische Zusätze nicht selten auch in Heilmitteln der asiatischen Medizin. Beispielsweise in Rheumamitteln, die als Naturheilmittel propagiert werden, aber undeklariert Entzündungshemmer wie NSAR enthalten.
Der Gesundheitsmarkt wird überschwemmt mit Nahrungsergänzungsmitteln, die unerlaubterweise als Heilmittel propagiert werden. Deren Sicherheit ist oft nur ungenügend geklärt und die Wirksamkeit nicht ansatzweise belegt.
Im Gegensatz zum Internethandel kann man meines Erachtens in Apotheken und Drogerien (jedenfalls in der Schweiz, ich kenne nur die Drogerien in der Schweiz) davon ausgehen, dass Nahrungsergänzungsmittel frei sind von undeklarierten, riskanten Substanzen wie Sibutramin.
Bezüglich Wirksamkeit ist die Situation allerdings nicht so klar. Viele Apotheken und Drogerien verkaufen ziemlich skrupelfrei „rein natürliche“ oder „rein pflanzliche“ Nahrungsergänzungsmittel und „Pseudoheilmittel“, die zwar mit blumigen Versprechungen angepriesen werden, deren Wirksamkeit aber völlig in den Sternen steht.
Man kann also in keiner Art und Weise davon ausgehen, dass komplementärmedizinische oder pflanzliche Heilmittel und Nahrungsergänzungsmittel aus Apotheken oder Drogerien auch wirksam sind.
Den Konsumentinnen und Konsumenten kann man nur raten, allen Heilungsversprechungen mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen und kritische Fragen zu stellen.
Pointiert ausgedrückt hat diese Haltung Erich Fromm:
„Da das meiste, was wir hören oder in den Zeitungen lesen, zu Tatsachen verzerrte Interpretationen sind, ist es weitaus am besten, äusserst skeptisch zu sein und von der Annahme auszugehen, dass der grösste Teil von dem, was wir hören, wahrscheinlich eine Lüge oder Verzerrung ist. Wenn dies zu hart und zynisch klingt, so möchte ich beifügen, dass ich dies nicht ganz wörtlich meine. Dennoch möchte ich betonen, dass diese Einstellung viel gesünder ist, als vom Gegenteil auszugehen, nämlich zu meinen, die Leute sagen die Wahrheit, ausser man kann das Gegenteil beweisen. Vielleicht klingt meine Empfehlung weniger menschenfeindlich, wenn ich betone, dass es um den Wahrheitsgehalt von Aussagen geht und nicht um die Frage, ob jemand lügt oder nicht. Aber erwiesenermassen glauben die meisten Menschen, deren Aussagen unwahr oder halbwahr sind, dass sie wirklich die Wahrheit sagen – oder zumindestens überreden sie sich selbst dazu.“
(aus: Erich Fromm; Vom Haben zum Sein, Beltz 1989, S. 62)
Erich Fromm (1900 – 1980) war ein deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe.
Bedeutende Werke (Auswahl):
Die Furcht vor der Freiheit, 1941.
Psychoanalyse & Ethik, 1946.
Die Kunst des Liebens, 1956.
Zen-Buddhismus und Psychoanalyse (mit Daisetz Teitaro Suzuki, Richard de Martino) 1971.
Haben oder Sein, 1976.
Märchen, Mythen, Träume, 1951.
Die Seele des Menschen, Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen.
Siehe auch:
Komplementärmedizin – woran erkennen Sie fragwürdige Aussagen?
Komplementärmedizin – Qualität und Quacksalberei
Und ausserdem: Wenn Sie sich mehr Wissen aneignen möchten, um wirksame und unwirksame Naturheilmittel zu unterscheiden, dann können Sie das in meiner Phytotherapie-Ausbildung, im Heilpflanzen-Seminar und im Tagesseminar „Komplementärmedizin verstehen und beurteilen“
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