Im Phyto-Forum der Ärztezeitung wurde vor kurzen die Frage gestellt, ob es bei Extrakten aus Passionsblume, die gegen Spannungs- und Angstzustände wirken sollen, wie bei Benzodiazepinen eine Abhängigkeits- bzw. Entzugssymptomatik gebe.
Die Antwort verfasste Dr. Rainer C. Görne, Facharzt für Klinische Pharmakologie und Toxikologie.
Sowohl tierexperimentelle als auch klinische Untersuchungen belegen gemäss Görne für Pflanzenextrakte aus der Passionsblume (Passiflora incarnata L.) eine angstlösende Wirkung. Diese werde im Zusammenhang mit Inhaltsstoffen gesehen, die an Benzodiazepin-Rezeptoren binden können.
Einer dieser Passiflora-Inhaltsstoffe sei das Flavon Chrysin (5,7-di-OH-Flavon). Chrysin könne das Flunitrazepam aus seiner Bindung am Benzodiazepin-Rezeptor verdrängen und dessen Bindung an den Benzodiazepin-Rezeptor von Rezeptor-Antagonisten wie Ro 15-1788 aufheben.
Ebenso könne auch die angstlösende Wirkung von Chrysin durch den Antagonisten Ro 15-1788 im Tierversuch antagonisiert werden.
Diese Befunde belegen laut Görne, dass zumindest ein Teil der anxiolytischen Wirkung von Pflanzenextrakten aus der Passionsblume über Benzodiazepin-Rezeptoren zustande kommt.
Keine Abhängigkeit, keine Toleranzentwicklung, keine Entzugsprobleme durch Passionsblume
Im Unterschied zu synthetisch hergestellten Benzodiazepinen seien nach der Einnahme von Passionsblumen-Extrakten weder eine Toleranzentwicklung, noch Abhängigkeit oder Entzugsprobleme beobachtet worden.
Verglichen mit dem natürlichen Flavon Chrysin haben synthetische Benzodiazepine oder deren Metaboliten lange Halbwertszeiten (HWZ), schreibt Görne.
Dies gelte für das rasch verstoffwechselte Benzodiazepin-Derivat Flurazepam (HWZ: 2 – 3 Stunden), dessen Hauptmetabolite eine HWZ von bis zu 100 Stunden aufweisen können, ebenso wie für die langsam verstoffwechselten Derivate Nitrazepam (HWZ: ca. 24 Stunden) und Diazepam (HWZ: bis zu 48 Stunden), deren Metabolite Halbwertszeiten von bis zu 100 Stunden haben können.
Nach oraler Gabe von 400 mg Chrysin wurde gemäss Görne bei gesunden Testpersonen dagegen eine mittlere Halbwertzeit von nur 4,6 Stunden festgestellt.
Ein weiterer Aspekt, der die Möglichkeit von Toleranzentwicklung, Abhängigkeit oder Entzugssymptomen nach Einnahme von Passionsblumenextrakt als unwahrscheinlich einschätzen lasse, sei die Tatsache, dass bei therapeutisch üblichen Dosen des Pflanzenextraktes nur sehr geringe Mengen von Benzodiazepin-Agonisten aufgenommen werden.
Quelle:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/angst/default.aspx?sid=840772&sh=44&h=-1654632450&ticket=ST-1071-p4pmYxpn4Sjg4LQBNrnO4CGBZi2bmUav4yN-20
Kommentar & Ergänzung:
Tatsächlich hat der Passionsblumen-Extrakt den grossen Vorteil, dass kein Risiko besteht für Toleranzentwicklung, Abhängigkeit und / oder Entzugssymptome.
Das macht diese Phytopharmaka zu einer interessanten Option.
Allerdings muss eingeschränkt werden, dass mit Passionsblumenextrakt nicht jede Angsterkrankung adäquat behandelt werden kann.
Klinische Belege, die für eine Wirksamkeit sprechen, gibt es im übrigen nur für Passionsblumen-Extrakt, nicht jedoch für Passionsblumentee und Passionsblumentinktur.
Gegen leichte Angststörungen kann auch Lavendelöl helfen.
Siehe dazu:
Phytotherapie: Lavendelöl als Angstlöser
Lavendelöl reduziert Angst und bessert den Schlaf
Orangenöl, Lavendelöl bei Zahnarztangst
Weitere Infos zur Passionsblume:
Passionsblume bei Angst, Unruhe und Schlafstörungen
Pflanzliche Schlafmittel: Weder Hang-over noch Entzugssymptome
Passionsblume ist Arzneipflanze des Jahres 2011
Phytotherapie: Passionsblume als Angstlöser
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch